Beyle Schaechter-Gottesman

Jiddisch lebt

Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
Im Maxim Gorki Theater fand ein Abend für Beyle Schaechter-Gottesman statt. © picture-alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Carsten Dippel · 27.06.2014
Sie war die Grande Dame des jiddischen Liedes: Beyle Schaechter-Gottesman, die im vergangenen Herbst mit 93 Jahren verstarb. In Berlin kamen Freunde und Weggefährten im Gorki Theater zusammen, um an sie zu erinnern.
Alan Bern: "Beyle war eine Person, die in der Lage war, ein Leben im 20. Jahrhundert zu übertragen auf andere Menschen, auf jüngere Generationen, so dass sie auch nachvollziehen konnten, was es hieß, einmal jung gewesen zu sein und durch den Krieg gelebt zu haben und Flucht gelitten zu haben und trotzdem das Leben zu lieben und in die Kunst und Kunstwerke so zu verarbeiten, dass es sogar ein Plus war, solche Erlebnisse gehabt zu haben."
Beyle Schaechter-Gottesman, die Grande Dame des jiddischen Liedes, Lyrikerin, Dichterin, Malerin, ist im vergangen Herbst mit 93 Jahren verstorben. Ihr zu Ehren kamen im Frühjahr Freunde und Weggefährten im Studio R des Gorki Theaters Berlin zusammen, um in einer musikalischen Hommage an das schöpferische Werk von Beyle zu erinnern. Ein sehr persönlicher Abend. Auch für Alan Bern, dem Mitbegründer von "Brave Old World", der seit vielen Jahren das Yiddish Summer Weimar Festival leitet. Auch Beyle war einmal dort und hat Menschen mit dem unterschiedlichsten Hintergrund jiddische Lieder beigebracht.
Alan Bern: "Jiddische Lieder sind gleichzeitig vertraut und unbekannt. Und ich glaube, genau diese Mischung macht so die Wärme und Einblick in die Kultur, wo man das Gefühl hat, da steckt sehr sehr viel Wertes drin."
Beispielhafte Dichterin
Zu den engen Freunden der Familie von Beyle Schaechter-Gottesman zählt auch der New Yorker Musiker Daniel Kahn, der mittlerweile in Berlin lebt und Bandleader von "The Painted Bird" ist. Er gehört zu einer Generation junger Künstler, die das Erbe der jiddischen Kultur auf ihre Weise weiterführen wollen.
Daniel Kahn: "Sie war ein großes Beispiel für mich als eine Dichterin, so jemand, die mit 'poesia' ihr ganzes Leben umgeht. Sie war in meinem Leben eine und in unserem Leben, in unserer Generation von Menschen, die in der säkularen, jiddischen, modernen Kultur interessiert sind, sie war vielleicht die letzte ihrer Generation, die diese Zwischenkriegszeit in Osteuropa gesehen oder erlebt hat und dann diese jiddische Kultur in die Gegenwart getragen hat."
Beyle Schaechter wurde 1920 in Wien geboren. Aufgewachsen ist sie jedoch in Czernowitz, in jenen Tagen, als die Stadt Paul Celans und Rose Ausländers ein Schmelztiegel aus jüdischer, deutscher, rumänischer, ukrainischer Kultur war. Zu einer Zeit, als das kommende Unheil ein noch fernes Donnergrollen war. Beyle Schaechter war vor dem Krieg eine der wenigen jiddischsprachigen Künstlerinnen. Sie hat die Welt auf Jiddisch gesehen, sagt Daniel Kahn, der mit der Sprache der osteuropäischen Juden selbst nicht aufwuchs, mittlerweile aber viele Songs auf Jiddisch singt.
Daniel Kahn: "Wir versuchen als jüngere Menschen und Künstler das weiter zu entwickeln und zu verstehen. Aber wir sind jetzt zu einem schwierigen Punkt in der Geschichte gekommen, weil viele, die unsere Vorbilder waren, sind in den letzten paar Jahren gestorben."
Epochales Lebenswerk
Sveta Kundish wuchs in der Ukraine auf, bevor sie nach Israel auswanderte und später nach Wien ging. Die ersten Worte auf Jiddisch hat sie bei ihrer Großmutter gelernt. Inzwischen lebt die Sängerin, die sich derzeit am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam zur Kantorin ausbilden lässt, in Berlin. Sie hat viele alte jiddische Lieder einstudiert und wiederbelebt. Beyle hat sie erst kurz vor deren Tod kennengelernt. Ihre Lieder hatte sie da jedoch schon längst ins eigene Repertoire aufgenommen.
