Beschneidung

Mannbarkeitsritual oder Verstümmelung?

Von Alexander Musik · 27.12.2013
Die Beschneidung von Jungen ist ein zentrales jüdisches Ritual. Doch es wird heftig darüber gestritten, wie gefährlich das ist. Jetzt hat sich eine Union der Mohalim, der Beschneider, in Europa gegründet. Sie hat Statuten festgelegt - aber deren Einhaltung kontrollieren will sie nicht.
2012 brachte die so genannte Initiative gegen Kirchenprivilegien eine Strafanzeige gegen den Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister ein. Denn der Rabbiner ist auch ein Mohel, er hat schon hunderte Beschneidungen durchgeführt, ein uraltes und zentrales jüdisches Ritual der Mannbarkeit, das allerdings von der humanistisch inspirierten Initiative mit Unverständnis betrachtet wird.
Die Israelitische Kultusgemeinde, kurz IKG, fühlte sich angegriffen; es dauerte nicht lange, bis der Antisemitismus-Verdacht gegen sie ausgesprochen war. Die Strafanzeige verlief im Sande, bald darauf ging die IKG in die Offensive und lancierte eine Union der Mohalim in Europa. Ihr Präsident ist Schlomo Hofmeister. Welchen Zweck hat die Union, der derzeit Beschneider aus sieben Ländern angehören?
"Es gibt verschiedene Standards bei der Beschneidung, und diese Standards sind in den Statuten festgelegt. Dabei halten wir uns auch an die Vorgaben der europäischen Rabbinerkonferenz, die haben dazu klare Statements abgegeben. Es findet alles unter hygienischen Voraussetzungen statt, es ist alles lege artis, wie man das nennen würde, was auch die Forderung der Bundesregierung ist, und das ist auch Sinn und Zweck unserer Vereinigung, dass diese Mohalim sich der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland auch bewusst sind. Wir informieren sie diesbezüglich, wir stellen die Ressourcen zur Verfügung, damit die Mohalim, die nach Deutschand reisen und dort Beschneidungen durchführen, alles den Vorgaben entsprechend auch machen."
Die Einhaltung der Statuten ist jedem Mohel selbst überlassen
In Deutschland gibt es lediglich einen zertifizierten Mohel, sagt Hofmeister. Während es in Wien – wo die ungleich kleinere jüdische Gemeinde Österreichs konzentriert ist – allein sieben gebe. Ein Indiz für die strenggläubige Gesinnung der meisten österreichischen IKG-Mitglieder, viele davon chassidischer Herkunft.
Um Mitglied in der Union zu werden, muss sich der Mohel zertifizieren lassen. Andererseits ist es keine halachische Voraussetzung, ein Zertifikat zu besitzen, um als Mohel zu praktizieren, sagt Schlomo Hofmeister. Überdies ist die Einhaltung der Statuten der Union – mittlerweile gibt es ein paar Dutzend Mitglieder – der Selbstverantwortung jedes Mohels überlassen. Die Union will kein Kontrollorgan sein.
"Aber wir halten es doch für sehr wichtig, dass diese Tradition der Zertifizierung berücksichtigt wird, denn damit ist garantiert, dass gewisse Standards eingehalten werden."
Die gewissen Standards, von denen der Gemeinderabbiner spricht, sind hygienische: ein steriles Arbeitsumfeld, medizinische Grundkenntnisse, außerdem müssen die Eltern über mögliche Komplikationen des Eingriffs aufgeklärt werden. Vorbild ist die britische Initiation Society, gegründet 1745.
Es gibt keine Garantie, das es nicht zu Komplikationen kommt
Ein Link auf der Homepage verweist auf eine Liste von Mohalim, die religiösen Juden in Großbritannien die Kontaktdaten aller zertifizierten Beschneider bietet. Natürlich ist das keine Garantie dafür, dass das Beschneiden der Vorhaut am 8. Lebenstag des Kindes keine Komplikationen mit sich bringt.
"Die Komplikationsrate nach Beschneidungen, die von Mohalim durchgeführt werden, ist vernachlässigbar. Das größte Risiko ist ein Nachblutung, das ist nicht die Schuld des Mohel, das hat nichts damit zu tun, wer sie durchführt, das würde genau so bei einem gleichen oder höheren Prozentsatz bei einem Arzt sein, der eine Beschneidung durchführt. Das ist die größte Komplikation. Das lässt sich nicht verhindern, das kann passieren, das ist weder für das Kind gefährlich, es hat aber durchaus ein politisch-soziales Potential, gegen die Beschneidung zu agieren."
Dasselbe gilt, so der Gemeinderabbiner, für das Aussaugen der Wunde, das für manche religiösen Juden zum Ritual der Brit Mila gehört. Auch das stelle für das Baby kaum ein Risiko dar.
"Heute, da wir mit sterilen Geräten agieren, nur mit sterilen Messern arbeiten, ist natürlich diese Infektionsgefahr nicht gegeben, aber das Aussaugen muss stattfinden, dazu gibt es sterile Glasröhrchen."
Der Gynäkologe Christian Fiala ist Sprecher der Initiative gegen Kirchenprivilegien, die die Anzeige gegen Hofmeister eingebracht hatte. Aus seiner Sicht hat die Beschneidung im 21. Jahrhundert keinen Platz. Für ihn ist die Union der Mohalim in Europa so etwas wie die Vereinigung der Exorzisten in Rom.
"Für die Verstümmelung von Kindern ist kein Platz in einer Demokratie"
"Ich glaube, wir leben in einer Demokratie, in der eines der wesentlichen Merkmale ist, dass den Menschen Selbstbestimmung über ihr Leben und vor allem auch ihren Körper zugestanden wird. Und die Beschneidung bzw. Verstümmelung von Kindern aus religiösen Gründen hat in einem aufgeklärten Staat in einer aufgeklärten Gesellschaft einfach keinen Platz."
Auch das Risiko einer Beschneidung beurteilt der Gynäkologe anders.
"Es kann zu sehr starken Blutungen kommen, sie dürfen nicht vergessen, dass auch neugeborene Kinder ein relativ geringes Blutvolumen haben, da kann es sehr schnell zu einer Gefährdung des Kindes kommen. Es kann sehr rasch zu einer Entzündung kommen, insbesondere wenn das nicht sauber durchgeführt wird. Es kann auch während dem Tun andere Teile des Penis entfernt werden, die man eigentlich nicht mit entfernen wollte."
Wie hoch auch immer das Risiko tatsächlich ist: Die Union der Mohalim in Europa will alles dafür tun, dass wirklich ein Mohel zur Verfügung steht, der das Kind am 8. Tag nach der Geburt beschneiden kann. In den nächsten Monaten soll die entsprechende Homepage mit den Kontaktdaten der zertifizierten Mohalim in Europa online gehen.
Und auch wenn einige Mohalim es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, Beschneidungen durchzuführen - verdienen dürfen sie an dem Ritual, das als Mitzwa, als „gute Tat“, gilt, nichts – bloß Reisespesen dürfen sie sich ersetzen lassen. Der Mohel darf vorher kein Geld annehmen, sagt Schlomo Hofmeister, sind die Eltern aber nach dem Eingriff zufrieden, dürfen sie sich erkenntlich zeigen.