Bildband

Wirbellose reagieren nicht auf Anweisungen

Die Dendrogramma erinnern äußerlich an Pfifferlinge.
Die Dendrogramma erinnern äußerlich an Pfifferlinge. © dpa/picture alliance/Eurekalert
Von Susanne Billig · 15.12.2014
Sieben Jahre ist die Fotografin untergetaucht: Susan Middleton hat im Pazifiks wirbellose Lebewesen der Tiefe gesucht und gefunden. Diese Tierwelt ist auf das Leben unter Wasser spezialisiert, die Tiere haben sich der immerwährenden Dunkelheit angepasst - was aber nicht bedeutet, dass die Wirbellosen farblos sind.
Mollusken besitzen keine Wirbelsäule. Ihre Körper bewegen sich ohne die beiden spiegelbildlichen Hälften vorwärts, die dem Wirbeltier Mensch so vertraut sind. Mit ihren knallbunten Wülsten und Falten, Ausstülpungen, Tentakeln und Antennen erscheinen vor allem die ozeanischen Weich- und Gliedertiere wie aus einer fremden Welt.
Zoologen diskutieren darüber, wie viele Arten dieser Lebewesen sich in den Meeren verbergen und wie lange sie dem Ansturm der Umweltgifte noch stand zu halten vermögen. Der neue Bildband "In den Tiefen des Ozeans" von Susan Middleton zeigt - in außergewöhnlichen Naturfotografien - die Pracht dieser Tiere auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer extremen Gefährdung.
Das schwebt, als hauchzartes Nichts, eine Qualle auf dem schwarzen Papier. Aus kaum mehr Materie scheint die Alabaster-Nacktschnecke zu bestehen, ein Geschöpf wie eine Blüte, mit hellweißen, lanzettförmigen Blättchen. Eine andere Seite zeigt einen Borstenwurm: Vielfach vergrößert liegt er als Spirale aufgerollt vor dem Betrachter - fleischrosa und von Kopf bis Schwanz mit winzigen Beinchen gespickt.
Im Kleingedruckten stehen Zusatzinformationen
Sieben Jahre lang hat Susan Middleton all diese Tiere gesucht und gesammelt, in Aquarien gesetzt und beobachtet, ihre Lebensäußerungen kennengelernt und, wie sie am Ende des Buches in einem Making-of erzählt, auch schon mal viele Stunden gewartet, bis eine Seeanemone geruhte, sich zur vollen Blütenpose zu öffnen, oder bis die Weiße Seegurke auch die letzte ihrer ungewöhnlichen Tentakeln zur vollen Länge ausstreckte.

"Meine Modelle reagierten nicht gut auf Anweisungen", erzählt sie augenzwinkernd. Die Mühe hat sich gelohnt: Beim Betrachten der Bilder meint man förmlich zu spüren, wie diese seltsamen Lebewesen pulsieren, pochen und zittern - so hautnah rückt ihnen die Kamera auf den Leib.
Während die farbenprächtigen Fotografien im Hauptteil des Buches ohne weitere Erläuterungen ganz für sich stehen, finden sich im Kleingedruckten am Ende des Buches zoologische Zusatzinformationen. Die Texte im Hauptteil des Buches konzentrieren sich - in einem locker-unangestrengten Erzählton - auf biologische Grundprinzipien: Urzeitliche Verwandtschaftsbeziehungen, Körperbaupläne, Einheit und Vielfalt des Lebens im Meer.
Die Fotos sollen nicht informieren
Auch in ihren Texten gelingt es der Autorin immer wieder, ihrem Sujet ungewöhnliche Perspektiven abzugewinnen - etwa wenn sie davon erzählt, wie das Leben im Wasser den Tieren verschiedenster Arten dennoch ähnliche hydrostatische Skelette verleiht, die ihre Stabilität dem sie umgebenden Wasserdruck verdanken.
Mit ihren Fotos wolle sie nicht informieren, erklärt Susan Middleton, und sie seien auch nicht als wissenschaftliche Belege gedacht. Die wirbellosen Tiere werden von der Wucht der Meeresverschmutzung als erste mit voller Härte getroffen. Darum wolle sie dem Menschen die Würde und Schönheit dieser Tiere nahebringen - damit wir endlich lernen, die Meere vor uns selbst zu schützen.

Susan Middleton: In den Tiefen des Ozeans - Die schillernde Welt der Wirbellosen
Übersetzt von Werner Kügler
Knesebeck Verlag, München 2014
Gebunden 256 Seiten, 49,95 Euro

Mehr zum Thema