Bewusst essen

"Bio-Lebensmittel suggerieren höheren Lebensstandard"

Zu sehen ist ein Haufen Limetten. Auf einer Limette befindet sich ein Aufkleber mit dem Bio-Siegel.
Das Bio-Siegel ist in Deutschland inzwischen ein Verkaufsanreiz. Immer mehr Konsumenten wählen bei ihrem Einkauf Bio-Lebensmittel. © picture alliance / dpa / David Ebener
Gudrun Sproesser im Gespräch mit Lilane von Billerbeck  · 15.02.2017
Der Konsum von Bio-Produkten wächst. Die Motive der Käufer seien unterschiedlich und reichten von dem Wunsch nach mehr Umweltschutz bis zur besseren Selbstdarstellung, meint die Psychologin Gudrun Sproesser anlässlich der Naturkostmesse "biofach" in Konstanz.
"Du bist, was du isst", sagt Gudrun Sproesser, Gesundheitspsychologin von der Universität Konstanz im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Naturkostmesse "biofach" in Konstanz. Zehn Milliarden Euro im Jahr geben die Deutschen für Bio-Lebensmittel aus und das Potenzial ist offenbar noch nicht ausgeschöpft.
Die Forschung zeige, dass bestimmte Merkmale von Lebensmitteln auf die Konsumenten übertragen würden, sagte Sproesser über den Erfolg von Bio-Produkten. Wenn das Lebensmittel als vorbildhaft und gesünder wahrgenommen werde, gelte das scheinbar auch für den Esser. Der bewusste Einkauf von Essen stehe in Zusammenhang mit dem Selbstbild des Käufers oder der Käuferin: "Bio-Lebensmittel suggerieren höheren Lebensstandard."

Verschiedene Motive

Psychologische Studien legten unterschiedliche Motive offen, die dazu führten, dass Konsumenten Bio-Produkte kaufen, sagte die Psychologin. Da sei vor allem der Wunsch nach mehr Umweltschutz, aber auch das Gefühl gesünder zu essen.
Das treffe allerdings nicht immer zu. "Der Bio-Schokoriegel ist jetzt nicht unbedingt gesünder als der normale Schokoriegel", sagte Sproesser.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Bio-Lebensmittel sind in Deutschland so gefragt wie nie, und der Umsatz steigt und steigt. Im vorigen Jahr wurden zehn Prozent mehr für Öko-Essen und -Trinken ausgegeben. Insgesamt waren das fast zehn Milliarden Euro, und das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft, sagen jedenfalls Experten. Heute beginnt in Nürnberg die Biofach, die Weltleitmesse für Naturkost, und sicher ist, dass jeder Esser nicht nur isst, sondern beim Essen auch Gefühle damit verbindet. Ernährung und Gefühle, das soll jetzt mein Thema sein im Gespräch mit Gudrun Sproesser vom Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz. Schönen guten Morgen!
Gudrun Sproesser: Morgen!
von Billerbeck: Was haben Sie denn heute gefrühstückt?
Sproesser: Ich habe, ehrlich gesagt, noch gar nicht gefrühstückt. Das ist noch zu früh für mich.
von Billerbeck: Ich hatte es befürchtet. Was werden Sie denn frühstücken?
Sproesser: Wahrscheinlich Müsli.
von Billerbeck: Und dann denken Sie, ich habe mir was Gutes getan.
Sproesser: Nein, das mag ich einfach gern.

Das Bio-Geschäft

von Billerbeck: Ach, so kurze Antworten hier – Frau Sproesser, wir wissen ja, dass Essen mit gutem Gewissen auch ein Geschäft ist, ein gutes Geschäft, und das hat ja längst die Ecke Öko, Bio verlassen. Der Umfang wächst, ich habe es gesagt, mit Bio-Produkten. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass das so ist, dass immer mehr Menschen sich so ernähren.
Sproesser: In der psychologischen Forschung hat sich eben gezeigt, dass da verschiedene Motive dahinterstecken bei den Menschen. Ich denke, vor allen Dingen ist das Umweltschutz, das Motiv, das natürlich am häufigsten zutrifft, wenn die Leute Bio kaufen, also so eine Natürlichkeit einfach, Bedenken über Herkunft et cetera. Ich denke aber auch, Gesundheit spielt da mit, also so ein Gesundheitsmotiv, weil sie denken, das ist gesünder für sie.
Ich denke, manchmal trifft das auch zu, manchmal muss es nicht zutreffen. Ich denke, der Bio-Schokoriegel ist jetzt nicht unbedingt gesünder als der normale Schokoriegel. Ich denke aber auch, so ein gewisses soziales Image schwingt da mit. Das heißt, dass halt diese Bio-Lebensmittel auch einen höheren Lebensstandard vielleicht auch suggerieren, man damit vorbildlich ist.
von Billerbeck: Das heißt, ich kaufe mir einen Image-Mehrwert, indem ich solche Esswaren, solche Lebensmittel zu mir nehme?
Sproesser: Genau. Da hat auch die Forschung gezeigt, du bist, was du isst, dass eben entsprechend diese Merkmale der Lebensmittel auch auf den Konsumenten dann sozusagen übertragen werden. Wenn das Lebensmittel als so vorbildhaft wahrgenommen wird oder gesünder auch, dass dann auch der Esser als vorbildlicher, als gesünder wahrgenommen wird.

