Bildende Kunst

Im Abflussrohr durchs Museum

"Kunstmuseum" ist der Titel von Gregor Schneiders Raumkunstwerk in Bochum, August 2014
"Kunstmuseum" - so lautet der Titel von Gregor Schneiders Raumkunstwerk in Bochum. © picture alliance / dpa
Von Michael Köhler · 28.08.2014
Beklemmende Raumkunst ist das Markenzeichen Gregor Schneiders. Für das Kunstmuseum Bochum hat er nun eine begehbare Skulptur in Röhrenform hergestellt, die durch das Gebäude führt. Ein klaustrophobisches Erlebnis.
Der Besucher steht vor verschlossener Türe. Der Eingang ins Museum ist versperrt, geschlossen. Ein Scherzbold, wer jetzt denkt: "Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!" Das Museum im herkömmlichen Sinn ist stillgelegt, eingeschläfert. Der Eingang liegt hinter dem Museum. Der Zugang erfolgt durch eine Röhre, Abwasserkanälen nicht unähnlich.
Gregor Schneider: "Diese Abflussrohre wecken natürlich auch die Assoziation zu einem Verdauungstrakt."
Auf einer Fläche von circa 400 Quadratmetern durchläuft der Besucher im Alleingang eine begehbare Raumskulptur, eine Röhren- und Raumabfolge, die letztlich ins menschenleere Foyer des Kunstmuseums Bochum führt. Gregor Schneider:
"Hier ist nun der Haupteingang geschlossen, und der Besucher wird neben das Museum geführt, zur Anlieferung. Und dort hat er die Möglichkeit, über ein Abflussrohr, einen Zugang in das Museum zu finden. Dieses Rohr wird er dann, durch das Rohr und verschiedene Schleusen, von außen nach innen geführt. Er merkt vermutlich nicht, ab welchem Punkt er innen oder außen ist. Und dann ist er in der großen Ausstellungshalle des Kunstmuseum Bochums, die dann unsichtbar ist, da er sich ja in den Räumen befindet, in den Rohren und kommt dann unter anderem in einen Schlammraum."
Plötzlich wird man aus dem Alltäglichen herausgeworfen
Dieser vielleicht unscheinbarste, unbedeutendste Ort erinnert an Dreck, Kloake, Abwässer. Aber auch an Ungeformtes, an Modelliermasse. Aus Schlamm formen Kinder gern Fantasievolles. Und aus knetbarem Ton formte Prometheus die Menschen. Technische Intelligenz, Kunst und Handwerk fingen so an, kamen in die Welt. Am Ende steht das Museum, in dem künstlerische Artefakte aufbewahrt werden. Und auf die auch aufgepasst wird.
Museumschef GünterGolinski und die Bochumer Stadtverwaltung sind zu Recht stolz, in wenigen Wochen geschafft zu haben, was Duisburg nach einem dreiviertel Jahr der Vorarbeit ruinierte, gewissermaßen in den Schlamm trat. Eine ganz neue Arbeit dieses wichtigen zeitgenössischen Raumkünstlers ist entstanden.
Golinski: "Man durchläuft dunkle Teile. Man muss geduckt durchlaufen. Die Röhre ist 1,80 Meter hoch. Und bei diesem Durchgehen ist, glaube ich, der entscheidende Moment, dass man aus der Alltagssituation plötzlich herausgeworfen wird. Ich muss mich konzentrieren, muss mich auf mein Gehen konzentrieren. Die Beleuchtung ist auch sehr zurückgenommen, aber ich habe überall Notleuchten. Ich komm dann in vermeintliche Funktionsräume des Museums, um dann plötzlich einen eingerichteten Raum zu betreten, einen hell erleuchteten Raum, wo ich dann Versatzstücke wiederfinde, die ich assoziativ mit Magazinieren, Archivieren, mit Administration in Verbindung bringe."
Das Museum, eine Deponie für erfolgreich Veraltetes
Das ist kein Survivaltraining, kein Überlebenstraining für Furchtsame oder Klaustrophobiker, sondern eine kurze Kulturgeschichte des Sammelns, Archivierens und Ausstellens, also des Museums selber. Das Museum ist schließlich nichts anderes als ein Deponie für erfolgreich Veraltetes. Erst das preußische Ideal des Natur- und Kunstmuseums machte aus ihm einen Ort der Bildung und Vervollkommnung des Menschen.
Golinski: "Ich als Museumsmensch fange an, mich zu fragen, wenn ich das so vor mir sehe, was sammel' ich da eigentlich. Wer bestimmt, was ich sammel? Wer bestimmte, was gesammelt wurde? Und im Grunde, was sammel ich. Es sind ja eigentlich Utopien, es sind ja Gedanken, immaterielle Werte, die jetzt plötzlich registriert werden, archiviert werden."
Ausstellen, das ist auch Abtöten
Die neue Rauminstallation "Kunstmuseum" wäre aber kein Werk von Gregor Schneider, wenn nicht auch die erwartbaren Beklemmungen mit dem Besuch einhergingen. In einem der letzten Räume, einem Büroraum, stellt man fest, beobachtet worden zu sein. Kontrollkameras haben meinen Weg gesehen. Ich sehe nun nachfolgende Besucher. Was sieht der Besucher im Museum, wie wird er gesehen? Aufbewahren und Aufpassen, Kultur und Kontrolle gehören zusammen. Auch in den leblosen Räumen Gregor Schneiders war und ist etwas wirksam. Am Anfang stand der rohe, feuchte ungeformte Schlamm, jetzt sind da Lexika über Kunst, die Regale füllen. Die Bildung, das Kunsterlebnis sind kein Vergnügen, sondern auch ein Albtraum. Im Gespräch sagt Gregor Schneider, 'Ausstellen, das sei auch Abtöten'.
Schneider: "Mir war es wichtig, auch diese Museumsräume zu knacken. Ich hab' mir Gedanken darüber gemacht, wie kommt man in ein Museum rein, wie kommt man wieder raus. Wie kann man einen neuen Zugang schaffen, wie kann man das Museum auch an sich verändern?"
Auch wenn "Kunstmuseum" nicht zu seinen stärksten Arbeiten zählt, kann der Besucher in Bochum einen der produktivsten deutschen Gegenwartskünstler erleben, einen Requisiteur der Erinnerung, einen Arbeiter an Raum und Zeit.
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