Bibliothek des Jahres

In Kiel gibt es mehr als Bücher

Die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) 2014 des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, aufgenommen am 23.10.2014 in Kiel (Schleswig-Holstein). Die Einrichtung wurde als Bibliothek des Jahres ausgezeichnet.
Die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) des Kieler Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (Schleswig-Holstein). Die Einrichtung wurde als Bibliothek des Jahres 2014 ausgezeichnet. © picture alliance / dpa / Andre Klohn
Von Dietrich Mohaupt · 24.10.2014
Die Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften in Kiel ist "Bibliothek des Jahres". Nicht etwa, weil es dort so viele schöne Bücher gibt, sondern weil die Bibliothek den Umgang mit neuen Technologien innovativ meistert.
Ja, es gibt sie auch in einer "radikal modernen" Bibliothek – die langen, schweren Rollregale, gefüllt mit Millionen Büchern. Bei aller Innovation, Thorsten Fromberg, Leiter des Büchermagazins in der ZBW, mag "richtige" Bücher, die haben ihren ganz eigenen Reiz sagt er. Und der kann offenbar so stark sein, dass er sogar eine Anreise über einige tausend Kilometer rechtfertigt.
"Letztens kamen hier zwei Chinesen aus Taiwan – die sind hier nur ins Magazin gekommen, um sich unseren größten Schatz hier anzukucken, den es im Bereich der Volkswirtschaftslehre gibt, nämlich die Erstausgabe von Adam Smith’s Wealth of Nations – und da haben sie dann auch gleich ein Foto von gemacht."
Mehr als vier Millionen Bücher, darunter eben auch solche Schätze wie die 1776 erschienene Erstausgabe von "Der Wohlstand der Nationen" von Adam Smith, dem Begründer der klassischen Nationalökonomie, 55 Regalkilometer auf sechs Etagen – beeindruckende Zahlen, aber dafür gibt es keine Auszeichnung vom Deutschen Bibliotheksverband. Als preiswürdig befand die Jury vielmehr den innovativen Umgang der Kieler Bibliothek mit den Herausforderungen des technologischen Wandels. Im Alltag von Forschung und Wissenschaft steht nämlich schon seit Jahren nicht mehr das klassische Buch sondern dessen digitalisierter Inhalt im Fokus der Bibliotheksnutzer – und darauf reagieren wir, erläutert Direktor Klaus Tochtermann.
Forschung und Social Media kombiniert
"Wir wollen also nicht mehr nur das Buch bei uns im Haus haben, sondern wir wollen die digitale Version eines Buchs, eines Zeitschriftenartikels, über möglichst viele Kanäle verteilen. Und diese Kanäle können Social Media-Kanäle sein, das können Datenserver sein, das können Systeme anderer Anbieter sein."
Neue Arbeitsgewohnheiten, neue Technologien, neue Nutzungsformen der klassischen Bibliothek im Internetzeitalter – unter dem Stichwort "Sience 2.0" widmen sich diesen Themenfeldern gleich drei Professuren und eine internationale Doktorandengruppe, die an der Bibliothek gemeinsam mit der Kieler Christian-Albrecht-Universität eingerichtet wurden. Darüber hinaus verfügt die ZBW auch über eine eigene Softwareentwicklung – Leiter der zehnköpfigen Abteilung ist Timo Borst. Sein Team hat gerade ein neues Browser-Zusatzprogramm, ein sogenanntes Plug-In, entwickelt. Timo Borst tippt an seinem Computer das Wort "Finanzpolitik" in das Google-Suchfenster ein.
"Nutzerinnen und Nutzer auch im wissenschaftlichen Umfeld bedienen sich immer noch Google, geben eben den gesuchten Begriff ein – Finanzpolitik – und parallel zu der Sucheingabe, die im Hauptfenster die Suchergebnisse aus der Google-Suche präsentiert, wird in dem sogenannten Widget von EEXCCESS die gleiche Suchanfrage eben auch ausgeführt, und Sie sehen hier parallel dazu auch eine Liste mit den Treffern aus den Inhalten der EEXCESS-Partner und unseren Angeboten."
Recherche nicht nur im Internet, sondern eben auch in den Archiven und Beständen mehrerer über das europäische Großprojekt EEXCESS miteinander vernetzter Bibliotheken und Institute – nur ein Beispiel für Innovation in der ZBW.
Erfolg hängt von der Wahrnehmung eigener Publikationen im Netz ab
"Ein anderer Schritt, an dem wir auch derzeit arbeiten, ist es, im Rahmen von Autorenumgebungen – wie z.B. Blog-Plattformen – mit solchen sogenannten Plug-Ins eben auch vertreten zu sein, um z.B. eben begleitend zu einem Blogeintrag im Hintergrund einschlägige Literatur anbieten zu können."
Nicht nur die Leser sollen davon profitieren, sondern auch die Autoren. Denn: Der Erfolg als Wissenschaftler hängt im digitalen Zeitalter ganz wesentlich von der Wahrnehmung eigener Publikationen im Netz ab. Wer hier mit seinen Werken leicht zu finden ist, hat die Nase vorn. Über ihren digitalen Publikationsserver EconStor bietet die ZBW deshalb bereits mehr als 75.000 frei zugängliche Dokumente an. Diesen Schatz wolle man künftig auch in sozialen Netzwerken noch offensiver platzieren, betont Klaus Tochtermann.
"Beispielsweise in Facebook schreibt jemand einen Text, und dann möchten wir erkennen: Worum geht es da? – und dort hinein unsere Literatur empfehlen. Das sind völlig neue Wege, da sind wir an den Anfängen – also wir haben noch genügend Ideen, um weitere Innovationen für uns, aber auch für die deutsche Bibliotheksszene zu entwickeln."
Vor allem dieser Schwerpunkt bei der Erforschung und ständigen Entwicklung weiterer Innovationen hat die Jury des Deutschen Bibliotheksverbands überzeugt – die ZBW gehe weit über übliche Standards hinaus und könne damit als Vorbild für andere Bibliotheken dienen, hieß es heute bei der Preisübergabe in Kiel.
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