Berufsausbildung

Niemand möchte Orthopädiemechaniker werden

Werkstatt eines VW-Autohauses in Fürstenwalde (Brandenburg)
Werkstatt eines VW-Autohauses: Die meisten männlichen Lehrlinge wollen KFZ-Mechatroniker werden. © picture alliance/dpa - Patrick Pleul
Von Gerhard Richter · 25.09.2016
Viele angehende Lehrlinge wollen KFZ-Mechatroniker, Verkäufer oder Bürokaufmann werden. Bei niemandem stehen etwa Orthopädiemechaniker oder Hörgeräte-Akustiker auf der Wunschliste. Warum eigentlich nicht? Kennen die jungen Menschen diese Berufe überhaupt?
Ralf Knittel stellt die Kettensäge ab. Der gelernte Forstwirt betreibt an der Brandenburger Waldarbeiterschule Kunsterspring die Nachwuchswerbung. Der Lehr-Beruf heißt offiziell Forstwirt:
"Der Forstwirt ist dafür zuständig um auch Bäume zu pflanzen, sie zu pflegen, also dass aus dem Setzling ein großer Baum wird, und er ist auch dafür zuständig, sie zu fällen und dem Sägewerk bereitzustellen."
Ein Lehrling ist bei jedem Wetter draußen, muss sich körperlich ziemlich anstrengen und wird dreckig. Bekommt im ersten Lehrjahr aber schon 866 Euro. Was Forstwirte so machen weiß kaum jemand, weil sie morgens im Wald verschwinden, und abends erst wieder auftauchen. Auf die 30 Ausbildungsplätze haben sich im letzten Jahr trotzdem 160 Schulabgänger beworben. Das liegt daran, dass Ralf Knittel den Beruf auf vielen Jobmessen vorstellt.
Auch heute im Kulturhaus im brandenburgischen Kyritz wirbt er mit einer Schaufensterpuppe mit rotem Schutzhelm, blitzsauberer grüner Schnittschutzhose und orangeroter Warnweste .
"Man erlebt die Natur vom Frühjahr, wie die Natur letztendlich erwacht, bis zur Herbstlaubfärbung. Und wenn man das richtige Waldgebiet erwischt hat, kann man dort arbeiten, wo andere Urlaub machen."

Müllabfuhr sucht Fachkräfte

Die Konkurrenz ist groß für den Forstwirt. Alle paar Meter wirbt eine andere Firma aus der Region um Auszubildende. Mehrere Hochschulen bieten Studiengänge zum Bachelor und Master, die örtliche Müllabfuhr sucht angehende Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Dutzende Schüler aus Kyritz und Umgebung schlendern an diesem Samstag durch die Halle. Auch Janine Schöne überlegt, welche Lehre sie nach der 10. Klasse mit ihrer mittleren Reife anfangen könnte.
Ralf Knittel und seine Waldarbeiterpuppe streift sie nur mit einem Blick, die Arbeit ist körperlich viel zu schwer für die 16jährige.
Stattdessen peilt sie den Stand der Handwerkskammer an.
Berater Jörg Sydow kann 130 Ausbildungsberufe vermitteln. Schnell kommt er mit Janine Schöne ins Gespräch.
Sydow: "Okay, kennst du einen Handwerksberuf?"
Schöne: "Jetzt den ich machen will?"
Sydow: "Ganz allgemein."
Schöne: "Tischler oder so."
Sydow: "Ja, genau, Tischler, sagen meistens alle sofort."
Oder Dachdecker, KFZ-Mechatroniker, Friseur. Viel mehr Berufe kennen die meisten Schüler gar nicht. Sydow reicht der Schülerin ein Heftchen, in dem alle Ausbildungsberufe aufgelistet sind, daneben die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Mit 7860 besetzten Lehrstellen liegt ihr Favorit Tischler bundesweit weit vorne.
Andere Berufe sind ziemlich unbekannt. Zum Beispiel der des Orthopädiemechanikers.
Janine Schöne: "Davon hab ich noch nix gehört …"

Tüte voller Broschüren und Flyer

Dabei ist das ein vielseitiger Beruf, in dem man geschickt mit Holz und Metall umgehen können muss. Immer mehr alte Menschen, immer mehr Amputationen machen ihn zukunftssicher. Bundesweit gibt es derzeit 500 Ausbildungsplätze.
Jörg Sydow: "Für bestimmte Bewerber oder Schülerinnen, die jetzt einen sehr sehr kommunikativen sozialen Ansatz haben, technisch orientiert sind, kommen solche Dinge in Frage. Da passt das auch."
Ganz ähnlich ist es mit dem Beruf des Hörgeräte-Akustikers. Hier gibt es 1300 Lehrstellen, aber kaum ein Schüler kennt den Beruf. Und auch auf der Jobbörse bewirbt Jörg Sydow die unbekannten Berufe kaum. Auch, weil noch Lehrlinge in den klassischen Handwerks-Berufen gesucht werden.
"Also mein Problem liegt eher in dem Bereich, wie finde ich eigentlich ausreichend Elektroniker oder Anlagenmechaniker. Heizungs-Klimatechnik oder Metallbauer, bis zu Gebäudereiniger, bis Friseur. Wir haben heute hier einen Betrieb Friseure, die suchen jetzt noch Lehrlinge."
Zum Abschied schenkt Jörg Sydow der Schülerin noch eine Papiertüte der Handwerkskammer, einen Flaschenöffner und seine Visitenkarte. Schaut ihr nach, wie sie an den Ständen der anderen Firmen und Verbänden vorbeischlendert.
Nach gut zwei Stunden hat die ihre Runde beendet. Die Papiertüte ist jetzt voller Broschüren und Flyer. Ihre Bestimmung aber hat sie noch nicht gefunden.
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