Beschädigtes Vertrauensverhältnis

Von Baha Güngör, Deutsche Welle · 20.04.2013
Die deutschen Behörden haben sich bei der Aufklärung der NSU-Morde nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Und doch sollten Deutschland und die Türkei an ihrer traditionellen Verbundenheit festhalten und einander weiter vertrauen, meint Baha Güngör.
Wenn der verschobene NSU-Mordprozess vor dem Oberlandesgericht München am 6. Mai endlich beginnt, sitzen nach vorherrschender Auffassung in der türkischen Öffentlichkeit die Rechtsextremistin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Mittäter aus der Neonaziszene nicht alleine auf der Anklagebank. Mit ihnen wird sich nach den Vorstellungen der meisten Türken auch Deutschland als Rechtsstaat für den turmhohen Scherbenhaufen verantworten müssen, den die deutschen Ermittlungsbehörden über Jahre verursacht haben.

Für das in den letzten Jahren ohnehin ungewöhnlichen Belastungen unterworfene deutsch-türkische Vertrauensverhältnis hätte es zeitlich nicht ungünstiger kommen können. In knapp sechs Wochen jährt sich der grausame Brandanschlag von Solingen zum 20. Mal. Zwei Frauen und drei Mädchen wurden damals Opfer feiger deutscher Rechtsextremisten. Nur fünf Monate zuvor waren in Mölln zwei Mädchen und ihre Großmutter in den Flammen ums Leben gekommen, die von Neonazis entfacht worden waren.

Wer will es den Türken hier in Deutschland ebenso wie in der Türkei verdenken, dass sie sich Sorgen um ihr Leben und um das Leben ihrer Angehörigen machen? Die Kette von Brandstiftungen, von Übergriffen, von Neonazis verprügelten Ausländern in Deutschland ist lang. Die Verfassungsschutzämter, die Polizei und die juristischen Ermittlungsbehörden haben sich reihenweise Pannen geleistet, die am Ende die Ermordung von acht Türken, einem Griechen und einer deutschen Polizistin durch den Nationalsozialistischen Untergrund fahrlässig ermöglicht haben.

Instinktloses bayrisches Gericht
Wer will es den Türken verdenken, dass sie den deutschen Sicherheits- und Justizbehörden nicht mehr vertrauen? Waren es nicht deutsche Behörden, die den Angehörigen der Mordopfer über Jahre gesagt haben, ihre Väter oder ihre Männer seien in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen und deshalb getötet worden? Welche Schmerzen mussten Menschen in ihrer Trauer ertragen? Welch große Wut müssen die Nebenkläger in sich spüren, weil sie jetzt wissen, dass deutsche Neonazis die tödlichen Kugeln abgefeuert haben, die ihre Männer, Brüder und Söhne von ihnen nahmen?

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung, das OLG München müsse türkischen Medien Plätze im Verhandlungssaal einräumen, das formaljuristisch korrekt, aber instinktlos und ohne Fingerspitzengefühl agierende bayrische Gericht in die Schranken gewiesen. Doch die Türken möchten mehr als nur das Gefühl der Genugtuung über dieses Karlsruher Urteil. Sie möchten, dass Beate Zschäpe als einzige Überlebende der faschistischen Terrorzelle NSU und ihre mutmaßlichen Mittäter zu höchstmöglichen Strafen verurteilt werden.

Keine Sippenhaft für alle Deutschen
Bei allem Verständnis für die Enttäuschungen und für ihre Wut wären die Türken und die Öffentlichkeit in der Türkei gut beraten, ihr traditionell gutes Vertrauensverhältnis zu Deutschen nicht gänzlich abzuschreiben. Das dilettantische Vorgehen deutscher Ermittlungs- und Justizbehörden ist kein Plädoyer für Sippenhaft gegen alle Deutschen. Die überwiegende Zahl der Deutschen erhofft sich von dem NSU-Mordprozess lückenlose Aufklärung der Mordserie und einen Befreiungsschlag für ihr Land als glaubwürdiger Rechtsstaat. Wenn in Ankara behauptet wird, das OLG München sei unglaubwürdig, parteiisch und sein Urteil werde nicht von Bedeutung sein, gießt Öl ins Feuer.

Deutsche und Türken sind trotz räumlich großer Entfernung immer gute politische und wirtschaftliche Partner, gute militärische Verbündete gewesen. Der Respekt der beiden Kulturnationen voreinander war stets groß. Das soll und wird auch so bleiben. Das Oberlandesgericht München steht in der Pflicht, durch einen umsichtig geführten fairen Prozess seinen Beitrag dazu zu leisten, das deutsch-türkische Vertrauensverhältnis vor weiteren schweren Belastungen zu schützen.