Sveta Kundish: "Beyle ist eine Epoche. Wenn diese Leute weggehen, dann nehmen sie mit sich eine ganze Welt. Es gibt diese Welt nicht mehr. Und was wir jetzt machen, wie sagt man, Revival, aber das ist trotzdem ganz anders. Wir müssen das lernen. Wir müssen die Sprache lernen, wir müssen die Lieder lernen."
Sveta Kundish: "Und da plötzlich war es das Gefühl, das ist mein Kleid, das ist meine Kultur, das ist meine Musik und das ist genau, was ich machen muss und dann bin ich zurück zu Wurzeln gegangen, zu dem Ursprung, zu meiner Kultur. Ja, es ist ein sehr wichtiger Teil von mir. Ich liebe es, es spricht zu mir. Das ist nicht nur wunderschöne Musik, das ist Tradition. Tradition meiner Familie, Tradition meines Volkes, meine Identität, ja ein Teil von mir auch."
Von Wien in die New Yorker Bronx
Beyle Schaechter heiratete 1941 den Arzt Yoyne Gottesman. Sie überlebten beide das Czernowitzer Ghetto und gingen 1951 nach New York. Im Haus von Beyle wurde Jiddisch gesprochen. So hat sie ihre Kinder erzogen, die es wiederum an ihre Kinder weitergaben. In der Bronx hatten sich die Schaechters, Gottesmans und ein paar andere Familien rund um die Bainbridge Avenue eine kleine jiddische Insel aufgebaut. Auch mit dem erklärten Ziel, ihre Kinder zusammen jiddischsprachig aufwachsen zu lassen. Das alte Europa jedoch immer im Herzen.
Daraus schöpfte Beyle ihre kreative Energie. Es waren die Koordinaten, die Bezugspunkte in ihrem Leben. Beyle war ein lebendiges Zeugnis für die Vielfalt der jiddischen Kultur. Sie unterrichtete, arbeitete viel mit Kindern. Bekannt wurden vor allem ihre Lieder. Außerhalb der jiddischsprachigen Welt sind große Teile ihres umfangreichen lyrischen Werkes indes noch immer weitgehend unbekannt.
Janina Wurbs: "Ich lese jeden Tag was auf Jiddisch ich kommuniziere mit Freunden per Mail, per Chat, ich lese Zeitungen auf Jiddisch. Für mich ist es inzwischen einfach selbstverständlich geworden."
Ihr Erbe weitertragen
Janina Wurbs hat für einige Monate bei Beyle in der Bronx gelebt, sie betreut, ihren Geschichten zugehört und Jiddisch gelernt. Sie hat für den New Yorker "Vorwärts" und für ein jiddisches Radio in Warschau gearbeitet. Es sind Menschen wie Janina Wurbs, die Jüdische Studien studiert und Jiddisch gelernt hat, die ganz so wie Beyle als sogenannte Jiddischisten das erloschene Erbe des alten realen osteuropäischen Jiddischlands mit neuem Leben füllen.
Janina Wurbs: "Bashevis hat in seiner Nobelpreisrede gesagt, Jiddisch stirbt seit 100 Jahren. Es wird in dem Sinne weiterleben. Da ich es jetzt spreche, ist es für mich eine Sprache des Heute, die natürlich Wurzeln hat, die Jahrhunderte zurückliegen. Und man stößt natürlich auch immer wieder auf die großen Brüche. Klar wäre das blauäugig zu sagen, Jiddisch sprudelt vor Leben. Dass Jiddisch wert ist, weitergegeben zu werden, dass im Jiddischen, in der Sprache und Kultur die Kulturschätze stecken und dieses Bewusstsein dieser jahrhundertelangen jiddischsprachigen Kultur, das zu vermitteln, das ist ein Teil des Jiddischismus."
Janina Wurbs kümmert sich jetzt in New York um den Nachlass von Beyle Schaechter-Gottesman. Alan Bern, Sveta Kundish, Daniel Kahn und all die anderen werden Beyles Werk weitertragen.
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