Betriebsunfall oder Bestätigung

Rezensiert von Sabina Matthay · 07.10.2012
Die Autoren Christoph von Marschall und Wolfgang Geier behandeln und bewerten die Präsidentschaft von Barack Obama sehr unterschiedlich: Geier nennt die Bilanz des US-Präsidenten "durchwachsen", von Marschall findet sie durchaus "beachtlich".
Wolfgang Geier nennt die Bilanz von Barack Obama "durchwachsen": "Er ist rasch an die Grenzen der Macht gestoßen, viele Vorhaben sind Stückwerk geblieben. Die Probleme des Landes bleiben drückend, die Gegensätze in Politik und Gesellschaft "Obamerikas" haben sich weiter vergrößert."(S. 238)

Auch Christoph von Marschall schildert, wie die Krise und die dogmatisierten Republikaner Obamas Spielraum einengen, beurteilt dessen Leistung jedoch gerade deshalb als "beachtlich":

"Eine Wende weg von Bush hatte er versprochen. Doch schon die zweieinhalb Monate Übergangszeit bis zum Amtsantritt zeigen: Bushs Erbe bestimmt die Agenda. Das alles überragende Problem ist die Finanz- und Wirtschaftskrise.

Bald wird klar: Bevor Obama Amerika verwandeln kann, muss er seine Pläne an die reale Lage anpassen. Nicht er verändert die USA. Die Krise verändert ihn und sein Programm." (S.194)


Wohltuend bei Christoph von Marschall: er nimmt nicht europäische Verhältnisse als Maß aller Dinge, sondern lädt zur Reflexion ein. Etwa wenn er die völlig unterschiedlichen Erwartungen an den 44. Präsidenten beschreibt: Während die Europäer auf Veränderungen in der Weltpolitik hofften und davon zu wenig erfüllt sahen, setzten die Amerikaner auf die Lösung innerer Probleme:

"Auch das Urteil über seine Bilanz wird in den USA in der Regel ganz anders formuliert als in Europa. Nicht: Er tut zu wenig. Sondern: Er tut zu viel auf einmal und das Falsche.

Mit "zu viel auf einmal" ist der Elan gemeint, mit dem er sich an die großen Reformprojekte machte: Gesundheitswesen, Aufsicht über die Finanzmärkte, Energiewende, Umgang mit Homosexuellen und Umgang mit den Latinos, der am schnellsten wachsenden Minderheit.

Und der Vorwurf, er tue "das Falsche" meint: er hätte sich stattdessen tagtäglich um Besserungen in der Wirtschaft kümmern sollen. Für die großen Reformen wäre auch später noch Zeit gewesen." (S. 216)


Dass es Christoph von Marschall gelingt, amerikanische Beweggründe verständlich zu machen, ohne sie abzuwerten, ist ein großes Plus seines Buchs.

Ärgerlich ist dagegen, dass "Der neue Obama" so neu nicht ist. Den Hauptteil des Textes hat er direkt der Obama-Biographie entnommen, die er bereits 2008 geschrieben hatte. Anders als im Vorwort angekündigt nicht einzelne Passagen, sondern ganze Kapitel. Zwar schreibt von Marschall diese Biographie fort. Versprochen hatte der Untertitel aber etwas anderes: nämlich "Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist".

Angesichts der Konstellation dieses Wahlkampfs ist es zwar vermessen, von der Bestätigung des Amtsinhabers auszugehen. Doch hätte man nun eine ausführliche Bilanz von vier Jahren Obama erwartet.

Stattdessen: Begegnungen mit dem Präsidenten, die wenig über dessen Politik, ein bisschen über seinen Stil und einiges über den Autor verraten. Etwa bei einem Weihnachtsempfang im Weißen Haus:

"Barack Obama weist mit der rechten Hand einladend auf die First Lady und sagt: "Das ist meine Frau Michelle." Die Vorstellung ist eigentlich nicht nötig. Auch über sie und die Art, wie sie als erste schwarze First Lady agiert, habe ich ein Buch geschrieben: ‚Michelle Obama. Ein amerikanischer Traum’. Die Obamas wissen das."(S. 19)

Dass hier Eigenwerbung in die Beschreibung der Körpersprache des Präsidenten eingeflochten wird, wirkt denn doch arg eitel. Die wiederholten und teilweise gewollten Hinweise auf die persönliche Nähe zum US-Präsidenten lassen den Leser peinlich berührt zurück.

