Big Brother im Schweinestall

Von Dietrich Mohaupt · 25.01.2013
Seit Jahren steht die konventionelle Tierhaltung in Deutschland teilweise massiv in der Kritik - nicht artgerecht sei sie, nur an ökonomischen Interessen orientiert. In Schleswig-Holstein will ein Bauer gegen dieses Image vorgehen. Er hat eine Webcam im Abferkelbereich seines Stalls eingerichtet - und lädt jeden ein, sich selbst ein Bild zu machen.
Pressetermin im Schweinestall - oder besser: vor dem Stall! Die Tür öffnet sich nur einen schmalen Spalt weit - rein darf hier niemand ohne penible Einhaltung strenger Hygieneauflagen. Das gilt auch fürs Fernsehen, erklärt Werner Schwarz einem etwas enttäuschten Kameramann:

"Das Problem ist Ihre Kamera - weil wir die nicht in die Dusche oder in die Desinfektion stecken können, das ist das Problem - und ich nicht weiß, wann Sie wo im Stall gewesen sind, und insofern - hygienisches Problem."
Also muss ein kurzer Blick von der Stalltür aus genügen - zu erkennen ist ein schmaler Gang, links und rechts sogen. Abferkelbuchten. In diesen 2,60 Meter mal 1,90 Meter großen Boxen sollen die Muttertiere ihren Nachwuchs zur Welt bringen. In den Abferkelbuchten steht oder liegt die Sau in einer Art Käfig - dicke Metallbügel erlauben es ihr nur, sich nach links oder rechts abzulegen, frei bewegen kann sich das gut 150 Kilogramm schwere Tier in der Box nicht.

Industrielle Massentierhaltung ohne Rücksicht auf das Tierwohl, hinter verschlossenen Türen, fein säuberlich abgeschirmt vor den Blicken der Öffentlichkeit - so oder so ähnlich kritisieren Tierschützer immer wieder die konventionelle Tierhaltung in deutschen Betrieben. Ein Bild, das Werner Schwarz gar nicht passt - in Anzug und Gummistiefeln steht der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes vor der Stalltür und erläutert den Pressevertretern Sinn und Zweck von "Big Brother" im Schweinestall: Wir haben nichts zu verbergen, betont er:

"Wenn wir spüren, dass der Verbraucher nicht mehr versteht was wir machen, dann wird es doch höchste Zeit das wir zeigen, was wir machen und es auch erklären. In meinem Stall ist alles nach den neuesten Vorschriften aber auch nach den Erkenntnissen der Tierhaltung aus- und eingerichtet. Und deswegen habe ich überhaupt keine Bedenken, das zu zeigen."

24 Stunden rund um die Uhr fotografiert eine an der Stalldecke montierte Webcam alle 20 Sekunden einen Ausschnitt des Stalls mit drei Abferkelbuchten. Dreimal pro Minute ein neues Bild von den derzeit etwa zwei Wochen alten Ferkeln - mal säugend, mal schlafend auf einer speziellen Gummimatte unter der Wärmelampe. Der geregelte Alltag im Schweinestall - das will Werner Schwarz den Verbrauchern via Internet zeigen.

Zu sehen bekommen die aber auch den nackten Spaltenboden ohne jede Einstreu, damit die Gülle störungsfrei abfließen kann. Und deutlich erkennbar ist, wie wenig Bewegungsfreiheit die Sau hat. Was auf den ersten Blick wie Tierquälerei wirkt sei notwendiger Schutz für die Ferkel, erläutert Stallmanagerin Ulrike Tiefensee, die auf dem Betrieb von Werner Schwarz für rund 500 Zuchtsauen und deren Nachwuchs zuständig ist. Geduldig steht sie neben ihrem Chef an der Stalltür und beantwortet die Fragen der Presse:

"Wenn eine Sau sich hinlegt, dann lässt sie sich normalerweise einfach zur Seite fallen. Und diese kleinen Ferkel, wenn die dort gerade liegen, die haben keine Chance, wegzukommen. So eine Sau wiegt über 150 Kilo, so ein Ferkel in diesem Alter drei Kilo - da können Sie sich vorstellen, was dann passiert, wenn die Sau da sich drauflegt."

Ferkel und ihre Mütter dürfen in der Massenzucht keine normale Beziehung zueinander eingehen.
Ferkel und ihre Mütter dürfen in der Massenzucht keine normale Beziehung zueinander eingehen.© picture alliance / dpa / Emily Wabitsch
Das Bio-Siegel klebt in Düsseldorf auf der Fachmesse für Fleischprodukte "InterMeat" auf einer Packung Fleisch.
Verbraucher greifen eher zu preiswerten Angeboten als zum teuren Biofleisch.© AP - Michael Gottschalk
"So viel Transparenz wünschen wir uns eigentlich in jedem Betrieb"

Ortswechsel - vom Schweinestall in ein Büro in der Kieler Innenstadt.

