Beschämendes Schweigen

Von Matthias Küntzel · 31.05.2012
Er ist 31 Jahre alt, lebt in Köln und rappt, seine Texte sind politisch. Das hat Shahin Najafi jüngst ein Todesurteil eingebracht – der Großajatollah in Teheran ruft zum Mord auf. Die deutsche Öffentlichkeit reagiert seltsam teilnahmslos auf die Drohungen.
Gab es das schon, dass eine Hinrichtung in Deutschland öffentlich angekündigt und dem Mörder ein Kopfgeld von 100.000 Dollar versprochen wird? Seit knapp vier Wochen steht Shahin Najafi, ein 31-jähriger Dichter und Sänger, auf der Todesliste des iranischen Regimes. Hunderttausende in Iran lieben seine Musik und die Texte seiner Lieder, die von Frauenrechten, Religion und Freiheit handeln. Für eines dieser Lieder wurde Shahin zu hundert Peitschenhieben und drei Jahren Haft verurteilt. Er konnte rechtzeitig nach Deutschland fliehen, wo er seit 2005 lebt und seine künstlerische Karriere entfaltet.

Seine neueste Single stellte er am 7. Mai dieses Jahres ins Netz. Darin bittet er einen schiitischen Heiligen, den 10. Imam, er möge zur Erde zurückkehren und die Missstände im heutigen Iran beseitigen. Wenige Stunden später begannen die staatlich kontrollierten Medien Irans, einen Tötungsbefehl gegen Shahin zu verbreiten. Sie nutzten hierbei eine Fatwa, also das Rechtsgutachten eines Ayatollah, die jede "Schmähung" des 10. Imam als Religionsbeleidigung und als Abfall vom Glauben definiert – ein Delikt, auf das in Iran die Todesstrafe steht.

Seither stellen die Regime-Medien Fotos des Sängers ins Netz, auf denen sein Kopf in einem Fadenkreuz liegt oder Einschusslöcher aufweist. Gleichzeitig werden Demonstrationen für die Ermordung Shahins organisiert. In Deutschland sollen iranische Stellen das Todesdekret gezielt an hier lebende Iraner weitergeleitet haben. Kölner Islamisten prahlen auf Facebook damit, Shahin in Kürze aufzuspüren und abzustechen.

Mit dieser Menschenjagd, die an die schlimmsten Exzesse der mittelalterlichen Inquisition erinnert, zeigt der iranische Gottesstaat sein Gesicht. Man gibt vor, die Religion zu schützen und greift doch in Wirklichkeit zum Terror, um den Freiheitsimpuls der Iranerinnen und Iraner zu zerschlagen.

Neu ist, dass Teheran nunmehr in aller Öffentlichkeit zu einem politischen Mord auf deutschem Hoheitsgebiet aufruft. Schon deshalb ist eine energische Reaktion der Bundesregierung überfällig.

Zugleich enthüllt diese Menschenjagd den Wesenskern des Regimes: Seinen Hass auf die Freiheit. Dieser Hass ist der primäre Grund, warum das Regime erst Israel - die einzige freiheitliche Demokratie der Region -, später aber auch das liberale System des Westens auslöschen und durch eine Scharia-Diktatur ersetzen will.

Im Aufruf, Shahin Najafi zu töten, steckt das Ansinnen, die Freiheit allgemein zu töten. Demgegenüber heißt Shahin zu verteidigen, die Freiheit überall zu verteidigen. Oder auch nicht! Ich jedenfalls empfinde es als Schande, dass die Bundesregierung diesen Übergriff der Mullahs bislang stillschweigend schluckt - ohne den iranischen Botschafter einzubestellen, ohne den bedrohten Sänger demonstrativ ins Bundeskanzleramt einzuladen. Ich finde es beschämend, dass ein Bundestagsausschuss letzte Woche die Einladung an eine Delegation oppositioneller Iraner zur Diskussion der Lage der Menschenrechte in letzter Minute und ohne Angabe von Gründen zurückgezogen hat.

Und die Dichter und Denker dieses Landes? Abgesehen von Günter Wallraff blieb die deutsche Kunstszene auffällig still. In Schweden wird ein Solidaritätskonzert für Shahin Najafi organisiert. Warum nicht hier? Hält man den Mordaufruf aus Teheran für einen "Übersetzungsfehler" oder hat man sich mit dem Verbrechen bereits arrangiert?

Erstmals kündigt der Iran eine Hinrichtung in Deutschland öffentlich an. Vor 20 Jahren gelang es iranischen Schergen, den populären Entertainer Fereydoun Farokhzad in seiner Bonner Wohnung mit 40 Messerstichen zu töten. Letztes Jahr tötete in Baku ein Unbekannter den Journalisten Rafik Taghi, gegen den das Regime sechs Jahre zuvor eine Fatwa erließ. Ist nun Shahin Najafi an der Reihe? Es ist an der Bundesregierung, endlich zu handeln und dafür zu sorgen, dass der Tötungsbefehl annulliert wird.

Dr. Matthias Küntzel, geboren 1955, ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist in Hamburg. Sein Buch: "Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft" erschien 2009 im wjs-Verlag, Berlin.

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