Big Data und Psychometrie

Internetdaten als Wahlkampfhelfer?

Donald Trump während seiner Rede in New York nach seinem Wahlsieg bei der US-Präsidentschaftswahl
Donald Trump während seiner Rede in New York nach seinem Wahlsieg bei der US-Präsidentschaftswahl © AFP/ Mandel Ngan
Markus Beckedahl im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 06.12.2016
Hat Donald Trump den US-Wahlkampf aufgrund der gezielten Auswertung von Internet-Profilen gewonnen? Ein Artikel aus dem Magazin des Schweizer Tagesanzeigers legt genau das nahe. Für den Netzaktivisten Markus Beckedahl greift die Erklärung allerdings zu kurz.
Glaubt man einem Artikel aus dem Magazin des Schweizer Tagesanzeigers, dann lässt sich der überraschende Wahlsieg Donald Trumps vor allem auf eines zurückführen: die minutiöse Auswertung von Big Data und eine daraus erstellte, maßgeschneiderte Wähleransprache. Der Bericht über den Entwickler eines entsprechenden Tools, Michal Kosinski von der Cambridge Universität in England, hat für viel Aufsehen gesorgt.

Keine "monokausale" Erklärung für Trumps Wahlsieg möglich

"Auch wenn diese Geschichte erzählt, dass im US-Wahlkampf Trump damit gewonnen hätte - ich würde das so noch nicht unterschreiben", sagt Markus Beckedahl, Internetaktivist und Journalist bei netzpolitik.org. Möglicherweise könne Technologie eine entscheidende Strategie in den so genannten Swing States darstellen. Aber: "Ohne einen Kandidaten mit dem passenden Framing bringt Ihnen auch der beste Internetwahlkampf nichts."
Trumps Sieg auf eine gezielte Datenauswertung zurückzuführen, sei zu monokausal, so Beckedahl, "da war der ganze US-Wahlkampf viel komplexer". Eines zeige die Geschichte jedoch deutlich: "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass diese Wahlkampf-Strategien da sind, genutzt werden - und dass wir es als Gesellschaft auch in der Hand haben, zu steuern und zu regeln, inwiefern solche Praktiken auch in Deutschland angewendet werden dürfen."

Weicht Deutschland seinen strengen Datenschutz auf?

In Deutschland gebe es zum Glück schärfere Datenschutz-Gesetze als in den USA, so Beckedahl. Allerdings habe die EU in den letzten Jahren die Grundverordnung für eine Neuregelung des Datenschutzes, die nun in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden solle. Das deutsche Innenministerium habe hierzu zwei Referenten-Entwürfe vorgelegt, die den Datenschutz im Sinne einer Minderung "zurechtschneiden" wollten.
Der Internetaktivisten sieht darin den falschen Weg: "Wir brauchen ganz klar strengere Regeln zur so genannten Zweckbindung, die verhindern, dass Daten über uns frei zirkulieren." Gleichzeitig müsse geklärt werden, inwiefern Daten zusammengeführt werden dürften - "damit wir verhindern, dass mal irgendwann solche Wahlkampfpraktiken gegen uns verwendet werden und damit auch die Demokratie ein klein wenig manipuliert werden kann."

Das Gespräch im Wortlaut
Liane von Billerbeck: Erst waren es dumme, weiße Männer, dann nicht ungebildete Frauen, nun sollen ein paar Internetingenieure schuld daran gewesen sein, dass Donald Trump die Wahlen gewonnen hat, zumindest wenn man den Text in einem Schweizer Magazin liest, das vom sogenannten Targeting spricht, also der Auswertung großer Datenmengen zum Beispiel aus Facebook, mit denen besonders zielgerichtet Wahlwerbung gemacht worden sei. Kann diese zielgerichtete Ansprache von Wählern Wahlen tatsächlich entscheiden?

Falk Steiner über den Hintergund:
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Am Telefon in Berlin ist jetzt der Journalist Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Schönen guten Morgen!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Kann das sogenannte Targeting, also die zielgerichtete Ansprache von Wählern mithilfe von Facebook-und-Co.-Daten, Wahlen tatsächlich entscheiden?
Beckedahl: Das ist immer noch umstritten, auch wenn diese Geschichte erzählt, dass im US-Wahlkampf Trump damit gewonnen hätte. Ich würde das noch nicht so unterschreiben. Möglicherweise kann man in Swing States, also in einzelnen Bundesstaaten in den USA, wo nur ein paar Zehntausend Stimmen den Unterschied machen, Targeting eine der entscheidenden Strategien sein. Aber ohne einen Kandidaten mit dem passenden Framing bringt Ihnen auch der beste Internetwahlkampf nichts.
von Billerbeck: Das heißt, Sie sehen den Zusammenhang zwischen diesem Targeting, dem gezielten Ansprechen, dass aus Daten, die aus dem Internet gewonnen wurden, von Facebook zum Beispiel, und dem Wahlausgang … keinen so eindeutigen Zusammenhang?
Beckedahl: Also, die Geschichte suggeriert ja, dass Trump durch diese Internetstrategie gewonnen hätte. Das finde ich zu monokausal. Da war der ganze US-Wahlkampf viel komplexer. Aber was zumindest diese Geschichte zeigt, ist: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass diese Wahlkampfstrategien da sind, genutzt werden, und dass wir als Gesellschaft es auch in der Hand haben zu steuern, zu regeln, inwiefern solche Praktiken auch in Deutschland angewendet werden dürfen.

