Berliner Volksbühne

Rosi, Castorfs dritte Hand

Von Scheinwerfern erleuchtet ist die Fassade des Theaters Die Volksbühne in Berlin
Die Volkbühne in Berlin © Picture Alliance / dpa / Manfred Krause
Von Michael Laages · 30.07.2016
Ihr Auftritt beginnt, wenn die Schauspieler verschwinden: Roswitha Sokolowski ist Bühnenreinigerin an der Berliner Volksbühne, fast so lange schon, wie Frank Castorf das Haus leitet. Fürs Putzen als Beruf hat sie sich in der DDR bewusst entschieden.
Putzen ist das eine: fegen, feudeln, wischen, moppen, schrubbern, bohnern und auf Hochglanz wienern … aber "Bühnenfrau" Rosi sieht den eigenen Job eigentlich ein bisschen anders:
"Ich glaube, im ursprünglichen Sinne vom Theater her war 'ne Bühnenfrau schon immer mehr als nur putzen. Manchmal sag ich: Ich bin die dritte Hand."
Rechts hinten, vom Zuschauerraum aus, liegt "die dritte Hand" quasi auf der Lauer, wenn der letzte Beifall verklungen ist und das Ensemble in Garderobe und Kantine eilt.
"Wenn die dann von der Bühne gehen, so wie Wolfram Koch nach 'Apokalypse' – und dann bedankt der sich bei jedem Einzelnen für die Arbeit ..."

Volksbühne ist ihr "Nest"

Da ist gut arbeiten, sagt Rosi:
"Jeder, der seine Arbeit gerne macht, ich will jetzt nicht sagen: von Herzen, aber der seine Arbeit gerne macht, der morgens aufsteht und sagt: Ich gehe jetzt zur Arbeit und habe heute die Kollegen und die Kollegen und ich habe heute das Stück, dann isses schön. Das is' anders, als wenn ich aufsteh' und sage: Scheiße, ich muss arbeiten, weil ich muss Geld verdienen ..."
Für dieses Haus, auch "ihr" Haus, hat sie ein kleines, großes Wort:
"Das is wie n Nest!"
Wir wandern ein bisschen weiter nach oben im "Nest"; von den oberen Reihe im Saal prüft Rosi all die Arbeit, die vor der Vorstellung zu leisten war, etwa auf einer der spiegelblanken Hochglanzbühnen in den Fritsch-Inszenierungen:
"Ich geh' dann in den Saal und gucke aus Zuschauer-Blick (das mach' ich aber bei 'nem Flügel auch, denn nichts ist schlimmer als wenn die Grapschen da drauf sind) und geh' so einmal von rechts nach links durch den Saal und gucke, ob’s auch so spiegelt und so blank ist, wie Herbert das gerne haben möchte. Und dann sag' ich: In Ordnung!"

Zufriedene Mutter und Putzfrau

Roswitha Sokolowski stammt aus Cottbus und wuchs auf bei Pflege-Eltern und in Heimen, die Fürsorge der alten DDR führte sie in eine eigentlich ganz seriöse Berufsausbildung. Doch mit dem ersten Kind wurde alles anders – sie stieg aus und übernahm Putz-Arbeiten im eigenen Wohnblock: eine sehr bewusste Entscheidung.
"Meine Kinder gehen nicht von morgens bis abends in die Krippe, sondern maximal von 8 bis 12, das reicht! Schließlich hab' ich meine Kinder gekriegt, weil ich Mutter sein wollte. Ich fand das schön zu Hause mit zwei Kindern und nem Ehemann, das is doch nich schlimm! Ja – es war nicht immer toll zu sagen: Ich bin Putzfrau ... aber Gott ja: Irgendwann stand ich da drüber. Und heute erst recht. Mich hat keiner belästigt, ich brauchte nicht in die Partei, ich brauchte zu keiner Sitzung – ich hatte meine familiäre Ruhe, und das war schön so."
Nach der Wende ein echter Glücksfall – nicht zu Turnhalle oder Hallenbad wechselte sie, sondern ins Theater. Und gleich im ersten Jahr hat sie gelernt, was das heißt: bei Castorf arbeiten.
"Wir hatten eine Castorf-Inszenierung, die hieß ‚Clockwork Orange‘, mit ganz ganz viel Dreck; also mit sechs Tüten Mehl, zwei Kisten Tomaten, ich weiß gar nicht: ich glaube, sechzig Farbbeutel Gelb-Grün, zwei Eimer verdünnte Milch ... Eier! Ich glaub, es waren noch 20 Eier."
… dabei kann Rosi die Rum-Aaserei mit echten Lebensmitteln eigentlich gar nicht leiden.
"... nur um ne Grundreinigung zu machen, waren schon zwei Müllsäcke nötig, um nur den Teppich so abzuräumen, dass man wieder sah, wo der Teppich ist. Und dann: Wasser marsch! Und dann wurde geschrubbt. Und da auf der Bühne kein Wasseranschluss war, musste ich immer mit die Wassereimer zum Herrenklo. Ja, der Nachteil war bloß, dass gleich hinter der Wand die Pipi-Becken für die Herren waren – und das heißt: Entweder hatte ich meine Wassereimer oder die Herren hatten ihr Pipi-Becken. Beides ging nicht."

"Putzen ist wie Meditieren"

Beim Wasseranschluss auf der Bühne sind wir jetzt angekommen, angelegt sozusagen für Rosi – und hier, auf der Bühne selber, hat sie die immer wieder erstaunlichsten Auftritte: bei den Proben. Sie putzt, Frank Castorf denkt.
"Das ist wie Meditieren. Und dann kannste also deinen Kopf und deine Gedanken kannste auf die Straße schicken, oder im Baum oder sonstewohin, und man poliert die Platten. Und dabei guckt er mir dann zu! Und wenn er dann ne Idee hatte oder 'n Gedanken hat, dann werde ich halt von der Bühne gebeten, dann heißt es: Is gut. Genug geputzt! Jetzt kannste gehen, ich mach weiter! Da kann ich mitten in der Pfütze aufhören – er will das dann nicht mehr. Und wir wissen beide, dass wir für das gleiche Stück arbeiten – er als Intendant und Regisseur, ich als Putze. Deswegen sage ich immer: Ich bin Castorfs Bühnen-Putze!"
So ist diese energische kleine "Bühnenfrau" ein Teil von jenem sehr speziellen Geist, den neulich Herbert Fritsch beschwor für dieses Haus – und den nicht nur er bedroht sieht durch die bevorstehende unfreundliche Übernahme. Rosi sieht das genauso:
"Ich finde, das Haus hat so 'nen antiken Charme, das ist einfach nur schön. – Deshalb tut’s ja auch so weh ..." – "Jetzt?" – "Ja."
Gut – das große Finale der Castorf-Zeit wird sie nur noch als Zuschauerin erleben im Volksbühnen-Nest. Am 1. Januar geht Roswitha Sokolowski in Rente.
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