Biedermänner im Parlament?

Von Dieter Wulf · 10.06.2005
Mit 9,2 Prozent der Stimmen, nur knapp hinter der SPD, zog die NPD im September 2004 in den sächsischen Landtag ein. In einigen Gemeinden konnte sie sogar Stimmenanteile von bis zu 25 Prozent erringen. Mit gezielten Provokationen machen die rechtsextremen Abgeordneten von sich reden. Die übrigen Parteien grenzen sich demonstrativ ab.
Doch in geheimen Abstimmungen erhält die NPD immer wieder Unterstützung von anderen Parlamentariern. So scheint die Taktik der Rechtsextremen aufzugehen, das parlamentarische System lächerlich zu machen und zugleich auszunutzen.

"NPD, Schnauze voll, Wahltag ist Zahltag, jetzt NPD. Unsere Minister, die machen ein Gesetz nach dem anderen, der Deutsche zahlt immer mehr, der Deutsche soll immer mehr arbeiten für immer weniger Geld und das langt irgendwann mal."

Sommer 2004. So wie hier im sächsischen Königstein waren die Unterstützer der rechtsradikalen NPD kurz vor der Landtagswahl überall aktiv, erinnert sich ein Mann aus Pirna.

"Man musste nur mal dort lang fahren, wo gewählt wurde. Das war Königstein, da können sie nach Bahratal, da können Sie nach Bielatal, da können Sie nach Bad Gottleuba, da war - das ist mir zum Beispiel aufgefallen - da war nicht ein Werbeplakat von der SPD, nicht eins von der CDU, nicht eins von der PDS, die ja so groß im Osten ist da, war niemand vertreten, aber an jeder Straßenlaterne NPD, NPD, NPD, NPD. "

"Schnauze voll" hieß der simple Slogan und der fiel auf fruchtbaren Boden. In manchen kleineren Orten Sachsens hatte sogar fast jeder vierte Wähler der rechtsextremen Partei seine Stimme gegeben, landesweit 9,2 Prozent. Die Partei konnte somit erstmals seit knapp vierzig Jahren wieder in ein deutsches Parlament einziehen, ganz knapp hinter der SPD, aber etwa doppelt so stark wie die Grünen und die FDP. Was das bedeutet, merkten die etablierten Parteien, aber auch die Journalisten schon am Wahlabend, als der NPD-Spitzenkandidat Holger Apfel bei der ARD ans Mikrophon trat.

"Am heutigen Tage haben die Vertreter der etablierten Politiker eine schallende Ohrfeige für eine sich immer asozialer gebärdende Politik erhalten. Sie haben die verdiente Quittung bekommen für eine volksfeindliche verlogene heuchlerische Politik. Es ist ein guter Tag fürs deutsche Volk. Es ist ein Signal, dass eine vereinte nationale Rechte in den Bundestag einziehen wird. Diese Landtagswahl wird vieles verändern. Die NPD liegt auf einer Augenhöhe mit der Regierungspartei, der Noch-Regierungspartei im Bund, der SPD. "

Zu bester Sendezeit präsentierte Holger Apfel seine Parolen ohne Punkt und Komma. Keine Gegenrede der anderen Politiker, keine Zwischenfragen von Journalisten. Gleich danach das Gleiche beim ZDF.

"Zunächst einmal ist der heutige Tag ein großartiger tag für alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen, es ist die verdiente Quittung für eine immer asozialere Sozialpolitik, für ein asoziale Wirtschaftspolitik… - Hier gehen jetzt die ersten, das sind auch ziemliche Parolen… - Das wundert mich auch nicht, die Vertreter der etablierten Parteien … Das war zu erwarten an diesem Abend, wir geben jetzt … Seien Sie bitte still, seien Sie bitte still. Wir geben jetzt zu den Zahlen, zu Steffen Seibert. "