Telefon klingelt

"Pro Vieh VgtM - Broxtermann, Guten Tag ... Ja, einen Moment bitte, ich verbinde Sie mal mit unserem Geschäftsführer."

VgtM steht für "Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung" - Stefan Johnigk ist Geschäftsführer bei Pro Vieh. Am PC in seinem Büro surft er regelmäßig auf die Internetseite des Bauernverbandes Schleswig-Holstein - gleich auf der Startseite sind die Live-Bilder aus dem Schweinestall zu finden.

"Ich finde, das ist sehr spannend, das Experiment, was Herr Schwarz dort wagt - Hut ab vor dem Mut, den er dort beweist, denn: So viel Transparenz wünschen wir uns eigentlich in jedem Betrieb."

Nicht ganz so gut gefällt dem Biologen allerdings, was er auf den Bildern zu sehen bekommt - die typische konventionelle Schweinehaltung in Deutschland eben, die wenig mit tiergerechter Haltung zu tun hat, kritisiert Stefan Johnigk. Die Bilder der Webcam zeigen ganz deutlich die Mängel aus Sicht der Tierschützer.

"Das fehlende Beschäftigungsmaterial zum Ausleben des natürlichen Stöber- und Wühlverhaltens, die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten kann man hier sehr gut erkennen. Ich kann Ihnen ganz einfach mal zeigen, wie das in der Schweiz gemacht wird in der konventionellen Sauenhaltung - hier mal ein Bild aus einem Sauenstall in der Schweiz. Hier ist die Sau nicht fixiert, sie hat einen größeren Bereich zur Bewegung zur Verfügung, auch nach der Geburt ist noch Material zum Stöbern und Wühlen verfügbar."

Sind Metallkäfige für Muttertiere nötig?

Das Bild aus der Schweiz zeigt tatsächlich eine völlig andere Welt der Schweinehaltung: Stroh und Jutefasern auf dem Boden der geräumigen Abferkelbucht, abgetrennte Fress- und Kotbereiche, an den Wänden der Box sind dicht über dem Boden dicke Metallstangen angebracht, damit die Sau kein Ferkel zwischen Wand und ihrem massigen Körper einklemmt, wenn sie sich hinlegt - keine Spur von einem massiven Metallkäfig für das Muttertier. Es funktioniert:

"Anders als die Bauern vom Bauernverband das in Deutschland behaupten, haben die Schweizer nicht erhöht Ferkelverluste. Das heißt also, diese Sauen, die sich so frei bewegen können - auch da kommt gelegentlich ein Ferkel zu Schaden, das bleibt nicht aus - aber wenn man das wissenschaftlich betrachtet, so sind die Ferkelverluste in diesem "freien" Abferkelstall in der Schweiz nicht höher als in Deutschland, wenn die Tiere fixiert sind."

Die Live-Bilder der Webcam aus dem Schweinestall von Werner Schwarz bieten sicher einen interessanten Blick hinter die Kulissen der sonst streng abgeschirmten Schweinehaltung, räumt Stefan Johnigk ein - als Mittel, verlorengegangenes Vertrauen der Verbraucher wieder zurück zu
gewinnen, taugen sie seiner Meinung nach aber kaum:

"Wir sehen hier auf dem Bild in der Webcam ganz viele Punkte wo wir sagen: Das könnte man den Tieren deutlich verhaltensgerechter, deutlich angenehmer, deutlich tiergerechter machen."

Um das zu erreichen führt der Verein Pro Vieh gerade intensive Gespräche mit dem Bauernverband und dem Lebensmittelhandel über ein Bonussystem für Tierhalter nach dem simplen Prinzip: Mehr Geld für mehr Tierschutz.

"Es ist zurzeit so, dass sich das in Deutschland für die Landwirte überhaupt nicht auszahlt, wenn sie ihren Tieren ein gutes Leben bieten. Es zahlt sich aus, wenn viel Masse produziert wird, und da wird mit rein wirtschaftlichen Parametern bemessen - wir wollen, dass das Tierwohl im Stall und die Fähigkeit des Bauern, pfleglich und gut mit den Tieren umzugehen, tatsächlich auch sich als Leistungsparameter für den Betrieb auszahlt."