Beziehungskomödie mit widerstreitenden Charakteren

Von Jörg Taszman · 11.04.2011
"Der Name der Leute", eine politische Komödie mit einem Kurzauftritt von Ex-Premierminister Lionel Jospin, wurde im Kinojahr 2010 in Frankreich zu einem Überraschungserfolg und gewann kürzlich zwei Césars, die französischen Oscars. Nun läuft der Film auch in Deutschland an.
"Während der letzten Fußball-WM trugen im Team von Südkorea nicht weniger als sieben Spieler denselben Familiennamen: Kim. Aus diesem Grund hat man für die Reporter auf die Trikots außerdem auch die Vornamen der Spieler drucken lassen, aber viele von ihnen hatten auch denselben Vornamen. Mein Name ist Arthur Martin. Es gibt in Frankreich 15207 mit diesem Namen."

Arthur Martin erscheint so durchschnittlich wie sein Name. Der Endvierziger ist Experte für Vogelseuchen. Er kann besser mit toten Wildvögeln als mit Menschen und ins Fernsehen lädt man den korrekten Monsieur Martin gerne ein, wenn es darum geht, vor der Vogelgrippe zu warnen.

Ganz anders ist Bahia. Schon der Name klingt brasilianisch und feurig. Und als die junge Frau, plötzlich in das Fernsehstudio stürmt und Arthur Martin lautstark bittet, er möge doch bitte aufhören, alle Welt so mit seinen toten Viechern zu verunsichern, sprengt sie die Sendung. Schon fünf Minuten später trinken beide dann einen Kaffee und Bahia bietet Arthur Sex an. Wie ungewöhnlich sie ist, erklärt uns Arthur Martin, der sich manchmal im Film direkt an den Zuschauer wendet.

"Sie erklärte mir, dass ihr Lebensmotto der alte Hippie-Spruch 'Make Love not war' sei. Deshalb schläft sie seit einigen Jahren mit ihren politischen Feinden, um sie zu bekehren. Sie benutzt ihren Körper als massive Vernichtungswaffe gegen die Faschos. Das Wort Fascho interpretiert sie sehr großzügig."

In Michel Leclercs turbulenter, politischer Beziehungskomödie prallen zwei völlig gegensätzliche Charaktere aufeinander, die nur eine einzige Gemeinsamkeit haben: Ihr Name verrät wenig über ihre Herkunft. Denn Bahia Benmahmoud hat weiße Haut, schwarze, lockige Haare und blaue Augen. Sie ist die Tochter eines Algeriers und einer Französin. Und Arthur Martin ist trotz seines französischen Allerweltsnamens ein Jude. Seine Mutter ist Jüdin, sie wurde als Kind versteckt, während ihre Eltern in Auschwitz ums Leben kamen. Aber alles Jüdische und der Holocaust sind ein Tabu im Hause Martin.

Auch in Bahias Familie gibt es Geheimnisse. So redet ihr algerischer Vater nie über die Gräueltaten der Franzosen. Er ist der liebenswerteste, hilfsbereiteste Mann, den man sich nur vorstellen kann. Nur dem Klavierlehrer, der einst der kleinen Bahia Klavierspielen beibringen sollte, hätte er gerne etwas angetan, weil der mit seiner Tochter ganz andere perverse Spiele im Sinn hatte. Aber darüber wird nie geredet im Hause Benmahmoud. Mit viel Witz, Ironie und hohem Tempo wagt sich Regisseur Michel Leclerc etwas.

Leclerc: "Wenn es einem gelingt, den Zuschauer zum Lachen zu bringen, dann kann man im besten Fall durch das Lachen ein paar Ideen an den Zuschauer bringen. Ich habe jedoch keinesfalls einen Film mit einer Message gedreht. Beim Lachen ist nur eins wichtig: Es darf nie zynisch oder böse sein. Im Film lacht man mit den Figuren. Sie machen sich über sich selbst und über ihre Familien lustig. Von dem Punkt an, kann man sehr weit gehen und auch provozieren oder über Tabus reden, genau weil man nicht in Zynismus oder Bosheit verfällt."
Auch wenn der Film wunderbar unterhält, so stellt Michel Leclerc dabei jede Menge Fragen zu Politik, Glaubwürdigkeit, sexueller Freizügigkeit, Freiheit und der Frage nach der eigenen Herkunft. Michel Leclerc, dessen Mutter übrigens auch Jüdin ist, dies aber nie thematisierte, hat einen leidenschaftlichen Film für das Miteinander gedreht und das Recht selbst zu entscheiden, wer man ist und wozu man steht.

Leclerc: "Wenn Arthur Martin im Film sagt, dass er nicht jüdisch ist, dann gibt es keinen Grund, ihm das nicht zu glauben. Man hat auch kein Recht zu meinen, er schäme sich seiner Herkunft. Diese Figur mag sich vielleicht schämen, da gebe ich Ihnen Recht, aber dennoch muss er sich definieren. Es hat auch nichts mit der Religion zu tun, das zu entscheiden. Man sagt mir immer sehr oft, dass in der jüdischen Religion die Mutter diejenige ist, die über die Herkunft entscheidet, aber ich bin nicht religiös. Ich glaube nicht an Gott. Warum sollte ich mich dann einem religiösen Gesetz beugen ..."

Wenn dieser übrigens alles andere als linear erzählte Film besonders gut funktioniert, dann liegt das an seinem Humor, den Dialogen und den herausragenden Darstellern. Jacques Gamblin, bei uns zuletzt gesehen als Vater in "C'est la vie", gehört schon seit Jahren in Frankreich zu den beliebtesten Schauspielern. Er schafft es, mit sparsamer Mimik zu überzeugen. Ganz extrovertiert dagegen spielt die 24-jährige Sara Forestier ihre Figur mit einer sexuell aufreizenden und auch naiven Komik. Völlig zu Recht erhielt sie den César als Beste Hauptdarstellerin.

In Frankreich entwickelte sich "Der Name der Leute" vor allem durch exzellente Mund-zu-Mund-Propaganda zu einem Überraschungserfolg im Kino und begeisterte 800.000 Zuschauer. Und wenn man sich bei diesem Film immer mal wieder an Woody Allen erinnert fühlt, so ist das von Regisseur Leclerc durchaus beabsichtigt.

Filmhomepage