Bildende Kunst

Hightech-Bilder und Tanzmaschine

Das Museum Folkwang in Essen ist einer der Veranstaltungsorte der Ruhrtriennale.
Das Museum Folkwang in Essen ist einer der Veranstaltungsorte der Ruhrtriennale. © AFP
Von Ulrike Gondorf · 15.08.2014
Begonnen hat sie als Theater- und Musikfestival, doch auf der Ruhrtriennale gewinnt die bildende Kunst an Bedeutung. Eine der gezeigten Installationen bringt die Besucher zum Wanken und Tanzen, eine zweite zeigt verblüffende und ästhetisch faszinierende Bilder aus der Arbeitswelt.
Eine spiegelnde Straße führt direkt unter den Hochöfen des alten Stahlwerks in Duisburg-Meiderich hindurch. Helles Scheinwerferlicht ist auf sie gerichtet, in dem schummrig halbdunklen Gewölbe, das die Unterkonstruktion der Hochöfen bildet. Jetzt scheint es durch die Lichtreflexe in tanzende Bewegung zu geraten. Denn auch die Straße selbst ist im Fluss. Das brasilianische Künstlerduo Cantoni Crescenti hat sich von der Erinnerung an die Metallschmelze inspirieren lassen zu dieser Installation mit dem Titel "MELT".
Die 70-Meterfläche fließt aber nicht von selber. Sie muss in Bewegung gebracht werden durch die Betrachter des Kunstwerks, die nach dem Willen der Künstler zu Benutzern werden. Leonardo Crescenti:
Ein Gefühl wie auf einer treibenden Eisscholle
"Wenn Sie hier raufkommen, verändern Sie sich. Sehen Sie, Sie lachen. Es ist ein ganz anderes Gefühl. Wenn ich mich bewege, spüren Sie das. Wir tanzen. Etwas ändert sich an der Körperhaltung, aber auch im Kopf."
Seltsam ist das, ein bisschen wie auf dem Trampolin oder auf einer weichen Matratze. Aber auch wieder anders, denn man spürt schon, dass nicht die Füße einsacken, sondern der Untergrund in Bewegung gerät. Vielleicht würde es sich so anfühlen auf einer Eisscholle, die auf dem Wasser treibt.
"Sie kennen sich nicht, aber sie tauschen Informationen aus"
Metallspiralen und Kugellager unter den 50 Aluminiumplatten, aus denen die drei Tonnen schwere Arbeit besteht, sind die Triebfedern dieses Kunstwerks. Leonardo Crescenti und seine Partnerin Rejani Cantoni haben etwas Erstaunliches geschaffen. Als Konzeptkunstwerk überzeugt es mit vielfältigen Anspielungen auf die Geschichte und Gegenwarts des Ruhrgebiets, das einmal Stahl produzierte und heute so gerne als Ideenschmiede gesehen würde. Es bringt Menschen in Bewegung und Interaktion – dieser Aspekt der Vernetzung ist den Künstlern besonders wichtig. Rejani Cantoni:
"Das ist unser oberstes Ziel: Die Menschen in Verbindung bringen. Einer macht hier einen Schritt und einer da drüben. Sie kennen sich nicht, aber sie tauschen Informationen aus. Jedenfalls werden sie zusammen lachen. "
Das ist nicht der geringste Charme von MELT: Es weckt den Spieltrieb und die Neugier, selbst eine Erfahrung zu machen. Die Installation, die frei zugänglich ist im Landschaftspark Duisburg-Nord, dürfte eine der Attraktionen der Ruhrtriennale werden.
Unter den Museumsausstellungen dieses Jahres zieht die Filminstallation "Eine Einstellung zur Arbeit" von Harun Farocki und Antje Ehmann im Museum Folkwang in Essen besondere Aufmerksamkeit auf sich. Aus traurigem Anlass – nach dem plötzlichen Tod des wichtigen Dokumentarfilmers vor knapp drei Wochen ist diese erste Präsentation des Projekts zugleich eine Art Vermächtnis geworden.
Zwei Minuten globale Arbeitswelt
Drei Jahre lang haben Farocki und Ehmann in Workshops des Goethe-Instituts mit vorwiegend jungen Filmemachern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet und ihnen eine Aufgabe gestellt: In ihrer Stadt Arbeitsvorgänge filmisch in einer einzigen Einstellung der Kamera zu dokumentieren.
"Jeder hatte zwei Minuten, erlaubt waren Zooms und Schwenks, aber keine Schnitte."
So erläutert Marietta Piekenbrock, Chefdramaturgin der Ruhrtriennale, die Spielregeln dieses Filmprojekts.
Im Museum Folkwang sind zehn Leinwände in einem Saal aufgestellt – jede für eine Metropole wie Kairo, Johannesburg, Bangalore, Buenos Aires oder Hanoi. Pro Stadt sind in der Installation fünf Filme zu sehen – tatsächlich existiert zu diesem Projekt, das Farocki und Ehmann als Enzyklopädie der Arbeit angelegt haben, weitaus mehr Material. Da stehen Hightech-Bilder aus einem Operationssaal neben archaischen Vorgängen wie der Fischerei, schwere Arbeit auf einer lärmumtosten Baustelle neben einer Gesangsprobe oder der Heimarbeit einer ganzen Familie, die Hüte näht.
Manchmal wird die Arbeit zum Spiel: Zwei Männer werfen sich Flaschen zu, die sie in einem Keller lagern wollen – plötzlich stoppt einer den Takt der eingespielten Bewegungen und wirft zurück. Oder die Maschine hat die Arbeit übernommen wie in einer Textilfabrik in China. Frauen spannen dort nur noch den Stoff auf, der dann wie von Geisterhand gesteppt wird. Es gibt verblüffende, schockierende, ästhetisch faszinierende Bilder. Wer die Zwei-Minuten-Geschichten anschaut, denkt sie weiter, malt sich ökonomische, soziale und persönlich Beziehungen aus. Und findet eine Einstellung zur Arbeit.
Das Thema Arbeit passt zum Industrieort
Piekenbrock: "Die Lebenshaltung, die man gegenüber der Arbeit einnimmt, nicht nur unsere Einstellung, die der Filmemacher, des Produzenten Harun Farocki, sondern auch die Einstellung der Abgebildeten, die unglaubliche Aufmerksamkeit, Konzentration und Kraft, die sie in jeden Handgriff legen."
Das Thema Arbeit scheint naheliegend für ein Festival wie die Ruhrtriennale, das an Industrieorten spielt. So wie Antje Ehmann und Harun Farocki es aufgegriffen haben, stellt sich ein spannender Bezug her zum Hauptprogramm mit Tanz und Theater. Die Filmemacher wecken auch für die Arbeit das konzentrierte und produktive Interesse, das aus einem Bühnenvorgang ein Schauspiel macht.
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