Beuys' "Das Kapital" in Berlin

Ein ausgestelltes Ideengebäude als Weltereignis

Von Christiane Habermalz · 01.07.2016
Eines der wichtigsten Werke von Joseph Beuys ist von nun an im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen: "Das Kapital Raum 1970-1977" ist eine Dauerleihgabe des Kunstmäzens Erich Marx. Mit der Ausstellung verabschiedet sich Beuys-Kenner und Kurator Eugen Blume in den Ruhestand.
Beuys allein verlangt einem schon viel ab. Dass man seine Kunst "verstehen" könne, stellte er in Abrede. Seine erste Galerieausstellung 1965 eröffnet er mit einem toten Hasen im Arm, dem er drei Stunden lang ausführlich seine Bilder erklärte, während das Vernissage-Publikum drei Stunden durch die geschlossenen Glastüren dabei zusehen musste. Seine Kunst sind vor allem hochkomplexe Ideengebäude. Ohne den ständigen Diskurs, den der Künstler auf allen Ebenen führte, sind sie schwer entschlüsselbar – vielleicht sogar nie.

Zum eigenen Denken anregen

In der ersten Ausstellung seines Schlüsselwerkes "Das Kapital Raum 1970-1977" in Berlin setzten die Kuratoren Eugen Blume und Catherine Nichols noch eins oben drauf. 130 Objekte, Kunstwerke und Artefakte zum Thema Mensch und Ökonomie, die ihrerseits ganze Universen und Assoziationsketten eröffnen. Da hört man den Song der Sängerin Rihanna, wie sie ihrem Buchhalter, der sie betrogen hat, blutige Rache schwört. Wir sehen Bob Dylan, der Werbung für die amerikanische Autoindustrie macht. Dazwischen Adam und Eva, die ersten Schuldner der Weltgeschichte – oder Fotografien von Adam Gurski von der Börse in Singapur. Dazwischen leere Vitrinen aus dem Museum in Dahlem, Leerstellen, die zum eigenen Denken anregen sollen, erläutert Nichols.
"Es ist ein Raum mit Objekten, die miteinander kombiniert sind, die normalerweise in einem kulturhistorischen Kontext nicht nebeneinanderstehen würden. Dass wir auch wirklich feststellen, wo sind die anthropologischen Konstanten, was ist für unsere Zeit spezifisch. Und wir denken oft, der Kapitalismus hat eine Dynamik, die wir überhaupt nicht kontrollieren können, und vergessen, wo der Mensch bleibt darin, und wo die eigene Verantwortung sich darin finden lässt."

Schöpferische Kraft eines Menschen als eigentliches Kapital

Das nimmt Beuys universales Denken auf und setzt es fort. Er wollte Kapital nicht nur kritisch sehen, sondern es umdenken. Dennoch verspürt man angesichts des reichen menschheitsgeschichtlichen Panoptikums bereits eine gewisse geistige Erschöpfung, wenn man sich bis zum Hauptwerk durchgearbeitet hat. Erst im letzten Raum steht man endlich vor der Beuys‘schen Rauminstallation, geschaffen im Jahr 1980. Fünfzig mit Kreide beschriebene Schiefertafeln, ein Klavier, an dem eine Axt lehnt, Filmprojektoren, Zinkwanne, Gießkanne, Leiter, Fett. Eine Synthese seiner Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, dem er die Kunst gegenüber stellte: Das eigentliche Kapital, so Beuys, sei die kreative und schöpferische Kraft eines jeden Menschen. Eine radikale These, in den 70ern allemal. Aber ist sie das heute noch, in der Kunst und Kreativität längst als Markt begriffen werden? Für Blume ist Beuys vor allem einer der letzten großen Utopisten.
Ein Porträt von Joseph Beuys (1921-1986), Aufnahme circa 1985.
Ein Porträt des Künstlers Joseph Beuys.© imago/Leemage
"Dieser Versuch, also jenseits der gescheiterten Ideologien noch mal einen Universalismus anzugehen, der jeden Menschen einbezieht, das finde ich außerordentlich aufregend und das ist, glaube ich, etwas, was bleibt, und in unserer Zeit, wir leben ja nur noch in geschlossenen Verhältnissen. Wie können wir wieder offene Stellen schaffen, an denen wir das Denken wieder neu einsetzen können. Und dafür ist Beuys eine wirklich aufregende Figur."

Eines der wichtigsten Werke des 20. Jahrhunderts

Die Beuys-Ausstellung ist die Abschiedsausstellung des umtriebigen und kenntnisreichen Leiters des Hamburger Bahnhofs, Eugen Blume. Kaum ein Kunsthistoriker hat sich intensiver mit Beuys‘ Werk auseinandergesetzt als Blume. Und so ist "Das Kapital" im Hamburger Bahnhof nicht nur das Vermächtnis des Künstlers – er hat es sein "Monument für die Zukunft" genannt - , sondern auch des Ausstellungsmachers, der sich in den Ruhestand verabschiedet. Udo Kittelmann, Leiter der Nationalgalerie, feierte die Schau als:
"Ein Weltereignis. Und die Welt nimmt es bereits wahr, ich hoffe, dass auch Berlin es wahrnimmt, dass hier eines der wichtigsten künstlerischen Werke des 20. Jahrhunderts jetzt permanent anwesend ist."
Das ist es dank des Kapitalisten Erich Marx. Der 95-jährige Sammler und Mäzen hatte das Werk im Februar letzten Jahres für einen "nicht kleinen zweistelligen Millionenbetrag" gekauft und der Nationalgalerie als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Im Hamburger Bahnhof soll es zu sehen sein, bis das Museum der Moderne am Kulturforum 2020 fertiggestellt ist. Die gute Nachricht für die toten Hasen unter den Besuchern: Wer Intention und Bedeutung der 130 ausgestellten Objekte nicht sofort erkennt, kann dies in einen eigens ausgeteilten Handout nachlesen.
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