Bibliotheken als Treffpunkte

Von Ludger Fittkau · 22.10.2009
Unter Federführung des Deutschen Bibliotheksverbandes findet derzeit die bundesweite Aktionswoche "Deutschland liest" statt. Dabei sollen Bibliotheken als Treffpunkte und Kulturorte in den Mittelpunkt gerückt werden. Zu den Herausforderungen gehört die Leseförderung bei Migrantinnen und Migranten.
Auf den ersten Blick ist die Internationale Bibliothek in Frankfurt am Main eine normale Stadtteilbücherei. Das übliche Medienangebot auf 400 Quadratmetern, vor allem für Kinder: Harry Potter neben der Kiste mit den Mangas, jetzt zu Halloween ein Extraregal mit Grusellektüre. Deutscher Bibliotheksalltag, im Frankfurter Multikultiviertel Gallus, dort – wo fast jeder zweite Einwohner keinen deutschen Pass hat. Jeder Fünfte, der hier in Blickweite des Messegeländes lebt, hat türkische Wurzeln. Also steckt im Zeitungsständer am Bibliothekseingang die türkische Tageszeitung "Hürriet" gleich neben der "FAZ". An der Wand gegenüber ein Holzregal, über dem ein Schild hängt: "Deutsch lehren - Deutsch lernen". Darunter sortiert: Sprachkurse, Übungsbroschüren, Wörterbücher in etwa zehn Sprachen. Am Tisch vor dem Regal sitzen zwei elfjährige Mädchen. Maria Tomara hat griechische Eltern, Marie-Ann Osawa stammt aus Nigeria:

"Cool, wir können hier auch Schularbeiten machen. Da können wir nach vorne gehen und die helfen uns dann."

Die Bibliothekarinnen helfen. Spätestens in diesem Moment wird klar: Die Internationale Bibliothek Frankfurt am Main ist weit mehr als eine normale Ausleihstation. Hier geht es ganz existentiell um Sprache.

Gelernt wird auch in einem verglasten Extraraum in der Ecke. Dort finden Sprachkurse der Volkshochschule statt – für Einwanderer, die gerade erst ins Land gekommen ist.
Einer der ersten Orte, wo sie mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen, ist also eine Bibliothek. Das ist noch ziemlich einmalig in Deutschland. Silke Schumann, die Bibliotheksleiterin:

"Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen diese Kurse laufen hier durch unsere Räume und spätestens nach der dritten Sitzung fragen sie: Was ist das eigentlich, wo wir hier sind? Können wir uns das mal anschauen."

Man kann – und manchen packt in diesem Moment die Leselust. Wie Mubahil Madjed.
Er ist pakistanischer Abstammung. Der 14-Jährige kommt seit Jahren regelmäßig in die Bibliothek im Frankfurter Gallusviertel. Die Bücher und CDs, die er mitnimmt, kann er am Ende kaum noch tragen. Diese Woche sind noch Herbstferien, er braucht dringend Lesestoff. Sein Bücherhunger treibt Mubahil Madjed aus dem Gallusviertel auch regelmäßig auf das nahegelegene Messegelände.

"Ich habe auch auf der Buchmesse geguckt, da waren auch nicht gerade viele."

Wenn Mubahil Madjed Glück hat, kann er irgendwann an der Uni Mannheim studieren – der heutigen zweiten Station der Rundreise des Deutschen Bibliotheksverbandes. Er würde dort morgens um acht in die Hasso-Plattner-Bibliothek gehen und sie erst um Mitternacht wieder verlassen. Denn die Bibliothek im Mannheimer Barockschloss ist ein Traum. Auf 150 Metern Länge und über mehrere Etagen gestaltete der Architekt Wolfgang Mairinger eine perfekte, hypermoderne Lernlandschaft aus Stahl, Glas und Beton in einem Feudalgebäude von Versailles-Ausmaß.

"Der komplette Ausbau, die komplette Innenarchitektur wurde von uns auch mitgestaltet, in enger Abstimmung mit der Bibliothek. Also sämtliche Schreibtische, die Beleuchtung wurde von uns mitentwickelt, zum Teil neu entwickelt."

Das Ergebnis – überzeugend. Jeder, der diese Bibliothek betritt, möchte wieder studieren. Garantiert. Auch Studierende mit Migrationshintergrund wie die Jurastudentin Jasemin Oral können von diesem Ort nur schwärmen. Sie studiert eigentlich im benachbarten Heidelberg, hat aber die Mannheimer Bibliothek gerade für sich entdeckt:

"Es ist sehr viel Raum, die Arbeitsatmosphäre ist super, die Tische sind groß genug, man kann als Jurastudentin seine 10.000 Kommentare hier abstellen. Also ich bin rundum glücklich, seit drei Monaten hier Dauergast und ich möchte die Universität nicht missen."

Ob Deutsch für Anfänger in der Frankfurter Stadtteilbibliothek oder Deutsches Strafrecht für Fortgeschrittene im Mannheimer Schloss: Schon der erste Tag der Bibliotheksreise im deutschen Südwesten zeigt die ganze Bandbreite der Orte, die geschaffen wurden, um dem Buch zu huldigen. Auch, wenn das Buch heute nur eines von mehreren Medien ist, die hier genutzt werden: Die Bibliothek lebt und kann mit ein bisschen Mühe auch jederzeit neue Liebhaber finden – gerade unter denen, die landläufig als besonders schwierige Leseklientel gelten- den Migrantenkindern. Das allemal hat die heutige Reise bewiesen.