Betreuungsgeld

"Unerwünschte Nebenwirkungen"

Die Richterbank am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Richterbank am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Fraglich ist, ob der Bund für das Betreuungsgeld zuständig ist. © imago/Stockhoff
Thomas Rauschenbach im Gespräch mit Nana Brink · 21.07.2015
Bleibt das Betreuungsgeld in seiner jetzigen Form bestehen? Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden es wohl heute kassieren - davon ist Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut überzeugt: aus juristischen Gründen. Die ideologische Diskussion stehe auf einem anderen Blatt.
Nach Meinung von Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, wird das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld für unrechtmäßig erklären. Der Bund greife damit in die Zuständigkeiten der Länder ein.
Nicht zu erwarten sei aber, dass die Richter die inhaltlich-ideologische Diskussion um die sogenannte "Herdprämie" aufgreifen würden, sagte der Erziehungswissenschaftler vor dem Hintergrund des für heute erwarteten Urteils des Bundesverfassungsgerichts.
Ein vergleichbares Betreuungsgeld gibt es auch in Finnland, Norwegen und Schweden. In der Bundesrepublik wurde es im August des Jahres 2013 eingeführt, auf Betreiben der CSU in einer damaligen schwarz-gelben Bundesregierung. Erhalten können es Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine staatlich geförderte Kindertagesstätte oder zu einer Tagesmutter geben. Hamburg hatte gegen die Sozialleistung geklagt.
Besonders viele Migrantenfamilien nehmen die Leistung
Rauschbach, dessen Institut Fakten und Auswirkungen des Betreuungsgeldes untersuchte, sagte, viel häufiger als erwartet würden Familien mit Migrationshintergrund das Geld in Anspruch nehmen. Somit hätte die Zuwendung durchaus auch "unerwünschte Nebenwirkungen", wenn die Kinder, die besonders gefördert werden sollten, zu Hause blieben.
Er betonte, grundsätzlich begrüße er den Vorstoß der SPD, flächendeckend kostenfreie Kitaplätze für alle Familien anzubieten, wenn dies für alle Altersstufen gelte.
"Ich befürchte jedoch im Moment, solange wir noch solche Defizite in der Qualität [der Betreuung] haben – wo wir sagen: Wir bräuchten kleinere Gruppen und so etwas –, dass ich da sagen würde: In fünf oder in zehn Jahren machen wir gebührenfreie Kitas. Aber bis dahin investieren wir alles Geld, was wir haben, in eine bessere Qualität."

Das Interview mit Thomas Rauschenbach im Wortlaut:
Nana Brink: Was ist es denn nun? Eine aus der Zeit gefallene Herdprämie, wie viele Kritiker abwertend das Betreuungsgeld nennen, oder ist es eine angemessene Familienleistung? So sieht es ja die CSU, und sie hat das Betreuungsgeld ja 2013 nach äußerst heftigem Streit in der großen Koalition durchgedrückt. 150 Euro bekommen nun die Familien, die ihre Kleinkinder nicht in die Kita schicken, und über 500.000 Kinder aus diesen Familien haben das schon in Anspruch genommen.
Heute nun könnte über das Schicksal des Betreuungsgeldes entschieden werden, denn Hamburg hat gegen das Gesetz geklagt. In wenigen Stunden fällt das Urteil Professor Thomas Rauschenbach ist Direktor des Deutschen Jugendinstituts, hat seit der Einführung zum Betreuungsgeld geforscht. Und ich habe ihn gefragt, wie er das Betreuungsgeld bewertet, nachdem schon die Richter in einer ersten Anhörung im April Zweifel geäußert haben.
Thomas Rauschenbach: Ich war bei der Anhörung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dabei, und ich fand die Nachfragen, die die Verfassungsrichter hatten, warum denn nun dringend der Bund hier regeln müsste, sehr überzeugend. Am Schluss wurden dann, tatsächlich wurden die Länder, in dem Fall dann auch Bayern, die da auch mit am Tisch saßen, gefragt, ob es denn tatsächlich im Interesse eines Landes sein könnte, hier die Bundeszuständigkeit zu reklamieren, ohne dass es hier eine dringende Notwendigkeit gibt, nachdem die Länder jahrelang vor allen Dingen in der Schulpolitik immer drauf gedrängt haben, dass die Länder ihre Hoheit behalten. Und das fand ich schon so überzeugend, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es heute ein anderes Ergebnis geben wird als die Zurückweisung der Bundeszuständigkeit in diesem Fall.