Hier versucht die ZDF-Moderatorin Bettina Schausten, dem NPD-Mann jedoch bereits nach wenigen Sekunden das Wort abzuschneiden

Die Parolen in der ARD unkommentiert über den Sender gehen zu lassen, war wohlmöglich auch problematisch. Apfel einfach nicht zu Wort kommen zu lassen, war, wie sich später herausstellte, ein noch viel größerer Fehler. Schon während des Wahlkampfes hatte sich gezeigt, dass Ausgrenzung und Verschweigen bei möglichen Wählern der NPD nur den gegenteiligen Effekt hatten, wie der NPD-Kandidat Uwe Leichsenring genüsslich berichtete.

"Diese Behandlung, die Ausgrenzung der NPD, ist auch ein Grund für unseren Wahlerfolg, denn man wird dann als Underdog gesehen, als ausgegrenzter. Da setzt auch ein Mitleidseffekt ein, das sag ich ganz ehrlich. Selbst jemand, der uns nicht mag, aber erlebt, wie man uns ständig stigmatisiert, der wird ja irgendwann stutzig. Und wenn sie uns mal nicht mehr ausgrenzen, dann sind wir schlecht gewesen. "

Wie geht man am besten mit NPD-Vertretern um? Diskutiert man als Parlamentarier mit ihnen im Landtag? Und welche Rolle übernimmt man als Journalist? Äußerlich gesittet seien die Rechtsextremen, als Brandstifter jedoch umso gefährlicher, meint Thomas Euting, der für das ZDF aus Dresden berichtet.

"Wir müssen die Instrumentarien kennen lernen, beherrschen lernen und dann werden wir sie anwenden. Die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie von innen aufknacken und angreifen wie Wölfe, die in eine Schafherde einfallen. Das ist die Strategie der NPD, dazu stehen die in Hintergrundgesprächen. "

Immer wieder hatten rechtsextreme Parteien wie die Deutsche Volksunion oder die Republikaner den Einzug in Landesparlamente geschafft. Fast immer aber machten sich deren Abgeordnete durch ihre völlige Inkompetenz selbst lächerlich. Das aber sei in Sachsen zumindest in einigen Fällen ganz anders, meint Gunnar Saft, der Vorsitzende der Landespressekonferenz und Landtagskorrespondent der Sächsischen Zeitung, zum Beispiel mit Blick auf den 30-jährigen NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel, der Politik und Geschichte studiert hat.

"Er kennt sich in der Geschichte gut aus und kann zudem noch - und das ist was völlig Neuartiges - und kann wenn man mit Kollegen…, die mal mit DVU-Abgeordneten oder Republikanern zu tun hatten, kann ein gewisses intellektuelles Niveau halten, - nicht dumm, sondern einseitig erschreckend intelligent. "

Und wenn dieser dann die Ziele der NPD erläutert, hört sich das auch erst mal gar nicht so fürchterlich an.

"Es gäbe dann nach wie vor in den Parlamenten, die fortbestehen würden, Oppositions- und Regierungsparteien, allerdings wäre natürlich durch die Machtstellung, die ein volksgewählter Präsident hat, wären die Parteien in ihren egoistischen Positionierungen, in ihren Schaukämpfen, in ihren unterlassenen politischen Notwendigkeiten, weil wieder ein Wahltermin droht, wären beschnitten und wären wirklich auf die Rolle als Meinungsbildungshelfer zurück gestutzt. "

Letztendlich aber sei das nichts anderes als der Ruf nach dem alten nationalsozialistischen Führerprinzip, analysiert der Berliner Professor für Politikwissenschaft, Hajo Funke:

"Parteien sind nur noch Meinungsbildungshelfer, das heißt sie haben keine Funktion. Das ist eine Aufkündigung eines Kernelements des Grundgesetzes und mit der tendenziellen Allmacht des Präsidenten, die er vorschlägt, haben wir so etwas wie einen Führerstaat. "

Sachsen sei immun gegen Rechtsradikalismus, hatte der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vor Jahren erklärt. Eine sehr gefährliche, weil verharmlosende Aussage findet Sven Forkert, der seit vier Jahren in Riesa für "Aktion Zivilcourage" arbeitet, eine Gruppe junger Leute, die sich vor Jahren gründete, um etwas gegen die immer stärker werdenden Übergriffe rechtsradikaler Jugendlicher in der Sächsischen Schweiz zu unternehmen.

