Besondere Privilegien

Von Barbara Dobrick · 16.02.2013
Die Journalistin Eva Müller hat über die Verflechtung von Kirche und Staat ein Buch geschrieben: Es heißt "Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt". Fazit: Die Zahl kirchlicher Einrichtungen steigt weiter an, doch viele von ihnen werden aus Steuergeldern bezahlt.
Die Leiterin des Kindergartens in Rauschendorf hatte sich von ihrem Ehemann getrennt. Einige Zeit später war die Mittvierzigerin zu einem neuen Partner gezogen. Sie sprach mit ihrem Pfarrer darüber und erhielt – eine Kündigung. Rechtlich war das in Ordnung. Mitarbeiter in kirchlichen Betrieben verpflichten sich, auch ihr Privatleben nach religiösen Geboten ihres Arbeitgebers zu führen.

Bei katholischen Einrichtungen gehen diese Vorschriften sehr weit: Geschiedene oder getrennt Lebende dürfen keine neuen Partnerschaften eingehen oder eine zweite Ehe schließen. Homosexuelle Lebensgemeinschaften sind verboten. Würde ein Schwangerschaftsabbruch oder eine künstliche Befruchtung bekannt, wären auch das Kündigungsgründe. Das Gesetz deckt das, denn es billigt den Religionsgemeinschaften besondere Privilegien zu.

In Rauschendorf jedoch gingen die Eltern auf die Barrikaden. Sie wollten ihre Kindergartenleiterin behalten. Gespräche mit Kirchenvertretern und dem Bürgermeister führten nicht weiter. Aber die Eltern arbeiteten sich gründlich ein in Gesetzestexte, Finanzpläne und kirchliche Gepflogenheiten, um die sie sich nicht gekümmert hatten, solange alles gut gelaufen war. Verblüfft stellten sie fest,

"Dass die Kirche der Träger des Kindergartens ist, dass sie Personal aussucht, ihm kündigt und sich bevorzugt für katholische Kinder entscheiden kann, dass sie ihn aber gar nicht finanziert. Und dass das kein Einzelfall ist."

In ihrem Buch "Gott hat hohe Nebenkosten" hat die Journalistin Eva Müller die Ereignisse in Rauschendorf genau dokumentiert, nimmt die Kirchen als Arbeitgeber und Dienstleister aber auch generell unter die Lupe.

Dabei sind ihr große Widersprüche aufgefallen: Obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter sinkt, ist die Zahl kirchlicher Einrichtungen und damit kirchlicher Bediensteter kontinuierlich gestiegen. Die Kirchen haben ihr Personal seit 1950 ungefähr verfünffacht und sind mit 1,3 Millionen Mitarbeitern der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat. Da, wo privatisiert wird, springen oft die Kirchen als freie Träger ein.

Die weit verbreitete Vorstellung, sie würden sich ihr segensreiches Wirken in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen eine ganze Menge kosten lassen, trifft jedoch immer seltener zu. In Hamburg beispielsweise werden die kirchlichen Kindergärten zu 100 Prozent von der Stadt finanziert, so wie auch in Rauschendorf. Eva Müller zitiert den auf Kirchenfinanzen spezialisierten Journalisten Carsten Frerk:

"Die größten kirchlichen Arbeitgeber, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, finanzieren sich fast ausschließlich aus Mitteln des Sozialstaats."

Für Arbeitssuchende gibt es vor allem dort Probleme, wo kirchliche Einrichtungen ein Monopol besitzen, wo Erzieherinnen oder Krankenpfleger gar keinen kirchenfreien Arbeitsplatz bekommen können. Probleme haben oder fürchten manche Arbeitnehmer auch dort, wo kirchliche Träger bereits bestehende Einrichtungen übernehmen, denn die erwarten, dass ihre Angestellten Kirchenmitglied sind oder werden. Umgekehrt gilt: Vielerorts finden Eltern keinen Kindergarten ohne religiöse Erziehung.

Eva Müller beschreibt angenehm sachlich, aber genau, was es bedeutet, dass die beiden christlichen Kirchen trotz stetig abnehmender Mitgliedszahlen ihren gesellschaftlichen Einfluss kontinuierlich ausgeweitet haben – auf Kosten der Steuerzahler. Warum Kommunen das gern mitmachen, hat sich Eva Müller vom Rauschendorfer Bürgermeister erklären lassen:

"Einen städtischen Kindergarten aufzumachen ist viel teurer, weil der kommunale Kinder-garten wesentlich geringere Landeszuschüsse bekommt und dann der Anteil, den die Stadt zahlen muss, dementsprechend höher ist."

Das, was Eva Müller aus der rheinischen Provinz berichtet, ist ein Lehrstück besonderer Art: Die Eltern blieben beharrlich. Sie stellten einen Bürgerantrag, den die Kommunalpolitiker in ihrem Sinne entschieden.

Der katholischen Kirche wurde die Trägerschaft im Frühjahr 2012 gekündigt. Neuer Träger ist die evangelische Kirche. Die stört sich nicht daran, dass die Kindergartenleiterin mit einem neuen Mann zusammenlebt und auch nicht daran, dass sie katholisch ist. Aber aus der Kirche austreten könnte sie wohl nicht, ohne erneut eine Kündigung befürchten zu müssen.