Regisseur Denis Villeneuve über "Sicario"

"In Juarez habe ich Traurigkeit gespürt"

Der Grenzzaun an der Grenze von Sonora und Arizona bei Sonoyta: Er soll vor allem verhindern, dass Fahrzeuge in die USA gelangen.
Der Grenzzaun an der Grenze von Sonora und Arizona bei Sonoyta: Er soll vor allem verhindern, dass Fahrzeuge in die USA gelangen. © picture-alliance / dpa
Moderation: Susanne Burg · 26.09.2015
In "Sicario" spielt Emily Blunt eine FBI-Agentin, die einer Task-Force im Einsatz gegen die Drogenkartelle in Mexiko beitritt. Der Film ist voller Gewalt und "reißt Abgründe auf", wie Regisseur Denis Villeneuve im Interview sagt – doch die Realität vor Ort sei "viel, viel schlimmer".
Susanne Burg: Er lief in diesem Jahr in Cannes im Wettbewerb, nun kommt er in die Kinos: "Sicario", der Thriller über den Drogenkrieg an der mexikanischen Grenze. Emily Blunt spielt darin eine idealistische FBI-Agentin, die sich einer internationalen Task-Force anschließt. Mit dabei auch ein kolumbianischer Söldner, gespielt von Benicio del Toro, und Matt Graver, der Chef des Fahnder-Temas, dargestellt von Josh Brolin. Gemeinsam gehen sie auf die Jagd nach den Drahtziehern des Drogenhandels. Und arbeiten dabei nicht immer mit sauberen Methoden.
Einspieler
Ein Ausschnitt aus "Sicario". Gedreht hat den Film der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve. Seinen internationalen Durchbruch hatte er 2013 gleich mit seinem Hollywood-Debüt: dem beklemmenden Kinderentführungsthriller "Prisoners". Noch im gleichen Jahr kam "Enemy" heraus, bei dem Jake Gyllenhaal als Professor in einem Schauspieler seinen Doppelgänger erkennt und dessen Nähe sucht. Es ist ein schizophrenes Ringen um Identitäten.
Beide Filme haben ihre Geschichten aus dem Kern der Familie oder einer Beziehung heraus entwickelt und Denis Villeneuve hat von dort aus die Geschichten geweitet und auch größere gesellschaftliche Themen angesprochen. In "Sicario" nun thematisiert er gleich ein sehr großes, transnationales Problem: den Drogenhandel. Ich habe ihn daher auch gefragt, was ihn an dieser Herausforderung gereizt hat.
Denis Villeneuve: Für mich geht es um den Film, nicht um den Drogenhandel, auch nicht um Mexiko. Es geht um ein Phantasma. In Amerika meinen wir – ich sage wir, weil wir ein Teil des Problems sind –, Konflikte außerhalb unserer Landesgrenzen ließen sich lösen, indem wir Gesetze anderer Staaten verletzen. Ich muss zugeben, dass mir die Vorstellung, ein Problem durch Härte aus der Welt zu schaffen, nicht völlig fremd ist. Härte ist eine Versuchung. Sie schafft aber andere Probleme – und der Film wirft Fragen danach auf.
Burg: Der Drehbuchautor Taylor Sheridan hatte recherchiert für den Film, es war ein schwieriges Unterfangen, es ist alles sehr unübersichtlich, wer für wen arbeitet, es ist alles geheim. Wie undurchsichtig ist das Geflecht aus geheimem CIA-Programm und Einsätzen?
Villeneuve: Taylor hatte viele Kontakte zum FBI aufgebaut, auch zur Anti-Drogenbehörde DEA und zum Militär. Er weiß alles über deren Strukturen und hat wirklich immens lange recherchiert vor den Dreharbeiten. Ich versuche, im Film alles so authentisch wie möglich darzustellen, aber die Wirklichkeit bildet er natürlich nicht haargenau ab. Es bleibt eine Geschichte.
Burg: Sie sind aber auch einmal mit dem Team in die Grenzstadt Juarez gefahren, die bekannt geworden ist als Stadt mit den weltweit meisten Morden. Wie sehr hat Ihnen das die Augen geöffnet?
"An den originalen Plätzen wäre es unmöglich gewesen zu drehen"
Villeneuve: Als Filmemacher solltest du schon wissen, wovon du redest. Ein Teil des Films spielt in Juarez. Man recherchiert, liest Bücher und Artikel, sieht sich Dokumentationen an, aber es kommt der Augenblick, da musst du alles mit eigenen Augen sehen. Es war sehr wichtig für mich, das Gebiet zu erkunden, in dem sich so vieles um Drogen dreht. Selbst wenn wir uns dort nicht lange aufhalten konnten, reichte mir das bisschen Zeit doch, um etwas vom sozialen Klima, von der Landschaft und der Architektur in mir aufzunehmen und ein Gespür für den Ort zu entwickeln. So war es leichter, einen passenden Drehort woanders in Mexiko zu finden. An den originalen Plätzen wäre es unmöglich gewesen, mit der Filmcrew zu drehen. Es ist einfach zu gefährlich.
Burg: Sie haben gesagt, Sie haben ein Gefühl für den Ort bekommen. Was war das für ein Gefühl?