"So ’ne Aussagen waren sehr gefährlich, das muss man schon sagen, weil es natürlich Quatsch ist, dass Sachen immun ist gegen Rechtsextremismus, es waren schon Leute umgekommen und das war natürlich so was wie ein Freibrief für alle: Mensch, der Landesvater sagt, es ist kein Problem, dann ist es auch keins. "

In weiten Bereichen Sachsens, so die Beobachtung des Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Reiner Burger, hat die NPD es mittlerweile geschafft, als weitgehend normale Partei akzeptiert zu werden.

"Ich hab jetzt gehört auf meinen Fahrten durch das Land und bei Gesprächen, dass in manchen Teilen eben jetzt hier Sächsische Schweiz, dass die Leute sagen, na ja gut, NPD, das ist so was hier wie die ostdeutsche CSU, dass also der wahre Kern nicht gesehen wird von manchen, von manchen aber wiederum wird der wahre Kern sehr wohl gesehen. "

Auch Richard Hilmer, der Leiter des Berliner Wahlforschungsinstituts Infratest Dimap, beobachtet in Sachsen eine bislang in Deutschland gegenüber der NPD so nicht verzeichnete Akzeptanz.

"In bestimmten Bevölkerungsgruppen kämpfte die NPD Kopf an Kopf mit der CDU um die Position der stärksten politischen Kraft, gerade bei jungen Männern mit einfacher bis mittlerer Bildung in bestimmten Regionen das ist der gesamte Grenzgürtel von Tschechien rüber nach Polen, dort sind sie insbesondere stark gewesen. "

Von einer reinen Protestwahl spricht auch der CDU-Politiker Michael Geisler, der in der Sächsischen Schweiz als Landrat tätig ist, längst nicht mehr.

"Ich persönlich vertrete auch nicht, dass die NPD eine Eintagsfliege, eine politische Eintagsfliege sein wird. Ich glaube, man muss das sehr ernst nehmen und gerade die CDU muss das sehr ernst nehmen, weil die Wählerschaft, die die NPD an sich zieht, das sind sicher vordergründig auch CDU-Wähler und die CDU bekommt ein Problem, eine absolute Mehrheit zu erringen, wenn es auf dem rechten Rand die NPD weiter gibt. "

Dass die NPD gerade in der Sächsischen Schweiz mit ihren ausländerfeindlichen Parolen so erfolgreich habe sein können, sei völlig absurd, findet der Landrat. Denn schließlich könne man fast nirgendwo in Deutschland eine Region finden, wo weniger Ausländer wohnen als hier.

"Also im Landkreis Sächsische Schweiz beträgt der Anteil ausländischer Bürger weniger als ein Prozent, deutlich weniger als ein Prozent. Es ist ein Phantomschmerz, der den Menschen suggeriert wird durch die NPD. "

Natürlich sei das schlimm mit Ausländerhass und Rechtsextremismus, meint Sven Forkert, aber wenn man mit ihm durch die Innenstadt von Pirna schlendert, merkt man auch Begeisterung für seine Heimat.

" Also Pirna ist sozusagen die Hauptstadt der Sächsischen Schweiz, ja, mittelgroße Stadt, rund vierzigtausend Einwohner mit ner wunder-schönen Altstadt, historische Altstadt, schönen Gebäuden, schönem Marktplatz, an der Elbe, schöner Fluss ist immer wichtig in ner Stadt, find ich, ist total angenehm. "

Was sie denn von der NPD halten, frage ich drei Jugendliche, die uns entgegen kommen. Einer, offensichtlich Ausländer, Türke, wie mir die beiden anderen später erzählen, sagt gar nichts und verschwindet bald. Die beiden anderen, Mario und Paul, beide 17, sind dagegen umso gesprächiger.