Brink: Also sind Sie auch gegen das Betreuungsgeld?
Rauschenbach: Na ja, das sind zwei verschiedene Dinge. Das fand ich ganz interessant, der Staatssekretär, der auch für das Bundesfamilienministerium die Klage vertreten hat und selber ja mal als Vertreter früher in Hamburg die Klage eingereicht hat, sagte, es geht hier nicht um die ideologische Frage, ob wir Betreuungsgeld gut oder schlecht finden, sondern einzig und allein um die Frage, ob der Bund zuständig ist oder ob der Bund nicht zuständig ist. Und ich gehe davon aus, dass nur um diesen Punkt gestritten wird und das Bundesverfassungsgericht sich äußert.
Die inhaltliche Frage, ob das Betreuungsgeld angemessen ist, ob es tatsächlich mit diesen Effekten, wie es ursprünglich auch geplant war, sich zeigt, ist eine andere. Da bin ich inzwischen etwas entspannter. Und unsere Ergebnisse geben Hinweise, dass dem durchaus so ist. Aber das steht, glaube ich, nicht zur Debatte heute.
Brink: Wenn es nun so ist, wie Sie es vermuten, dass es zurückgewiesen wird, was passiert denn dann? Bayern hat ja schon angekündigt zum Beispiel, wir zahlen weiter. Und Hamburg wird es dann sein lassen?
"Ich gehe davon aus, dass es eine Übergangsfrist geben wird"
Rauschenbach: Das wurde dort auch schon verhandelt, es wurde darüber gesprochen, ob möglicherweise Länder dann das übernehmen könnten. Und auch, dass man sich einig ist, dass es eine Übergangsfrist geben muss, also dass der Kläger Hamburg nicht drauf besteht, dass am nächsten Tag gewissermaßen das Betreuungsgeld einkassiert wird, weil Eltern ja auf Treu und Glauben auch sozusagen jetzt eine Leistung zugesprochen bekommen haben. Ich gehe also davon aus, dass es eine Übergangsfrist geben wird und dass der Gesetzgeber sagt, entweder bessert ihr nach als Bund, wenn ihr dieses als Bund weiter machen wollt, oder aber ihr beendet es, müsst aber den Familien, die jetzt schon im Rechtsanspruch drin sind, das bis zum Ende noch gewähren. Und dann müssten die Länder das entscheiden. Bayern hat ja schon letzte Woche angedeutet, sie würden dann fordern, dass der Bund das Geld an die Länder weitergibt. Ob das der Bund macht, kann ich nicht absehen, aber würde mich überraschen, wenn sie das jetzt einfach, eins zu eins das Geld an die Länder weitergeben würden.
Brink: Sie haben ja schon angedeutet, Sie haben selbst Studien unternommen. Was haben die denn ergeben?
Rauschenbach: Die Studien zeigen eigentlich ein bisschen das, was auch erwartbar war, was nicht so ganz überraschend ist. Also, dass in der Tendenz im Westen eher Betreuungsgeld nehmen. Dass eher Verheiratete Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Dass eher Familien, in denen der Mann arbeiten geht und die Frau zu Hause bleibt, Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Dass es eher katholische Regionen sind, in denen Betreuungsgeld in Anspruch genommen wird. Dass es eher Frauen sind, die auch vor dem Kind nicht erwerbstätig oder nur geringfügig erwerbstätig waren. Das sind alles eigentlich Ergebnisse, die man erwarten konnte.
Interessant ist allerdings, dass sich auch zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund das Betreuungsgeld etwas häufiger in Anspruch nehmen, als es vom Durchschnitt her erwartbar gewesen wäre. Also, da scheint sich doch ein gewisser Effekt zu zeigen.
