Beschränkte Intelligenz

29.01.2012
Wissenschaftler basteln daran, die Intelligenz des Menschen zu optimieren. Aber sind wir deshalb auf dem Weg zu einer Art "Hyperintelligenz"? Der Arzt und Neurowissenschaftler Thomas Grüter hat ein Buch geschrieben, das sich genau mit dieser Frage beschäftigt.
Viele Menschen streben heute nach besonderen geistigen Fähigkeiten oder zumindest danach, klüger zu sein als andere. Aus diesem einfachen Wunsch resultieren auch Bestrebungen, durch Medikamente, Gentechnik oder Computertechnik die Beschränkungen der menschlichen Intelligenz zu überwinden. Der Arzt und Neurowissenschaftler Thomas Grüter erteilt diesen Vorstellungen eine radikale und gut begründete Absage.

Vor einigen Jahrhunderten war der Begriff der Intelligenz noch völlig unbekannt. Weder Adelige noch Geistliche und erst recht nicht Handwerker oder Bauern strebten nach Intelligenz. Vielmehr steigerten Bildung und Weisheit das persönliche Ansehen. Erst im letzten Jahrhundert wurde Intelligenz immer stärker zum Schlüssel des Erfolges, das Streben nach Intelligenz wurde gesellschaftsfähig. Dabei ist nicht einmal der Intelligenzbegriff leicht zu fassen.

Alle Versuche, Intelligenz zu messen, sind fragwürdig. Intelligenztests bieten bestenfalls die Möglichkeit einzelne kognitive Fähigkeiten, wie Gedächtnis, Kombinationsgabe und räumliches Vorstellungsvermögen innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft zu vergleichen. Kaum eine Wissenschaft habe so viele unbewiesene Aussagen hervorgebracht wie die Intelligenzforschung, kritisiert Thomas Grüter. Auch die Suche nach genetischen Ursachen für erhöhte Intelligenz brachten keine klaren Ergebnisse.

Dennoch haben zahlreiche Bestsellerautoren, wie zuletzt Thilo Sarrazin, versucht, die Intelligenz von Menschen verschiedener Kulturen oder sogar aus unterschiedlichen Zeiten zu vergleichen. So lassen sich zwar anscheinend objektive Zahlen errechnen, aber die Ergebnisse halten einer Überprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer Überinterpretation von Intelligenztests und einem ungeklärten Begriff von Intelligenz, so Thomas Grüter. Schritt für Schritt nimmt er wissenschaftliche Bestrebungen, intelligente Maschinen zu bauen oder durch Verknüpfung von Mensch und Computer eine neue Hyperintelligenz zu schaffen, auseinander. Die Ansprüche der viel zitierten Vordenker sind groß, die bisherigen Erfolge jedoch bescheiden.

Thomas Grüter verwendet in seinem Buch verschiedene schriftstellerische Formen. Sachlich und kritisch arbeitet er die Fragen ab, die der Laie den Intelligenzforschern stellt. Unterbrochen wird der Text durch Erklärungen, die ausreichend Hintergrundwissen liefern, und durch unterhaltsame Kurzgeschichten. Sie machen klar, wie die Vorstellungen einiger Forscher das Leben jedes einzelnen veränderten, würden sie irgendwann tatsächlich Realität.

Immer wieder bezieht der Autor unmissverständlich Stellung. Und zum Ende jedes Kapitels liefert er noch einmal eine kurze Zusammenfassung. So ist ein informatives, verständliches und zugleich unterhaltsames Buch entstanden. Missverständlich ist jedoch der Titel: "Klüger als wir?". Auch der Begriff der "Hyperintelligenz" im Untertitel hilft nicht weiter. Das dürfte viele potentielle Leser eher abschrecken als anlocken. Die Lektüre hingegen macht jeden Leser klüger, wenn auch nicht intelligenter.


Zum Autor: Als Arzt und Neurowissenschaftler beschäftigt sich Thomas Grüter mit dem Thema Gesichtserkennung. Er hält Seminare am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie der Universität Bamberg, schreibt für Fachzeitschriften und hat verschiedene Sachbücher veröffentlicht. Zuletzt: "Magisches Denken" und "Faszination Apokalypse".

Besprochen von Michael Lange

Thomas Grüter: Klüger als wir? - Auf dem Weg zur Hyperintelligenz
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011
346 Seiten, 24,95 Euro
Mehr zum Thema