Bilder von bewegender Heiterkeit

Von Carsten Probst · 16.02.2007
Der Maler Emil Schumacher kümmerte sich nie um Moden in der Kunstszene. Gegen den Trend der Bildermoden befasste er sich in seiner Arbeit vor allem mit der Materialität der Farbe. Das Sprengel Museum Hannover zeichnet den künstlerischen Weg Schumachers nach und zeigt in einer umfassenden Werkschau rund 90 Gemälde des 1999 verstorbenen Künstlers.
Ist Malerei antiquiert, weil sie ungegenständlich ist? Weil sie die Farbe zelebriert und zugleich eine metaphysische Grundierung aufweist, die man heute kaum mehr findet? Emil Schumachers Malerei wirkt fern, weil sie von einer vordigitalen Zeit kündet, und sie wirkt nah, weil diese Zeit noch gar nicht lange her ist. Vor allem aber wirkt sie nah, weil Schumacher sich nie um Bildermoden gekümmert hat.

Noch einmal wird im Sprengelmuseum diese eigentümliche und doch so signifikante Weg des vor knapp sieben Jahren verstorbenen Malers nachvollzogen, der wohl erst wirklich begann, als Schumacher in einem Alter war, in dem sich andere bereits auf dem Zenit ihres Schaffens befinden. Krieg und Nazizeit hatte er, dienstverpflichtet als technischer Zeichner und in einer Art inneren Emigration, sozusagen "kunstlos" überstanden – nach 1945, mit 33 Jahren also, wähnte er sich dafür als Künstler weiter zurückgeworfen, als er es vor dem Krieg war. Langsam, fast quälend mühsam malt er sich als Mitglied der Künstlergruppe "junger westen" an die europäische Nachkriegsmoderne heran, die in den fünfziger Jahren zunächst von Frankreich, dann von den USA dominiert war.
Ulrich Krempel, Direktor des Sprengelmuseums, sieht in der schwierigen Entwicklung Schumachers ein Zeichen jener Zeit.

"Deutschland musste sich heranmalen. Deutschland hatte das Verdikt, all diese jungen Leute, die da den Krieg irgendwie in mannhaftem Alter überlebt hatten, die standen im Ausland immer unter dem Verdacht, was waren sie eigentlich während des Krieges? Also insofern musste man bei sich auch eine solche Verspätung nacharbeiten und nachholen, dass diese rapiden Entwicklungen bei Schumacher in dieser Zeit sich für mich auch aus dieser Bereitschaft zum Nacharbeiten und zur Suche nach dem eigenen Weg zur gleichen Zeit eigentlich ergeben."

Seine anfangs noch gegenständlichen Kompositionen gingen in den fünfziger Jahren bald über in Versuche, Abstraktion und Figur miteinander zu verbinden, und bald darauf wird die Materialität der Farbe zum absolut bestimmenden Moment in Schumachers Auseinandersetzung mit dem Bild. Farbe verkörpert sozusagen die ideale Vereinigung von Körper und Transzendenz. Spätestens mit der ziegelrot glühenden, reliefartig zerkratzten Komposition "Sodom" von 1957 nähert sich Schumacher dem Einfluss von Wols und des französischen Informel eines Foutrier und Soulages.

Hatte der Kunsthistoriker Hans Sedlmayer 1948 noch den "Verlust der Mitte" in der Kunst ausgemacht, setze Schumacher zehn Jahre später bewusst auf große prachtvolle Kompositionen, die sich aus der Mitte der Leinwand heraus zu fast animistisch-abstrakten Portraits verdichteten. Und je lauter in Europa der Abgesang auf die Malerei angestimmt wurde, desto trotziger, leidenschaftlicher suchte Schumacher sich die größten Formate und traktierte sie mit ganzem Körpereinsatz, wie beispielhaft in den beiden noch erhaltenen von insgesamt drei riesigen Querformaten für die documenta 1964, die er mit breiten, schleudernden und wirbelnden Schwarzweißformen überzog. Ulrich Krempel:

"Für mich ist da auch eine ideelle Auseinandersetzung mit den großen Figuren der Zeit, den großen Beispielen einer gegenstandsfreien Kunst wie mit Jackson Pollock, der wie andere auch in New York an der Bewältigung der groß dimensionierten Leinwand gearbeitet hat. Wie Pollock hat ja auch Schumacher viele seiner Arbeiten auf dem Boden entwickelt, hat ein ungeheuer körperliches Verhältnis zu der Farbmaterie, mit der er da wirklich ringt, und irgendwie entsteht in diesem Prozess, in dem Kampf mit dem Material, in der Aktion des Materials, die wieder auf den Künstler zurückwirkt, dann letzten Endes das Bild. Und das Bild ist immer bei Schumacher auch Zeichen der Grenzen des Aktionsrahmens des Malers."

Ein Foto von 1979 zeigt Emil Schumacher vor einem seiner Bilder, auf dem ein schlichter, mit breitem Pinsel gezogener Bogen zu sehen ist, dessen Radius von den ausgestreckten Armen des Malers gebildet wird. Das ist nicht nur eine ironische Pose, die sich auf Leonardo da Vincis berühmte Proportionsstudie bezieht. Seit den sechziger Jahren hat sich Schumacher vielmehr von den europäischen Einflüssen auf seine Malerei gelöst.

Ein längerer USA-Aufenthalt hat ihn mit dem Anblick riesiger leerer Landschaften und einem Gefühl der Verlorenheit beeindruckt, wie er es aus der intimen Enge Europas nicht kannte. So erfindet Schumacher für sich die Figur des Bogens, die er in zahlreichen Werken variiert und zitiert, als Form, die im Gegensatz zu früher das Zentrum des Bildes oft freilässt. Sie markiert eine physische Grenze des Malens und hat zugleich doch auch etwas Bergendes, Beschützendes.

Im Alterswerk entdeckt Schumacher eine Vielzahl von einfachen Formen wieder, mit denen er sogar zur Gegenständlichkeit zurückkehrt: Das Haus, das Tier, das Sonnenrad. Dem nahenden Tod begegnet der Maler mit uralten Bildmotiven der Transzendenz, der Leiter, der Schattenlandschaft, dem geschlossenen Kreis – jedoch auch mit einer spürbaren Heiterkeit, die den einzigartigen Rang seines Werks innerhalb der deutschen Nachkriegskunst für Museumsleiter Ulrich Krempel unterstreicht:

"Er hat mich immer beeindruckt durch die gewisse Halsstarrigkeit, mit der er an sich selber festgehalten hat und er selber relativ wenig auf Zeitströmungen reagiert hat. Das hat man in der Kunstszene nicht immer deutlich honoriert. Er ist auch international nicht so bekannt geworden, vielleicht auch aufgrund seines Deutschseins, seiner späten Entwicklung, der schwierigen Nachkriegszeit, der Nach-Nazi-Zeit, in der er ja in die Kunstwelt auch startete, wie man’s ihm gewünscht hätte. Aber von heute aus betrachtet, einige Jahre nach seinem Tod, ist einfach die bewegende Heiterkeit, die gerade in seinen späten Bildern liegt, eine große Lektion für uns alle, weil er uns nämlich zeigt, dass das Verdikt, jetzt gegenstandslos sein zu müssen oder gegenstandstreu sein zu müssen, wie es in zwei deutschen Systemen zum Beispiel gehandelt worden ist – das hat ihn nie interessiert!"

Service: Die Ausstellung "Emil Schumacher - Der Erde näher als den Sternen. Malerei 1936 bis 1999" ist vom 18. Februar bis zum 6. Mai 2007 im Sprengel Museum zu sehen.