Brink: Das hat ja auch Hamburgs Sozialsenator Scheele beklagt. Er sprach von einer ungewollten Belohnung für Eltern, die wenig oder schlecht Deutsch sprechen. Ist das so bestätigt dann?
Rauschenbach: In der Tendenz ja, wobei man – das ist immer schwierig, wenn Statistiker so was rechnen und sagen, da gibt es einen leichten Effekt. Das heißt nicht, dass von 100 Familien mit Migrationshintergrund 50 das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen oder so, die vorher in die Kita gegangen wären. Aber es zeigt einfach, dass das Gesetz sozusagen in dem Punkt eine gewisse Nebenwirkung hat, die vielleicht sich niemand gewünscht hat, weil also auch eine CSU hat ja nicht gesagt, wir wollen nicht, dass Kinder mit Migrationshintergrund nicht in die Kita gehen. Aber dass das eben eine Nebenwirkung sein kann, vor allen Dingen, weil, auch das darf man nicht unterschätzen, es kann auch in diesen Migrantenfamilien Familien geben, die sehr traditionell sind, die auch sagen, das Kind muss zu Hause erzogen werden, weil sie vielleicht selber aus einem Kulturkreis kommen, wo die Familie eine sehr hohe Bedeutung hat. Also, das sind alles Faktoren.
Allerdings muss man auch wieder einschränkend sagen, auch das gibt unseren Studien noch keinen abschließenden Aufschluss, aber muss man im Blick behalten: Migranten haben möglicherweise nach wie vor etwas höhere Probleme, einen Kitaplatz zu kriegen. Also die müssen vielleicht drei Monate länger warten, weil sie nicht sofort einen kriegen, und dann haben Sie gesagt, in der Zeit nehmen sie auch Betreuungsgeld.
Also da spielen mehrere Faktoren zusammen, aber das ist eigentlich einer der ganz wenigen Effekte, der sich zeigt. Ansonsten kann man schon sehr deutlich sagen, das Betreuungsgeld wird von denen vor allen Dingen in Anspruch genommen, die überzeugte Familienerzieher sind, wie ich die nenne, die also von Anfang an zum Beispiel gleich 22 Monate beantragen, also bis das Kind drei Jahre alt sind, und erst dann das Kind in die Kita bringen. Und auf der anderen Seite haben wir viele Eltern, die sagen, nein, so früh wir möglich mein Kind in die Kita, aber für drei oder sechs oder neun Monate nehme ich trotzdem Betreuungsgeld, weil ich noch keinen Platz habe.
"Umverteilung zulasten der Mittelschichten"
Brink: Nun hat ja die SPD auch ein ähnliches Instrument, also wenn es um die Erziehung von Kleinkindern geht, im Köcher, nämlich die kostenfreie Kita für alle Altersstufen. In Berlin gibt es das ja schon in Ansätzen. Ist das dann ein richtiger Ansatz, in Ihren Augen, oder ein besserer?
Rauschenbach: Sagen wir mal so: In der Letztkonsequenz, wenn man für alle Altersstufen das machen würde, vielleicht ja. Im Moment haben wir eher Umverteilungseffekte zugunsten der Mittelschichten, weil diejenigen, die ganz sozusagen finanziell am unteren Rand sind, werden in fast allen Bundesländern von den Kitagebühren befreit. Und wenn jetzt sozusagen die sowieso schon nichts zahlen, die können also keine bessere Situation mehr kriegen, insofern ist es eher eine Umverteilung zulasten der Mittelschichten. Ich befürchte im Moment, muss ich ganz ehrlich sagen, solange wir noch solche Defizite auch in der Qualität haben, wo wir sagen, wir bräuchten kleinere Gruppen und so etwas, dass ich da sagen würde, das wäre überzeugend, wenn man sagte, in fünf oder in zehn Jahren machen wir Kitas frei, also keine Gebühren mehr. Aber bis dahin investieren wir alles Geld, was wir haben, in eine bessere Qualität.
Brink: Professor Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts. Danke, Herr Rauschenbach, für das Gespräch!
Rauschenbach: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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