Bildung

High-Tech-Schummeln an Indiens Schulen

Deutschunterricht in einer indischen Schule: Wer nach dem Abschluss einen Job haben will, braucht Bestnoten.
Deutschunterricht in einer indischen Schule: Wer nach dem Abschluss einen Job haben will, braucht Bestnoten. © dpa / picture alliance / Doreen Fiedler
Von Jürgen Webermann · 22.07.2015
Wer in Indien einen guten Job haben will, braucht Top-Noten an Schule und Uni. Deswegen greifen technisch versierte Jugendliche zu findigen, aber unlauteren Schummel-Methoden - eine Art High-Tech-Spickzettel.
Auf dem Palika Bazar gibt es alles. Der Markt verläuft unter einem zentralen Platz in Neu-Delhi, hier reihen sich die kleinen Shops nur so aneinander. Händler gehen mit vollem Einsatz auf Kundenfang, Kunden drängen sich in den katakombenartigen Gängen, sie kaufen Fernseher oder Hochzeitskleider. Aber wir suchen heute etwas anderes:
"Wir brauchen ein kleines Gerät, das hilft, bei Examensprüfungen zu schummeln."
Der Elektronikhändler reagiert sofort:
"Okay, ich zeige ihnen mal etwas, das helfen könnte. Eine drahtlose Kamera, die können Sie an Ihr Handy anschließen. Die Kamera hat eine gute Reichweite, um Lösungen abzufotografieren."
Aber die Masche könnte auffallen, vor allem, wenn Schüler oder Studenten vorher ihre Handys abgeben müssen.
Technik für fortgeschrittene Examens-Betrüger
Da hilft ein Blick ins Internet. Zum Beispiel auf die Website der Firma Sunrise. Die behauptet im Logo, sie sei von der indischen Regierung zertifiziert worden. Das schafft offenbar Vertrauen. Sunrise verkauft Technik für fortgeschrittene Examens-Betrüger: drahtlose Ohrstöpsel, die so klein sind, dass sie nicht auffallen. Einen kleinen Minisender und ein Mini-Mikrofon dazu, eingenäht in eine Art Unterhemd. Und schon können sich Prüfungskandidaten Lösungen live ins Ohr flüstern lassen.
"Dieses Schummeln geschieht einfach überall, auch an guten Schulen. Eltern stecken mit drin, Lehrer, die Schulleitung, alle. Und es stimmt, dass die Technik immer raffinierter wird ..."
... ärgert sich Prajesh. Er ist 18 Jahre alt und hat gerade in Neu-Delhi das Abitur bestanden. In Indien gibt es zentrale Prüfungsaufgaben. Prajeshs Antworten waren zu 96 Prozent richtig. Das ist ein absoluter Top-Wert. Prajesh hat dafür nicht geschummelt, wie er betont, sondern extrem hart gebüffelt.
"Wer auf die besten Unis will, hat es mit einem extremen Wettbewerb zu tun. Für die Topuniversitäten bewerben sich Hunderttausende, aber es gibt nur ein paar hundert Plätze. Da herrscht ein Riesendruck. Das liegt daran, dass wir in den letzten 20 Jahren zwar die Schulen in Indien massiv ausgebaut haben, aber nicht die Unis."
Gute Jobs bekommen nur Top-Absolventen
In Indien strömen jedes Jahr zwölf Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Die wenigen verfügbaren richtig guten Jobs bekommen aber meist diejenigen, die an den Top-Adressen studiert haben. Deshalb tun viele Inder für einen Platz an den guten Unis einfach alles.
Im Bundesstaat Bihar kletterten hunderte Eltern Schulwände hoch, um ihren Kindern Lösungsmuster in die Klassenzimmer zu schmuggeln. In Zentralindien bezahlten Eltern sogar bis zu 140.000 Euro, damit Mittelsmänner ihre Kinder durch Aufnahmeprüfungen für die medizinischen Fakultäten oder für gute Regierungsjobs schleusten.
"Es ist wie eine Mafia, die junge Leute zum Betrügen animiert..."
...sagt Bildungsexperte Krishna Kumar. Zwar hat Indien schon vor Jahren beschlossen, das Bildungssystem massiv aus- und auch umzubauen. Bis all das aber auch umgesetzt ist, machen dubiose Firmen wie Sunrise oder die Händler vom Palika-Bazar in Neu-Delhi mit dem Examens-Betrug ein richtig gutes Geschäft.
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