Bestechungsscheine flattern auf die Bühne

Von Christoph Leibold · 22.12.2012
Ein Hochstapler wird in einer Kleinstadt für den gefürchteten Revisor gehalten - und trifft dabei auf schmierige Gestalten, in deren Kleinstadtkosmos Geld die Schmiere des Zusammenlebens ist. Herbert Fritsch inszeniert "Der Revisor" als formidablen Spaß.
Die korrupte Gesellschaft, die Nikolai Gogol in seiner Komödie beschreibt - heute wäre sie ein Fall für Transparency International. Regisseur Herbert Fritsch - einmal mehr als sein eigener Bühnenbildner - hat ihr eine Stadt aus milchig-semitransparentem Plastik gebaut. An die zehn Planen hängen hintereinander gestaffelt vom Schnürboden, hausförmig zugeschnitten. Stehen Schauspieler hinter der ersten Folie, sind sie noch ganz gut zu sehen; beziehen sie hinter der zweiten Stellung, erkennt man sie nur noch schemenhaft; ab der dritten wird's schwierig. Transparenz? Fehlanzeige. Das ganze Gebilde: ein undurchsichtiges Dickicht, dass gerade soviel Einblick erlaubt, dass man sich den Filz und Sumpf ausmalen kann, der darin prächtig gedeiht.

Vor allem ist dieses Bühnenbild aber ein prima Spiel- und Spaßplatz. Unter den Planen können die Schauspieler hindurchschlüpfen, sie können dagegen anrennen oder durch die Gassen laufen, die sich zwischen den einzelnen Planen auftun. Wechselndes Scheinwerferlicht lässt das Plastik in allen Farben des Regenbogens schillern und färbt auch die Figuren, die Kostümbildnerin Victoria Behr in graue und cremefarbene Anzüge verpackt hat, die die russische Mode des 19 Jahrhunderts zitieren, anfangs ein: giftig grün.

Wie üblich bei Fritsch sind sie überschminkt und entsprechend überzeichnet gespielt: Sie stolpern, torkeln und taumeln, zappeln und hampeln, recken die Arme, schlenkern mit den Beinen, grimassieren und outrieren. Fast alle - vom Posthalter über den Schulrat bis hin zum Bürgermeister - tragen sie das Haar in langen, zotteligen Strähnen.

Natürlich ist die Inszenierung dank dieses schrägen Personals und seiner exaltierten Spielweise ein formidabler Spaß. Aber die Überzeichnung ist nicht nur komischer Selbstzweck. Die schmierigen Gestalten bilden einen Kleinstadtkosmos, in der Geld die Schmiere des Zusammenlebens ist. In der Deformation der Figuren drückt sich ihre Entstellung durch ihre Gier aus.

Fritschens Schmierentheater hat in Gogols "Revisor" also den goldrichtigen Stoff gefunden. Und in Sebastian Blomberg in der Rolle des kleinen Beamten Chlestakow, den die Kleinstädter für den angekündigten Revisor halten, worauf sie ihn mit Geld- und andere Geschenken bestechen, einen wunderbaren Hauptdarsteller. Mit gezwirbeltem Gigolo-Schnauzer, gestelztem Gang und einem Faible für manieriert ausgesprochene Fremdwörter verkörpert er die perfekte Mischung aus weltläufiger Grandezza und windigem Strizzi-Charme, die diesen Hochstapler ausmacht.

Erst im violetten Eisläuferanzug, dann mit nacktem Oberkörper, die Arme weit ausgebreitet, wandelt er wie ein Pseudomessias über die Bühne, während die Kleinstädter ihm ihr über Jahre der Vorteilnahme ergaunertes Geld wie Opfergaben darbringen - zuerst beiläufig, wenn sich etwa der Bürgermeister in Chlestakows Beisein die Brille mit einem Geldschein putzt; bald aber schon wird die Bestechung immer offenkundiger und dreister, bis die Scheine nur so flattern auf der Bühne.

Natürlich läuft auch an diesem Abend das Turbo-Theater von Herbert Fritsch immer wieder Mal auf hohen Touren leer; natürlich verselbständigen sich Komik und Kalauer immer wieder, stehen nicht immer im Dienst der Geschichte, die hier erzählt wird. Und leider verfügen nicht alle Darsteller über die Virtuosität und vor allem Souveränität, die es braucht, damit das grelle Spiel nicht aufdringlich-aufgesetzt wirkt.

Aber am Münchner Residenztheater, das auch inmitten der zweiten Spielzeit unter Intendant Martin Kusej nach wie vor unter dem schweren Erbe der gediegenen Dieter-Dorn-Ästhetik ächzt, kommt Fritschens Spaß-Offensive wie eine mittlere, sehr wohltuende Kulturrevolution daher.