"Sind schon ganz schön viele Ausländer hier, die auch nix machen, und dann ist eben auch, dass die mehr Arbeitsplätze schaffen wollen und das find ich halt besser an der NPD. "

Laut offiziellen Zahlen liegt der Ausländeranteil in Pirna und Umgebung bei 0,3 bis 0,8 Prozent. Mario und Paul leben aber offenbar in einer ganz anderen Welt.

"40 Prozent. Mehr, würd ich sagen, ja, 50 Prozent bestimmt schon, würd ich sagen, hier in der Gegend, ja. "

Was denn mit ihrem Freund sei, mit dem sie gerade eben noch hier durch die Stadt gezogen seien, will ich wissen. Na ja, so richtig Freund könne man da ja nicht sagen, ein Kumpel sei das vom Döner-Laden.

"Gegen so einen hab ich ja nix, aber zum Beispiel letztes Jahr, da waren hier ´n paar Döner-Läden und jetzt ist hier am Bahnhof an der Ecke hier in der Stadt sind bestimmt schon fünf neue Döner-Läden gekommen, jetzt kommt auf der Breite Strasse schon ein neuer. Ich ess ja auch ab und zu mal nen Döner, aber wenn die NPD wirklich durchkäme, müssten alle Ausländer raus, wa. "

Aber dass ihr Freund oder zumindest Kumpel dann das Land verlassen müsse, würde sie das nicht stören? Die Antwort ist überraschend einfach.

"Wenn’s denn so kommt, kann man ja nix machen. "

Besonders in den Schulen werde viel zu wenig vermittelt, was Demokratie eigentlich bedeutet und wie sie funktioniert, findet Sven Forkert. Vom Vermitteln gesellschaftlicher Werte habe man aber seit DDR-Zeiten genug.

"Aus dieser Erfahrung1989, Wende, diesen Ärger, hat man gesagt, das tue ich nie wieder. Ich mach hier meinen Dienst, ich bin hier für Mathe zuständig oder ich bin hier für Deutsch zuständig, meinen Unterricht ziehe ich durch, aber an allem anderen verbrenne ich mir nicht die Finger. Wir brauchen wieder den Mut für die Lehrer und der muss ihnen durch Regionalschulämter, durch die Politik, durch die, die ihnen den Auftrag zum Lehren geben, (vermittelt) werden dieser Mut. Auch für Werte wie Demokratie einzustehen und da Vorbild zu sein. Wo solln's denn die Kinder lernen? "

Auch Markus Kemper, der in Pirna Lehrer und Sozialarbeiter im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen berät, erfährt häufig, dass ganz elementare demokratische Grundsätze völlig unbekannt sind.

"Und wir erleben das in unseren Workshops, da sitzen oft Lehrerinnen und Kommunalpolitiker mit offenem Mund da, obwohl es ja eigentlich ein Allgemeingut ist, was steht in den Grundrechten Artikel 1 bis 20 drin, welche Freiheiten haben wir, was heißt Rechtstaatlichkeit, warum hat jeder die Möglichkeit, einen Anwalt zu nehmen, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit - all dieses ist zu wenig präsent. "

Und selbst politische Mandatsträger wüssten oft genug nicht, was mit Demokratie eigentlich gemeint ist und wie die NPD dazu steht.

"Wo auch Bürgermeister dann sagen, das ist eine demokratische Partei. Ist ja völlig falsch. Sie ist demokratisch legitimiert, weil es die Landtagswahl und die Kommunalwahl gab, sie ist eine zugelassene Partei, aber sie ist alles andere als demokratisch. "

Über Demokratie diskutieren, sich mit rechts orientierten Jugendlichen auseinander zu setzen, das trauen sich manche schon gar nicht mehr, so die Erfahrung von Landrat Michael Geisler.

