Bildband

Wenn Kunstwerke Geschichten erzählen

Goldene Bilderrahmen hängen an einer Wand.
Auf ihrem Streifzug begegnen die beiden Autoren Werken von van Gogh, Degas, Monet und Manet. © picture alliance / Daniel Kalker
Von Eva Hepper · 03.03.2015
Gespräche der Porträtierten, ein innerer Monolog des Modells, fiktive Briefe: Die Kunsthistorikerin Christine Traber und der Schriftsteller Ingo Schulze erwecken in ihrem Bildband 20 Gemälde der Münchener Pinakothek zum Leben.
Der Briefschreiber ist empört. Nichts Böses ahnend hätte er gemeinsam mit seinen jungen Nichten einen Freund besucht, und da hätten sie dieses niederschmetternd trostlose Bild an der Wand entdeckt. Seine Schützlinge seien völlig fassungslos gewesen. "Was in aller Herrgotts Namen hat Sie dazu verleitet, diese Gestalten zu erfinden?", fragt er schließlich den Maler, an den er seine Zeilen richtet.
Die Gestalten, von denen hier die Rede ist, sind "Die Lebensmüden". Fünf Männer, die nebeneinander auf einer Bank sitzen – gramgebeugt und bar jeder Hoffnung blicken sie vor sich hin. Ferdinand Hodler hatte sie 1892 gemalt und war damit zunächst auf große Ablehnung gestoßen: solch ein Sinnbild tiefen Leidens war ein Schock. Der Brief allerdings, der das zum Ausdruck bringt, ist Fiktion. Geschrieben haben ihn Christine Traber und Ingo Schulze, die sich zu 20 berühmten Gemälden der Münchener Pinakothek "KunstGeschichten" ausgedacht haben.
Werke von Manet, Monets und van Gogh
Die Kunsthistorikerin und der Schriftsteller schreiben zu Monets "Seerosen", Manets "Frühstück im Atelier", van Goghs "Blick auf Arles", Spitzwegs armen Poeten oder Degas' "Büglerin", um nur einige Bilder zu nennen. Dabei wählen sie jeweils verschiedene Erzählformen: Sie schreiben – stets Stil und Habitus der Zeit beachtend – fiktive Briefe, sie lassen Malermodelle innere Monologe führen, zeitgenössische Betrachter ihre Eindrücke beschreiben, Porträtierte untereinander ins Gespräch und einmal auch den Künstler selbst zu Wort kommen (Cézanne).
Bisweilen gelingen den beiden wahre Glanzstücke. So erzählt etwa die "Marquesa de Caballero" – Goya hatte die Hofdame 1807 porträtiert –, von ihrer inneren Welt und dass sie sich erstmals in diesem Bildnis wirklich selbst erkenne und möge, auch wenn sie in den Augen der anderen hässlich sei. Damit beschreiben die beiden Autoren nicht nur Goyas unbestechlichen Blick, sondern auch seine radikal moderne Malweise, die mit künstlerischen Konventionen und der Ästhetik ihrer Zeit brach. Und wenn Traber und Schulze Vermutungen anstellen, wie Spitzwegs armer Poet seinen zweiten Stiefel – tatsächlich sieht man nur einen – verloren haben könnte, wird Kunstgeschichte sehr anschaulich. Vor allem für junge Leser und Betrachter, an die sich das schön bebilderte Buch vorrangig wendet (Leseempfehlung 12 bis 15 Jahre).
Viele bekannte Details und Hintergründe
Leider sind jedoch nur wenige der 20 Geschichten so aufschlussreich, viele sind zudem sprachlich ungelenk. Wenn van Goghs Bäume sprechen oder Menzels Pelzmantel, ist das zwar originell, aber leider voller "schiefer" Beschreibungen. Schade auch, dass die beiden nur selten die eigene Fantasie schweifen lassen und eigene Geschichten erfinden. Viel zu häufig erzählen sie stattdessen bekannte Details und Hintergründe. Was Degas' Büglerin, alias Malermodel Emma Dobigny berichtet, ist ihr quasi eins zu eins aus einer kunstgeschichtlichen Fibel in den Mund gelegt. Da wäre wirklich mehr drin gewesen, wenn ein Schriftsteller und eine Kunsthistorikerin durch die Münchener Pinakothek streifen.

Christine Traber/ Ingo Schulze: Wirklich, wir können nur unsere Bilder sprechen lassen. KunstGeschichten
Hanser Verlag, München 2015
160 Seiten, 19,90 Euro

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