Bewegung in unbeweglichen Zeiten

Von Hans-Ulrich-Pönack · 07.03.2012
Endlich mal ein deutscher Film, der auf historische Klarheit abzielt, urteilt der Kritiker Hans-Ulrich Pönack. "Barbara" dreht sich um eine Ärztin anno 1980, die einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt hat - und in die Provinz zwangsversetzt wurde. Wem kann sie trauen?
Natürlich George Orwell ("1984”), natürlich diese Atmosphäre von Unterdrückung, ständigem Unwohlsein, permanentem Misstrauen. Die DDR war Diktatur, wo der Mensch sich dem System unterzuordnen hatte. Und wenn er sich nicht einordnen wollte, wurde eben nachgeholfen in diesem verlogenen ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden.

Endlich einmal zielt ein deutscher Film auf die historische Klarheit - und das genauso spaßlos wie spannend. Sie heißt Barbara. Barbara Wolf. Sie ist Ärztin am renommierten Ostberliner Charité-Haus. Das heißt, sie war dort beschäftigt. Denn in der DDR anno 1980 wurde es übel genommen, wenn man nicht mehr in der DDR leben wollte. Barbara Wolf hat einen Ausreiseantrag gestellt und ist daraufhin nicht nur in die Provinz versetzt worden - sondern wird auch ständig überwacht und gedemütigt. Jetzt plant sie die Flucht zu ihrem Geliebten im Westen. Sie ist misstrauisch geworden nach allen Schikanen und lässt keinen an sich ran.

André Reiser ist ihr neuer Krankenhaus-Chef. Gibt sich hilfsbereit, zeigt sich behutsam verständnisvoll, scheint ein freundlicher, zugänglicher Mensch zu sein. Doch wem kann man überhaupt (ver-)trauen? Will er, soll er, sie auch ausspionieren? Über die Patienten, über die Behandlung von Patienten, öffnet sich Barbara. Ein wenig. Zum Beispiel die junge Stella . Ihre Odyssee durch einheimische Erziehungsheime hat sie wieder einmal hierher gebracht. In Barbara findet sie eine Seelenverwandte. Bewegungen in unbeweglichen Zeiten.

Christian Petzold hat einen außerordentlichen deutschen Spannungsfilm geschaffen, einen politischen Liebesfilm - ohne Schwarz-Weiß-Malerei, ohne Klischee-Häme, als Geschichte aus der deutschen Geschichte: Jemand möchte sein Zuhause finden, innerlich wie äußerlich.

Der Film "Barbara" ist ein faszinierender Glücksfall von Erzählung, Dramaturgie, Darstellung. Beschreibt (sehr) atmosphärisch deutsche Zeiten, sowohl in der stürmischen, schönen Landschaft, wie auch in den engen, bedrückenden Räumlichkeiten. Mit einer unter die Haut gehenden großartigen Nina Hoss in der Titelrolle, die geradezu traumwandlerisch in diese starke, verletzte, kluge Figur schlüpft.

In ihrer Begleitung, an ihrer Seite, wird dann auch der im hiesigen Kino bislang eher unauffällige Ronald Zehrfeld (34, "Der Rote Kakadu") als Vorgesetzter, und Arztkollege André Reiser adäquat zum ungeschliffenen, charmanten Rohdiamanten.

Deutschland 2012, Buch und Regie: Christian Petzold; Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Jasna Fritzi Bauer, Mark Waschke, Rainer Bock; ab 6 Jahren; 108 Minuten

Filmhomepage "Barbara"
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