"Targeting ist nichts Neues"

von Billerbeck: Nun sprechen wir ja bisher von den USA. Sie haben sofort Deutschland erwähnt, wir haben nächstes Jahr Landtagswahlen und die Bundestagswahl. Gibt es denn solche Versuche in Deutschland bereits, wer nutzt denn solche Methoden?
Beckedahl: Also, erst mal, Targeting ist ja nichts Neues. Targeting, das ist einfach Marketingstrategie. Hatte man, sagen wir mal, eine recht schlechte Streuung, indem man mit seiner Werbung nur alle Frauen angesprochen hat oder alle Männer. Mittlerweile kann man das ja sehr fein strukturieren.
Und die Grundlage von diesem Trump-Wahlkampf in den USA war ja nicht nur über Facebook zugängliche Informationen, sondern dieses Unternehmen soll ja, wie auch die Clinton-Kampagne und Obama-Kampagne vorher, auf dem freien Markt bei Datenhändlern Unmengen an zirkulierenden Daten von US-Bürgern zusammengekauft haben, die zu Profilen zusammengebildet haben, um dann zusätzlich mit den Facebook-Informationen Profile zu erstellen und mittels Targeting die dann individuell anzusprechen.
In Deutschland haben wir zum Glück noch stärkere Datenschutzgesetze als in den USA, insofern haben natürlich hier Parteien einige Fesseln angelegt bekommen, sodass sie eine Art von Wahlkampf führen müssen, als das in den USA möglich ist.
von Billerbeck: Das heißt, Sie sehen - anders als zum Beispiel Frank Rieger vom Chaos Computer Club, der das ja auf Twitter so gesagt hat - keine notwendige Regelung dieses Themas vor dem Bundestagswahlkampf, gesetzliche, meine ich?
Beckedahl: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass es bei uns bessere Regeln gibt als in den USA. In den USA gibt es Datenschutz ja fast noch nicht mal auf dem Papier. Mit anderen Worten: Alles ist möglich, dort kann man sich aus den unterschiedlichsten Datenbanken Information über Bürger, über Wähler zusammenkaufen, ohne dass die davon wissen.
In Deutschland haben wir strenge Regeln, das Problem ist, die deutschen Regeln sind halt auch nicht ganz so zeitgemäß. Deswegen hat die Europäische Union in den letzten Jahren eine europäische Grundverordnung für eine Neuregelung des Datenschutzes in der Europäischen Union diskutiert und beschlossen, das soll jetzt umgesetzt werden in nationales Gesetz.
Und hier ist das Innenministerium in den letzten Wochen mit zwei Vorschlägen für einen Referentenentwurf rausgekommen, die explizit den Datenschutz zurechtschneiden will, um im Namen von sogenanntem Datenreichtum unsere Rechte zu beschneiden und quasi ein klein wenig mehr in die USA-Richtung zu laufen, die dann wiederum mehr möglich machen würden, wenn das tatsächlich dann Gesetz werden würde, als es momentan unter der derzeitigen Gesetzeslage in Deutschland möglich wäre.
von Billerbeck: Das heißt, Sie plädieren eher für eine andere gesetzliche Regelung, und das auch noch vor der Bundestagswahl?

"Wir brauchen strengere Regeln zur sogenannten Zweckbindung"

Beckedahl: Ja. Also, die nationale Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung kann vor der Bundestagswahl noch durchgezogen werden, natürlich wird das dann noch nicht in Kraft treten, aber wir brauchen ganz klar strengere Regeln zur sogenannten Zweckbindung, die verhindern, dass Daten über uns frei zirkulieren, von denen wir nichts wissen.
Die Zweckbindung sagt zum Beispiel, dass, wenn wir uns bei einem Dienst – ob kostenlos oder nicht – im Netz anmelden, dann das Unternehmen nicht nachträglich sagen kann, na ja, also, Sie haben sich damals unter den Bedingungen XY bei uns angemeldet, wir haben jetzt einfach die Bedingungen mal geändert, wir dürfen das, und wir verkaufen jetzt einfach mal Ihre Daten weiter. Das könnte man klar regeln, und zwar im Sinne von Datenschutzrechten.
Und der zweite Punkt ist das sogenannte Profiling. Wir müssen anerkennen, dass Daten, die zusammengeführt werden, eine neue Aussagekraft bekommen. Und das könnten wir halt auch viel stärker in der nationalen Umsetzung dieser Datenschutzgrundverordnung regeln, damit wir verhindern, dass mal irgendwann solche Wahlkampfpraktiken gegen uns verwendet werden und damit auch die Demokratie ein klein wenig manipuliert werden kann.
von Billerbeck: Vorschläge waren das von Markus Beckedahl. Liebe Parteien, ich hoffe, Sie haben sie gehört und setzen sie auch in Gesetzestexte um! Herr Beckedahl, ich danke Ihnen!
Beckedahl: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.