Bestechung

"Korruption ist ein gemeingefährliches Verbrechen"

Durch Korruption entstehen große wirtschaftliche Schäden
Durch Korruption entstehen große wirtschaftliche Schäden © dpa / picture-alliance
Wolfgang Hetzer im Gespräch mit Nana Brink · 09.12.2015
Offiziell gab es 2014 in Deutschland über 20.000 Korruptionsstraftaten. Die Dunkelziffer dürfte höher sein, da Korruption "typischerweise auf Heimlichkeit angelegt ist", sagt der Korruptionsexperte Wolfgang Hetzer. Im Kampf dagegen brauche man effektive Meldesysteme.
Die Definition von Korruption liest sich ganz nüchtern: Es geht um den Missbrauch etwa eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder auch eines politischen Mandats zugunsten eines eigenen Vorteils. Laut Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt Deutschland weltweit auf Platz zwölf, sprich: In Deutschland wird etliches getan im Kampf gegen Korruption - mehr wäre aber durchaus noch möglich. Das konnte man jüngst wieder bei Volkswagen beobachten. 2014 waren in Deutschland 20.263 Korruptionsfälle polizeilich registriert.
Wolfgang Hetzer, ehemaliger Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF, sagte anlässlich des Internationalen Anti-Korruptionstages im Deutschlandradio Kultur:
"Schauen Sie auf die großen Firmen, die es geschafft haben, mit ihren Geschäftspraktiken den Ruf Deutschlands, Made in Germany, zu ruinieren. Die Erwartung, dass man rechtmäßig handelt, das ist etwa bei der Firma Siemens, aber auch bei vielen anderen großen Firmen enttäuscht worden."
Kein Kavaliersdelikt
Korruption sei ein übergreifendes gesellschaftliches Phänomen - und dürfe auf gar keinen Fall als eine Art Kavaliersdelikt betrachtet werden, denn Korruption sei "auch ein gemeingefährliches Verbrechen ist, weil die Folgen auf Menschen abgewälzt werden, die damit nichts zu tun haben. Der eigene, egoistische Vorteil wirkt sich im Fall der Korruption gesellschaftlich zersetzend und schädigend aus. Das muss man verstehen, dass es bei der Korruption nicht darum geht, ein sogenanntes opferloses Verbrechen zu begehen, sondern dass alle Unbeteiligten in der einen oder anderen Art und Weise die Folgen dieses egoistischen Handelns zu tragen haben."
Hetzer plädiert für präventive Meldesysteme - für den Aufbau sogenannter Compliance-Funktionen innerhalb von Unternehmen und Organisationen. Wirklich zu bekämpfen sei Korruption aber nicht nur durch Kriminalisierung und Bestrafung, sondern vor allem auch durch einen weitreichenden Bewusstseinswandel in allen Teilen der Gesellschaft.


Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Korruption hat viele Gesichter. Sie reichen vom kleinen Beamten, der einem Freund einen Auftrag zuschustert, bis zur mutmaßlichen Ermordung von 43 mexikanischen Studenten durch Polizei und Drogenkartelle oder zum Tod von 50 Discobesuchern, die bei einem Brand in Bukarest gestorben sind vor Kurzem, weil korrupte Beamte einfach Brandschutzbestimmungen ignoriert haben. Und es ist ja auch nicht verkehrt, vor der eigenen Haustür zu kehren – Deutschland hat ja erst im April 2014 die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert.
Und auch in Deutschland machen Fälle von Korruption die Runde. Laut Korruptionswahrnehmungsindex – das ist jetzt ein etwas komplizierter Begriff, aber eine ganz interessante Aufstellung; sie wird erstellt von Transparency International – liegt Deutschland auf Platz zwölf hinter Dänemark und der Schweiz, aber vor den USA. Wir nehmen den heutigen Weltantikorruptionstag also mal zum Anlass, um die Frage zu stellen, wie funktioniert denn Korruption, und wie kann sie eine Gesellschaft zersetzen, beeinträchtigen. Einer, der sich da auskennt mit diesem Phänomen, ist Wolfgang Hetzer, bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, und davor auch im Bundeskanzleramt als Referatsleiter tätig. Schönen guten Morgen, Herr Hetzer!
Wolfgang Hetzer: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Können wir Korruption noch mal definieren?
Hetzer: Ja, das kann man tun, sehr abstrakt: Bei der Korruption geht es um den Missbrauch etwa eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder auch eines politischen Mandats zugunsten eines eigenen Vorteils, auf den man keinen rechtlichen Anspruch hat.
Brink: Aber wenn Sie schon sagen, Politik und Wirtschaft, dann ist es also kein allein kriminelles Phänomen, sondern ein gesellschaftliches?
Hetzer: Ja natürlich. Die Strafgesetze gelten ja nur für ein bestimmtes, konkretes Verhalten, für eine sogenannte Tathandlung, aber der Korruption, dem eigentlichen Akt, wenn Sie so wollen, der Geldübergabe oder der Gewährung eines Vorteils, geht ja einiges voraus, nämlich Absprachen, die oft im Geheimen stattfinden oder regelmäßig im Geheimen stattfinden. Es ist eine gewisse Bereitschaft, etwas zu nehmen und zu geben, das das Recht eben nicht vorsieht.
Das bedeutet, man hat Kontakte, man verständigt sich, man versteht sich, man hat gleiche Interessen, und daraus ergibt sich ein riesiges Vorfeld, das Sie mit den Mitteln des Strafrechts einfach nicht erfassen können.
Die Zahlen spiegeln einen Bruchteil der tatsächlichen Fälle wider
Brink: Nun haben wir das gerade sehr abstrakt formuliert. Werden wir doch mal konkreter und gucken nach Deutschland. Gibt es da Korruption, und wenn ja, in welchem Umfang und Ausmaß?
Hetzer: Ja, es gibt natürlich auch in Deutschland Korruption. Wir haben im Jahr 2014 etwa 20.263, um genau zu sein, Korruptionsstraftaten gehabt, die polizeilich registriert wurden. Das betrifft natürlich nicht das sogenannte Dunkelfeld. Korruption ist typischerweise auf Heimlichkeit angelegt, sodass diese Zahlen selbstverständlich nur einen Teil der tatsächlichen Delinquenz widerspiegeln.
Brink: Nun sehen wir ja in afrikanischen Ländern zum Beispiel, was Korruption mit diesen Ländern macht, wie schwierig es ist, da überhaupt eine Gesellschaft eigentlich auf demokratische Füße zu stellen. Welche Ursachen hat das denn in Deutschland, was sind die Auswirkungen von Korruption in Deutschland? Wie beeinträchtigen die uns, unser Handeln?
Hetzer: Es führt natürlich dazu, dass gewissermaßen das Rechtsbewusstsein entweder verrottet, wenn das nicht schon vorher der Fall war. Man glaubt, man habe Anspruch auf einen Vorteil, obwohl das nicht der Fall ist. Man ist also bereit, sich von unsachlichen, egoistischen Motiven leiten zu lassen. Das hat natürlich Folgen für die Vertrauenswürdigkeit im Umgang, für die Angemessenheit von Leistungen. Der Wettbewerb wird verzerrt, und es entsteht ein Klima der Unterstellungen, der gegenseitigen Vorteilsnahme, ohne Rücksicht darauf, wer dann die Folgen zu tragen hat, und vor allen Dingen darauf gerichtet ist, eben eigene Vorteile zu erlangen.
"Wir brauchen einen Bewusstseinswandel"
Brink: Sie haben ja schon angedeutet, das ist ein gesellschaftliches Phänomen, also auch in Deutschland. Können Sie da auch Namen nennen?
Hetzer: Schauen Sie auf die großen Firmen, die es geschafft haben, mit ihren Geschäftspraktiken den Ruf Deutschlands, Made in Germany, zu ruinieren. Die Erwartung, dass man rechtmäßig handelt, das ist etwa bei der Firma Siemens, aber auch bei vielen anderen großen Firmen enttäuscht worden, dieses Vertrauen.
Brink: Wenn wir nun mit dem Strafrecht nicht weiterkommen, nicht allein weiterkommen, was gilt es zu tun?
Hetzer: Wir müssen dafür sorgen, dass ein Bewusstseinswandel eintritt. Es ist in der Tat so, dass Korruption auch ein gemeingefährliches Verbrechen ist, weil die Folgen auf Menschen abgewälzt werden, die damit nichts zu tun haben. Der eigene, egoistische Vorteil wirkt sich im Fall der Korruption gesellschaftlich zersetzend und schädigend aus. Das muss man verstehen, dass es bei der Korruption nicht darum geht, ein sogenanntes opferloses Verbrechen zu begehen, sondern dass alle Unbeteiligten in der einen oder anderen Art und Weise die Folgen dieses egoistischen Handelns zu tragen haben. Das muss man verstehen. Man muss verstehen, dass unverzichtbare Grundlagen wie etwa Vertrauen zerstört werden, dass Entwicklungschancen, dass demokratische Prozesse, dass Kontrollierbarkeit, all das verschwindet im Interesse dieser korrupt handelnden Menschen, aber auch Firmen.
Brink: Was tun wir dann? Das ist ja sozusagen ein Plädoyer, es einzustellen. Aber mit welchen Mitteln?
Hetzer: Wichtig ist natürlich wie bei jeder Straftat, dass man versucht, präventiv zu wirken. Das heißt, es müssen Meldesysteme eingerichtet werden, sogenannte Compliance-Funktionen aufgebaut werden. Es muss die Öffentlichkeit aufgeklärt werden, dass sie etwa Hinweise gibt, denn Korruption ist Kontrollkriminalität. Sie findet, wie ich schon angedeutet habe, in aller Heimlichkeit statt. Die Korruptionsbekämpfung hängt also ganz entscheidend davon ab, dass Sie qualifizierte Hinweise bekommen, denn das sind klandestine Strukturen, die sich nicht sozusagen öffentlich von selbst anbieten.
Meldesysteme etablieren
Da muss Information fließen, da muss ein Apparat entstehen, der dann diesen Informationen nachgehen kann. Es müssen die Gesetze angepasst werden. Wir haben ja den Fall gehabt, dass die sogenannten nützlichen Aufwendungen in Deutschland strukturell sozusagen von der Steuer absetzbar waren, sodass also der Staat in gewisser Weise und die Wirtschaft an dem ganzen großen Spiel auf merkwürdige Art und Weise beteiligt war. Das hat sich inzwischen, Gott sei Dank, geändert. Also, Gesetzgebung, Aufklärung der Öffentlichkeit, ein Bewusstseinswandel in den Unternehmen, die Einrichtung von Hinweisgebersystemen, genügend Personal, um dem nachzugehen, all das ist erforderlich.
Brink: Wolfgang Hetzer, Korruptionsexperte. Herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen. Heute ist der Weltantikorruptionstag. Danke für das Gespräch!
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