"Das Problem ist, dass wir nie den richtigen Zugang zu diesen jungen Menschen gefunden haben. Und das mag auch daran liegen, dass man eine gewisse Scheu hatte und hat, sich beispielsweise mit jungen Leuten, die in den Kameradschaften wirken, auch tatsächlich mal auseinander zu setzen in dem Sinne, dass man sich mit denen mal an den Tisch setzt und mal diskutiert. Ich habe diese Situation quer durch alle Parteien erlebt im Jugendhilfeausschuss, als es darum ging, wollen wir denn jetzt mal mit den Jugendlichen in Reinhardtsdorf-Schöna reden, wer fährt hin? Da war Schweigen angesagt. Und selbst die dritte Aufforderung dass man sich mal aus der Sicht der Kreisräte auch mal persönlich einbringt, hat nicht zum Erfolg geführt, so blieb es dann letztendlich eine Arbeit der Verwaltung. "

Das Problem rechtsextremer Jugendlicher werde man nicht alleine im Landtag lösen können, meint Markus Kemper:

"Diese Jugendlichen sind irgendwo aufgewachsen, die sind irgendwo zur Schule gegangen. Welche Stationen sind sie durchlaufen, wer hat es denn erkannt? Der Bürgermeister? Der Lehrer? Der Sozialarbeiter? Der Pfarrer? Der Feuerwehrmann? Der Fußballtrainer? Das sind doch die Fragen. "

Aber auch im Parlament selbst findet ein Streit mit den Rechtsextremen nur in Ausnahmefällen statt. Viele Parlamentarier hätten einfach Angst vor der Auseinandersetzung, sagt der FAZ-Korrespondent Reiner Burger.

"Man hat Angst, ist mir auch gesagt worden, dann nicht bestehen zu können. Dann doch mal dazustehen und nicht das bessere Argument zu haben und nicht die Fähigkeit zu haben, vielleicht den anderen vorzuführen. Aber warum muss man denn mit so hochgesteckten Zielen da rangehen? Ich muss doch wenigstens die Auseinandersetzung beginnen. Auch wenn ich vielleicht nicht gleich den Riesen-Triumph habe. Das ist die Vorstellung, man müsse die mit jedem Schritt, den man macht, wegpusten, ist ja völlig überzogen. "

Doch es blieb es nicht nur dabei, dass die meisten Abgeordneten den offenen Streit mit der NPD scheuen. Das erwies sich, als Georg Milbradt sich am 10. November der Wahl zum Ministerpräsidenten stellte.

"An der Wahl haben sich 121 Abgeordnete beteiligt, ungültig waren 19 Stimmen, für Herrn Prof. Milbradt haben sich 62 Abgeordnete entschieden, für Herrn Uwe Leichenring haben sich 14 Abgeordnete entschieden. "

Nicht, dass Georg Milbradt im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit von 63 Stimmen verfehlte, war der Skandal, sondern dass der NPD-Kandidat Uwe Leichsenring nicht nur die zwölf Stimmen der eigenen Fraktion erhalten hatte, sondern sogar zwei Abgeordnete anderer Parteien für ihn gestimmt hatten. FAZ-Korrespondent Reiner Burger:

"Das ist die Abkehr von der Demokratie gewesen, das jubelnde Überlaufen, heimlich, im Verborgenen, aber jubelnd und bei vollem Bewusstsein zu Leuten, die das System kippen wollen, und ich muss ehrlich sagen, das war eigentlich noch schlimmer als der Wahlerfolg 9,2 Prozent, es war noch gravierender dieses Verhalten. "

In den folgenden Wochen und Monaten gab es immer wieder Abstimmungen, bei der die NPD teilweise etliche Stimmen auch aus anderen Fraktionen erhielt.