Villeneuve: Ich habe in Juarez Traurigkeit gespürt, eine allgegenwärtige Angst und Anspannung. Die Bevölkerung lebt in Schrecken, man hat das Gefühl, dass das Leben in dieser so stillen Stadt zum Platzen angespannt ist. Die Polizisten, die in den Straßen patroullieren, sind wie Soldaten gekleidet. Ich habe die pure Angst in ihren Augen gesehen, das war beeindruckend. Ja, Angst ist sehr verbreitet unter der Bevölkerung dort.
Burg: Im Film sieht man gleich am Anfang einen Einsatz in Arizona, in einem Haus werden Dutzende von Leichen geborgen, Sie zeigen teilweise auch diese verstümmelten Menschen. Wie viel wollten Sie dem Zuschauen dabei zumuten?
Villeneuve: Die Absicht ist immer, so wenig wie möglich zu zeigen – gerade so viel, dass man begreift, welche Wirkung Gewalt entfaltet. Es müssen sich verschiedene Perspektiven auftun. Der Film ist packend, es ist ein Thriller, und er reißt Abgründe auf, aber ich kann Ihnen sagen, die Realität ist viel, viel schlimmer! Was in der Grenzregion Mexikos stattfindet, ist viel brutaler als das, was ich im Film beschreibe. Ich habe mich um Nüchternheit bemüht und gerade soviel gezeigt, dass man das Maß der Gewalt erahnen kann.
Burg: Im Zentrum der Geschichte steht Kate, sie ist eine FBI-Agentin, sie wird von einer verdeckten Sondereinheit angeheuert, ihr wird gesagt, für deinen amerikanischen Kopf ergibt das alles jetzt keinen Sinn, was wir hier tun – in vier Jahren wird es das tun. Wie sehr aber verrohen die Männer und ihre moralischen Werte in diesem Kampf?
"Müssen wir selber Monster werden? Das ist eine der Fragen, denen der Film nachspürt"
Villeneuve: Ich dachte, es ist interessant zu beobachten, wie unsere Hauptfigur – die an die Kraft des Gesetzes glaubt und sich selber immerzu gesetzestreu verhalten will – auf Abwege kommt, weil sie sich machtlos fühlt. Sie gerät in einen Strudel und geht zu weit, sie erkennt, welche Schäden ihr Handeln nach sich zieht. Mich haben die Fragen interessiert, die sich aufdrängen, wenn man meint, dass üble Kräfte jenseits der Grenze bekämpft werden müssen, - müssen wir selber Monster werden? Das ist eine der Fragen, denen der Film nachspürt.
Burg: Ich finde auch die Kamera sehr interessant – der Film erzählt zum Teil aus der Perspektive der Protagonisten als sie zum Beispiel dann mit dem Nachtsichtgerät unterwegs sind. Oder das Bild, das ein Hubschrauber von einem Drogenort macht, ist auch das Kinobild. Wie sehr soll der Zuschauer Teil der Operation werden?
Villeneuve: Roger Deakins und ich dachten, es wäre wichtig, immer dicht an unserer Hauptfigur Kate dran zu sein, also Emily Blunt über die Schulter zu sehen, das Geschehen mit ihren Augen zu verfolgen. Das erzeugt eine beklemmende Enge und Anspannung. Und das wollten wir durchhalten. Es erhöhte die Spannung im Film.
Burg: Sie zeigen auch immer wieder den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA, und die große sandige Landschaft drum herum, die Badlands, ist ja rau, gnadenlos, sehr naturalistisch gefilmt. Welche Rolle spielt die Landschaft im Film, wie sehr sind Landschaft und Geschichte verquickt?
Villeneuve: Ich glaube, das hat viel miteinander zu tun. Die Vorstellung, dass da eine Linie ist, die du überschreitest, und dass du an dunkle Ort gelangst. Ich fand es filmisch interessant, dass Kate die Grenzen in mehrerlei Hinsicht übertritt: rein körperlich, aber auch in ihrem Herzen. Die Linie im Sand ist also eine Metapher für Geographie und menschliches Wesen.
Burg: Derzeit gibt es mehrere Filme, die sich des Themas Drogenhandel annehmen, die Netflix-Serie "Narcos" etwa oder "Kill the Messenger". Die Probleme des Drogenhandels sind drängend, aber nicht neu – haben Sie eine Idee, warum das Thema gerade jetzt so viele Filmemacher interessiert?
"Wir müssen alles immerzu wiederholen, damit ein Wandel möglich wird"
Villeneuve: Das ist Zufall, denn es ist ja kein neues Problem, sondern ein altes, das sich entwickelt und verändert hat. Nehmen Sie Kriegsfilme, die werden auch immer wieder gedreht. Man fragt sich natürlich, warum wir immer wieder dieselben Geschichten erzählen. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass wir Menschen uns kaum verändern. Wir müssen alles immerzu wiederholen, damit ein Wandel möglich wird. Ich glaube, so ist es.
Burg: Vielen Dank!
Villeneuve: Danke!
Burg: Der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve. Ich habe ihn in der vergangenen Woche in Toronto beim Filmfestival getroffen. Sein neuer Thriller "Sicario" kommt am Donnerstag in die Kinos.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Emily Blunt and Benicio del Toro beim San Sebastian Film Festival, wo sie den Film "Sicario" von Denis Villeneuve präsentierten; Aufnahme vom September 2015
Emily Blunt and Benicio del Toro beim San Sebastian Film Festival, wo sie den Film "Sicario" von Denis Villeneuve präsentierten; Aufnahme vom September 2015© picture alliance / Cordon Press
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