Die Manipulation lauert überall

von Billerbeck: Das hat also was mit meinem Selbstbild auch zu tun. Wenn man das mal aus der psychologischen Perspektive betrachtet: Wie kann ich es denn schaffen, dass ich mich da frei mache von Manipulation? Denn das ist ja auch Teil des Geschäfts.
Sproesser: Das ist ziemlich schwierig, würde ich sagen, denn wir werden eigentlich, wenn man so will, überall manipuliert, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Schon im Supermarkt Musik, Duft hat einen Einfluss auf unsere Kaufentscheidung, die Anordnung der Regale, die Anordnung der Produkte, wie hoch die gelagert werden, die Verpackung. Das alles manipuliert uns sozusagen. Ich denke, was man machen kann insgesamt in so einer Einkaufssituation, ist, dass man sich einfach vorher überlegt, was man einkaufen möchte und dann auch gezielt nur diese Sachen kauft, und dass man auch nicht hungrig in den Supermarkt geht. Das hat sich auch als hilfreich erwiesen, um dann solche Spontankäufe zu vermeiden.
von Billerbeck: Das gilt also genauso für Bio.
Sproesser: Genau.
von Billerbeck: Nun erleben wir ja, dass Bio sehr gefragt ist, die Nachfrage kommt gar nicht hinterher. Also die größten Mengen werden ja in der Zukunft immer aus dem Ausland kommen, aus Ländern wir Kasachstan, et cetera, der Ukraine. Umgekehrt ist es auch so, dass manche Wursthersteller Vegetarisches herstellen, also selbst Veganes. Das ist ja nicht nur ein Alibi fürs Image, sondern schlicht ein wachsender Geschäftszweig. Kann sich also, wer auf Fleisch verzichtet und die berühmten veganen Würstchen ist, gleich mal als Besseresser fühlen?
Sproesser: Es gab letztes Jahr ein Klimagutachten vom wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, und da war tatsächlich dann eine Empfehlung, dass für den Klimaschutz tierische Produkte oder der Konsum tierischer Produkte reduziert werden sollte und vor allen Dingen der Fleischkonsum, da eben diese Fleischproduktion tatsächlich sehr viele Ressourcen verbraucht. Insofern kann man da vielleicht tatsächlich sagen, dass Leute, die wenig oder kein Fleisch essen, fast Besseresser sind, wenn man jetzt auf das Klima schaut.

Stressesser und Stresshungerer

von Billerbeck: Essen hat ja mit Gefühlen zu tun, ich habe es am Anfang gesagt, aber auch umgekehrt – das sind nicht nur positive Gefühle, sondern auch negative. Wir kennen das alle, dass wir manchmal so Frustesser sind. Wie erklärt das die Psychologin.
Sproesser: Ernährung und Emotion, das ist auch ein sehr großes Forschungsfeld. Es gibt sehr viel dazu, wie negative Emotionen unser Essverhalten beeinflussen. Da gibt es unterschiedliche Typen von Essern, und zwar einmal eben Personen, die dann mehr essen, wenn sie negative Emotionen haben, und Leute, die weniger essen. Wir haben uns das in unserer Forschung in Konstanz einmal angeschaut für das sogenannte Stressessen, also aufgrund von Stress einfach mehr oder weniger zu essen. Und da haben sogenannte Stressesser eigentlich einen ganz negativen Ruf, weil man eben denkt, dass die ganz unreguliert sind und dann entsprechend auch zunehmen, weil sie immer essen, wenn sie Stress haben.
Wir haben diese Stressesser und Stresshungerer aber sowohl einer positiven als auch einer negativen Situation ausgesetzt und gefunden, dass zwar die Stressesser in der negativen Situation mehr gegessen haben als die Stresshungerer, dafür aber in der positiven Situation weniger gegessen haben und über die beiden Situationen hinweg genauso viel gegessen haben wie die Stresshungerer. Das heißt also, es muss nicht negativ sein, aufgrund von negativen Emotionen zu essen.
von Billerbeck: Weil das gleicht sich alles hinterher wieder aus.
Sproesser: Genau. Solange so ein Gleichgewicht an Situationen besteht.
von Billerbeck: Gudrun Sproesser war das Psychologin an der Uni Konstanz, über Essen und Gefühle. Ich danke Ihnen, Frau Sproesser!
von Billerbeck: Und wenn Sie, liebe Hörer, zur Biofach nach Nürnberg wollen, das geht als Fachbesucher von heute an und als Normalmensch bis zum 18. Februar. Es wird vermutlich voll dort – man erwartet 48.000 Besucher.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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