"Das ist keine Gewissensfreiheit, für die NPD zu stimmen, das ist gewissenlos. Es zeigt leider, dass es Leute gibt, die keine Demokraten sind und vielleicht untergeschlüpft sind bei demokratischen Parteien. Es gibt offensichtlich Leute, die nicht in der Demokratie angekommen sind. "

Im Januar, als das sächsische Parlament anlässlich des sechzigsten Jahrestages der Bombardierung von Dresden eine Gedenkminute abhalten wollte, kam es schließlich zu dem von vielen schon sehr viel früher erwarteten Eklat mit der NPD, die sich weigerte, zusammen mit den anderen Parteien der Kriegsopfer zu gedenken. Stattdessen sprach der NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel vom "Bomben-Holocaust" der Alliierten.

"Warum, meine Damen und Herren, winden Sie sich heute so, all die Dinge beim Namen zu nennen, die völlig unstrittig sind. Warum diese paranoiden Versuche, den Bombenholocaust herunter zu rechnen? Warum dieser erbärmliche Nationalmasochismus? Bei keinem normalen Volk der Welt gäbe es ein solches Verhalten, wie Sie es hier an den Tag legen? "

Endlich, so schien es, hatte sich die rechtsextreme NPD selbst demaskiert. Überregionale Medien berichteten. Der Skandal schien perfekt, glaubte auch Gunnar Saft von der Sächsischen Zeitung.

"Was auf der Tribüne im Plenum, überall unter Kollegen, in der Öffentlichkeit eine Riesenaufregung zu Recht beschworen hat und eine Empörung und dann zwei Stunden später, als man sich mal den vollständigen Redetext hat geben lassen, wo man einfach sagt, jetzt machen wir es mal fest, jetzt ham wir sie, jetzt zeigen wir mal, wie undemokratisch sie sind, dass man dann - ich gebs auch zu - mit 'ner gewissen Enttäuschung auch festgestellt hat, das bricht genau dort ab, wo es juristisch relevant wird, das bricht genau dort ab, wo man im Prinzip ihnen nachweisen könnte, was für Ziele dahinter stehen, so dass im Prinzip so ´ne Suggestion im Kopf, wohin das führt, den zweiten, dritten Schritt gedanklich zwar schon macht, aber der von der NPD offiziell gar nicht vollzogen wird. Und das schaffte ja nicht nur bei Journalisten, sondern auch hier im Landtag diese Erfahrung, dass man etwas sieht, aber nicht greifen kann. Etwas spürt, aber es doch nicht packt. "

Nein - von der Idee, dass die NPD sich selber entlarvt und, davon müsse man sich wohl verabschieden, meint der Parlamentsredakteur.

"Man erkennt das an keinem Antrag, man erkennt das an keiner Rede man, erkennt es nicht, wie sie hier durchlaufen, sondern es ist Suggestion im Kopf, dass man durchdekliniert, was steckt dahinter, in welche Richtung zielt das. So was Handfestes, dass man nun sagen kann: hier, zwei DIN A 4 Seiten, hier steht alles drin, wie böse sie sind, davon muss man sich verabschieden. Denn ich muss mal sagen, das Böse steckt bei ihnen im Kopf und das lassen sie auch so offen nicht raus. "
Holger Apfel, Fraktionsvorsitzender der NPD, spricht am Dienstag, 19. Okt. 2004, im Sitzungssaal des Sächsischen Landtages in Dresden während der ersten Sitzung der vierten Legislaturperiode
Holger Apfel, Fraktionsvorsitzender der NPD, spricht am Dienstag, 19. Okt. 2004, im Sitzungssaal des Sächsischen Landtages in Dresden während der ersten Sitzung der vierten Legislaturperiode© AP Archiv
Demonstranten protestieren in Dresden gegen den Einzug der NPD in den Landtag
Demonstranten protestieren in Dresden gegen den Einzug der NPD in den Landtag© AP