Berliner Regierungsviertel

Rein ins Haifischbecken

Die Sonne scheint am 14.03.2014 in Berlin durch die Reichstagskuppel.
Reichstag in Berlin © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Naupold
Von Andreas Rinke · 14.04.2014
Die Abgeordneten des Bundestages reisen nach Berlin, aber in ihren Wahlkreisen, in Städten und Gemeinden, sind sie zu Hause - auch politisch. Doch etwas hat sich geändert, beobachtet Andreas Rinke. Der Weg ins Regierungsamt führt über Berlin.
Als die SPD nach einem Kanzlerkandidaten suchte, hielten viele Hannelore Kraft für geeignet - eine Frau, stellvertretende Parteivorsitzende, noch relativ frisch auf der Bundesebene unterwegs, dazu machtbewusste Chefin des größten Bundeslandes.
Doch sie lehnte ab – mehrfach und klar, gerade zu heftig. Und sie bestätigte damit einen Trend: die Ministerpräsidenten der Länder zieht es nicht mehr in die Bundespolitik, schon gar nicht nach Berlin. Weshalb Kanzlerkandidaten nicht mehr aus dem Pool einflussreicher Landesfürsten gekürt werden dürften.
Das war früher anders: Gerhard Schröder ging von Hannover direkt ins Kanzleramt. Sein Vorgänger Helmut Kohl wechselte aus Mainz nach Bonn – erst als Oppositionsführer, bevor er seinen Traumposten besetzte. Noch früher kam Kurt Georg Kiesinger aus Stuttgart, zeitgleich mit Willy Brandt aus Berlin.
Wie damals den Regierenden Bürgermeister machte die SPD später fünf aktive Ministerpräsidenten zu ihren Vorsitzenden: erst die Brandt'schen Enkel Björn Engholm, Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine, dann Matthias Platzeck und Kurt Beck. Doch beide, der Brandenburger wie der Rheinland-Pfälzer, scheiterten schneller als andere.
Landesväter fremdeln mit Berlin
Die Zeiten hatten sich geändert. Die Parteien waren vom Rhein an die Spree gezogen und fortan wurde nicht länger für ausgemacht gehalten, dass Landesväter aus der Provinz das nötige Rüstzeug für die Bundespolitik mitbringen. Im Gegenteil: Sie fremdelten und bekannten sich freimütig dazu.
Schuld sind drei Entwicklungen: Erstens liegt es an Berlin. Im großstädtischen Milieu geht es quirliger, schneller und härter zu. Außenstehende nehmen das Regierungsviertel als Haifischbecken wahr. Wenn es nicht abschreckt, so ist es zumindest gewöhnungsbedürftig, sich darin zu bewegen. Auch Christian Wulff ging es so, der als Bundespräsident von Hannover ins Schloss Bellevue zog.
Zweitens mischen die Medien in der Hauptstadt stärker mit als noch im beschaulichen Bonn. In großer Zahl akkreditiert, untereinander hart konkurrierend, schauen die Journalisten wie durch ein Brennglas auf alles, was Politiker machen – oder unterlassen. Für das, was in der deutschen Provinz geschieht, fehlt ihnen dagegen die Aufmerksamkeit.
Natürlich mit Ausnahme der Bayern
Darum fällt es Landespolitikern auch schwer, sich abseits des Zentrums zu profilieren, natürlich mit Ausnahme der Bayern – und mit Ausnahme vielleicht von Torsten Albig, der sich nach Kiel absetzte und von dort aus als Insider über das Berliner Raumschiff ätzt.
Und drittens hat sich die Bundespolitik inhaltlich von der Landespolitik entfernt. Sie ist internationaler, sie ist europäischer geworden. Erfahrungen sind weniger übertragbar, weshalb ein guter Ministerpräsident heute weniger als früher auch zum Kanzler oder Bundesminister taugt.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Angela Merkel seit 2005 das Bundeskabinett führt. Sie ist in Berlin sozialisiert, selbst wenn sie ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern hat. Auch Sigmar Gabriel ist ein ehemaliger Ministerpräsident aus Hannover, doch hatte er ebenfalls bereits mehrere Jahre Politik in der Hauptstadt gemacht, bevor er das Amt des SPD-Vorsitzenden übernahm. Im föderalen Deutschland stammen eigentlich alle Politiker aus der Provinz. Der Weg ins mächtigste Regierungsamt jedoch führt über Berlin.
Was bedeutet dieser Trend für Ursula von der Leyen?
Interessant wird zu beobachten sein, was dieser Trend für Ursula von der Leyen bedeutet, die ja als potenzielle Nachfolgerin Merkels gehandelt wird. Sie hat sich bundespolitisch als Familien- wie als Arbeitsministerin profiliert. Nun könnte sie außenpolitisch als Verteidigungsministerin reüssieren.
Das sind gute Voraussetzungen für noch mehr Karriere. Andererseits wohnt sie nicht einmal in Berlin, sondern übernachtet immer noch bei der Familie in Hannover.
Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Heute ist er politischer Chefkorrespondent der internationalen Nachrichtenagentur "Reuters" in Berlin.
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