Wolfgang Geiers Buch über "Obamerika" kann man einen Mangel an Ausführlichkeit nicht vorwerfen. Seine "Berichte aus dem Land der unbegrenzten Gegensätze" speisen sich offensichtlich aus seinen Fernsehreportagen.

"Verwahrlost", "Abstiegsangst", "Bildungsdefizite" – die Überschriften der ersten Kapitel geben den Tenor vor: Amerika, eine Supermacht des Verfalls:

"Sinkender Wohlstand, schlechte Straßen, kranke Schulen und politischer Stillstand: all das hat den Glauben an eine bessere Zukunft, den 'amerikanischen Traum' nachhaltig erschüttert: Erstmals seit Generationen ist die Mehrheit der US-Bürger nicht mehr davon überzeugt, dass es den eigenen Kindern in der Zukunft materiell besser gehen wird." (S. 234)

Amerika, so Wolfgang Geiers Schluss, ist unter Obamas Ägide der Optimismus abhanden gekommen.

Dass aber trotz Arbeitslosigkeit und Krise immer noch zwei Drittel der Amerikaner sagen, sie hätten ihren persönlichen Traum erreicht oder würden ihn bald erreichen, berichtet er zwar, aber erklärt es nicht.

Es passt eben nicht in einen Blick auf die USA, bei der europäische Sozialstaatsverhältnisse das Nonplusultra sind. Privates Engagement für die Gemeinschaft, das in den USA weit verbreitet ist, sieht er nur als Beweis des Scheiterns. Etwa, wenn er über Bürger in Colorado berichtet, die freiwillig die Pflege von Parkanlagen übernehmen, um dem Geldmangel ihrer Kommune zu begegnen.

Nicht nur hat dieses Buch wenig historischen Tiefgang, dort wo es ihn vorgibt, macht es ärgerliche Fehler. So kann Wolfgang Geier, obwohl ausgebildeter Historiker, Präsident Franklin Delano Roosevelt nicht von dessen Vorgänger Theodore Roosevelt unterscheiden.

"Obamerika" bringt dem Leser weder die USA noch den gegenwärtigen Präsidenten näher. Dafür urteilt Wolfgang Geier eindeutig. für ihn ist Obama nicht nur ein Politiker des Stillstands:

"Auf ein Grundschema reduziert, agiert Barack Obama immer wieder nach diesem Muster: Der Präsident spricht ein wichtiges Thema an. Meist in einer Grundsatzrede, rhetorisch brillant, ebenso umfassend wie gründlich aufbereitet. – Und geht dann heim ins Weiße Haus." (S. 215)

Dies zu sagen über den amerikanischen Präsidenten, der das größte Reformgesetzgebungspaket seit über 40 Jahren durch den Kongress gebracht hat, in der größten Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren, entbehrt jeder Grundlage.

Doch aus Wolfgang Geiers Sicht hat dieser US-Präsident den Vorsitz über eine Wende zum Schlechteren geführt. Nicht so Christoph von Marschall: ohne Wiederwahl bliebe Barack Obamas Präsidentschaft unvollendet.

"Eine Amtszeit reicht nicht, um die Normalität eines nichtweißen Präsidenten zu verfestigen. Versagen ihm die Bürger die Wiederwahl, könnten seine Gegner den Sieg 2008 als eine Art Betriebsunfall abtun. Erst die Bestätigung im Amt macht es unabweisbar: Amerika will erneuert werden – mit ihm." (S. 238)

Christoph von Marschall: Der neue Obama. Was von der zweiten
Amtszeit zu erwarten ist

Orell Füssli Verlag, Zürich 2012

Wolfgang Geier: Obamerika. Berichte aus dem Land der Gegensätze
Galila Verlag, Etsdorff am Kamp 2012
Cover Christoph von Marschall: "Der neue Obama"
Cover Christoph von Marschall: "Der neue Obama"© Orell Füssli Verlag
Cover Wolfgang Geier: "Obamerika"
Cover Wolfgang Geier: "Obamerika"© Galila Verlag
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