"Betrunkener Poroschenko"

Eine komplett erlogene Geschichte

Ukrainischer Präsident Poroschenko
Die Nachricht vom angeblich betrunkenen ukrainischen Präsidenten Poroschenko brachte es in zahlreiche russische Medien. © AFP / Sergei Supinski
Von Gesine Dornblüth · 02.10.2015
Kürzlich erfuhren russische Fernsehzuschauer, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko habe sturzbetrunken an einem Flug nach Russland gehindert werden müssen. Die Quelle dieser Meldung war eine deutsche Journalistin. Kleiner Schönheitsfehler: Die Geschichte stimmt gar nicht.
Der russische Fernsehkanal TW Zentr erreicht, laut Eigendarstellung, mehr als hundert Millionen Zuschauer. Vor kurzem berichtete der Sender, der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, habe sich stark alkoholisiert in Kiew in ein Flugzeug nach Moskau gedrängt. Er habe dabei ständig wiederholt, er müsse unbedingt mit Putin reden. Als Quelle zitierte TW Zentr eine Hörfunkkorrespondentin des Westdeutschen Rundfunks, Christina Nagel. Sie habe auf WDR 5 live gesagt:
Stenogramm:
"Aus zuverlässigen Quellen im Ukrainischen Geheimdienst habe ich erfahren, dass der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, gestern völlig betrunken war und nicht mit dem Linienflug Kiew-Moskau mitfliegen durfte."
Der Text war nachgesprochen, die Geschichte frei erfunden. Christina Nagel, im ARD Hauptstadtstudio in Berlin tätig, ist entsetzt.
"Das, was an dieser Geschichte stimmt, ist im Prinzip: Es gibt mich, und es gibt Herrn Poroschenko, aber das ist wirklich alles. Es gab weder einen Anruf von einer angeblich vertrauenswürdigen Quelle, noch so einen Bericht bei uns, weder von mir noch von irgendeinem anderen."
Darüber hinaus werfe die Geschichte viele Fragen auf:
"Selbst wenn Herr Poroschenko sich entschlossen hätte, spontan nach Moskau zu fliegen, warum sollte er eine Passagiermaschine nutzen und nicht die Regierungsmaschine? Wo sind die Handyfilmchen, wo sind die Augenzeugenberichte? Das sind eigentlich alles Punkte, die dafür sprechen, dass diese Geschichte einfach, sagen wir es mal ganz platt, erstunken und erlogen ist."
Russische Medien haben schon ganz andere Lügen in die Welt gesetzt. Zum Beispiel über ukrainische Soldaten, die angeblich einen kleinen Jungen im Donbass kreuzigten. Oder über den Premierminister der Ukraine, Arsenij Jazenjuk, der im Tschetschenienkrieg in den 90er-Jahren angeblich russische Soldaten folterte. Neu ist, dass solche Lügen westlichen Medien zugeschrieben werden.
Ursprungsquelle ist selbst ein Fake
Die angebliche WDR-Story brachte es in zahlreiche weitere russische Medien, darunter in das Massenblatt Moskowskij Komsomolez. Das berief sich auf eine Online-Agentur mit Namen "Charkow". Die ist allerdings selbst ein Fake und wird gar nicht in der ukrainischen Stadt Charkow gemacht, sondern, wie russische Medien recherchiert haben, in der berüchtigten "Trollfabrik" in St. Petersburg. Dort schreiben Menschen gegen Bezahlung kremlfreundliche Internet-Kommentare und beschimpfen Kremlkritiker. Der Petersburger Journalist Andrej Soschnikow hat ausführlich zu den Mechanismen russischer Propaganda recherchiert. Die erfundene Meldung zu dem angeblich betrunkenen Poroschenko erschien seinen Erkenntnissen nach zuerst in einem recht unbekannten russischen Blog, der voll ist von derlei Falschmeldungen.
"Die russische Propaganda ist ein Netz mit vielen Auftraggebern und vielen Ausführenden. Sie konkurrieren miteinander um Aufträge und eilen auch gern geflissentlich voraus. Es gibt kein zentrales Gehirn, das die gesamte russische Propaganda lenken würde. Dieser seltsame Blog mit Fake-Nachrichten hat vielleicht einfach Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen, mit einer geschickt konstruierten Geschichte."
Geschickt gemacht ist der Fake, denn Christina Nagel war bis vor zwei Jahren Korrespondentin in Moskau und auch für die Ukraine zuständig, genießt also Glaubwürdigkeit. Außerdem sind Radiobeiträge bei WDR 5, zumal live gesprochen, nicht unbedingt im Internet auffindbar.
Die verantwortlichen Medienmacher in Russland, die die Lüge über den ukrainischen Präsidenten weiterverbreiteten, standen für Stellungnahmen nicht zur Verfügung.
Der WDR hat eine Beschwerde bei der Russischen Botschaft in Berlin angekündigt.
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