Berliner Privatschule "NewSchool"

Ist das die Schule von morgen?

Jugendliche in der Berliner Privatschule "NewSchool" bauen gemeinsam einen hydraulischen Roboterrarm.
Jugendliche in der Berliner Privatschule "NewSchool" bauen gemeinsam einen hydraulischen Roboterrarm. © NewSchool
Von Tim Wiese · 06.10.2016
Keine Hausaufgaben, keine Noten, keine 45-minütige Unterrichtsstunde: An der Berliner Privatschule "NewSchool" lernen Jugendliche in Projekten das, was sie interessiert. So soll Selbstständigkeit und Kreativität gefördert werden. Funktioniert das?
"Wir gehen jetzt ins Erdgeschoss, da ist unser Hauptschulraum"
Sabrina Heimig-Schloemer führt durch die NewSchool, die sie zusammen mit ihrem Mann vor knapp einem Jahr in Berlin gegründet hat: Ein umgebautes Industriegebäude mit Alufassade am Ufer der Spree, in dem auch Startup-Unternehmen ihre Büros haben. Die NewSchool unterhält dort Räume auf zwei Etagen, verbunden durch Betontreppen. Eine graue Tür führt in den Haupt-Unterrichtsraum.
Bodentiefe Fenster sorgen für viel Licht. Mit über 120 Quadratmetren ist hier so viel Platz, dass man nicht gleich vor den Schülern steht. Rechts neben der Tür fällt der Blick auf ein Podest.
"Wir haben letztes Jahr ein Stück aufgeführt. Die Kinder haben die Bühne selber gebaut mit unserem Schreiner."
Ein paar Schritte weiter links und man steht vor einer Kochinsel.
"Genau, hier wird gerade gekocht, wir haben das Glück, dass wir im Moment jemanden haben."

Mago Beck bereitet das Mittagessen vor. Ihr Enkelkind besucht die NewSchool. Die Großmutter will ihren Teil beitragen, weil sie von der Idee der Schule überzeugt ist.
"Dass die Kinder frühzeitig lernen, selbständig Dinge zu tun, entscheiden können und einfach anderes aufwachsen als ständig unter Druck."

"Talents" statt Schüler

13 Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren besuchen die Privatschule. Sie lernen alle zusammen, jahrgangsübergreifend, und heißen hier nicht Schüler, sondern Talents – denn jeder hat Fähigkeiten, die entdeckt werden sollen. Der Schultag beginnt um 9 Uhr mit Frühsport. Wer möchte, kann vorher mit den anderen zusammen frühstücken. Gerade sitzen die Jugendlichen in Zweier- und Dreiergruppen an Bistrotischen zusammen.

Grace: "Also wir haben gerade Coding und wir versuchen gerade, diese kleine Figuren hier zusammenzubasteln und zwar hat das ein bisschen was mit Animation zu tun."
"Ok, Leute, also heute gucken wir uns noch einmal auf andere Art und Weise die 3D-Körper an."
Patrick Oswald steht vor einem großen Flatscreen. Der freiberufliche Interaktionsdesigner erklärt die Anwendung eines Animationsprogramms. Er ist einer von zahlreichen Experten, die an der Schule neben ausgebildeten Lehrern unterrichtet.
"Heute versuchen wir mal, so ein dreidimensionales Objekt händisch zu basteln. Heißt, ich habe die Oberflächen, die sogenannten Polygone geplättet und ausgedruckt."
Aus den Vorlagen sollen dreidimensionale Pokémon entstehen.

Gemeinsam entscheiden, wann Pause ist

Während Jonas die Oberflächen sorgsam ausschneidet, erklärt mir der 15-Jährige den Sinn der Übung.
"Um ein grobes Verständnis dafür zu kriegen, damit wir später an einem Computerprogramm digital eine Figur 3D modeln können."
Autor: "Was gefällt dir denn jetzt an dieser Art des Unterrichts?"

"Dass man interaktiv ist. Das heißt, nicht immer nur da rumsitzt und abschreibt, abschreibt, abschreibt und es dann irgendwann Zuhause alles wiederholt, sondern dass du interaktiv dabei bist und dadurch selbständiger lernen kannst."
Dabei unterbricht kein Schulgong. Die Jugendlichen entscheiden zusammen mit den Experten, wann es Zeit für eine Pause ist. Während vormittags alle gemeinsam programmieren, handwerken, Theater spielen, rudern oder tanzen, arbeiten sie nachmittags an ihren eigenen Projekten und bestimmen selber, worüber sie mehr erfahren wollen.
"Dann machen die einen sogenannten Pitch vor den anderen. Das heißt, sie versuchen, andere Talents dafür zu begeistern, dass die alle bei dem Projekt mitmachen. Dann wird eine Zeitlinie gemacht mit verschiedenen Meilensteinen, weil es für die Kinder wichtig ist, dass es kurze Abstände gibt, wo die schon einmal etwas präsentieren können. Und dann wird das Projekt auch vor allen vorgestellt, also die Ergebnisse, die man erreicht hat."
In einem dieser Projekte beschäftigen sich die Jugendlichen mit Mangas. Ein Kleid im Stil der japanischen Comics soll entstehen. Unterstützung bekommen sie von Mentoren.
"Also auf einen Mentor kommen fünf Talents."

Der Historiker Dr. Thomas Wirtz ist einer dieser festangestellten Betreuer.
"Wir helfen bei der Organisation der Projekte, sich selbst zu organisieren. Wir arbeiten um die Talents herum, um ihnen möglichst alle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig auch, ihr Talent zu entdecken. Also ihnen Angebote, Ideen und Impulse zu geben, sie zum Ausprobieren zu bewegen."

Mit staatlich anerkanntem Abschluss

Dabei behalten die Mentoren den Lehrplan im Blick. Lerninhalte werden gezielt an die Projekte angedockt. So steckt in der Herstellung des Manga-Kleids auch Kunstunterricht, Geschichte und Mathematik, schließlich muss die benötigte Stoffmenge berechnet werden. Noten gibt es keine, aber nach zwei Wochen müssen die Jugendlichen die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren und von den anderen sowie den Mentoren mündlich bewerten lassen. Am Ende der Schulzeit soll dann ein staatlicher anerkannter Abschluss stehen.
"Das ist aber auch als Projekt gedacht. Da haben wir natürlich begonnen, eine Lernstanderhebung zu machen. Wo stehen die Talents in den jeweiligen Prüfungsfächern? Um dann gezielt mit Ihnen die Lücken auch anzugehen und sie zu füllen. Seien das jetzt Tutoren, die kommen, um Wurzelrechnung noch mal zu wiederholen, seien es Lernvideos. Und dazu gehört dann eben auch, mal in den sauren Apfel zu beißen und sich Inhalte anzueignen, die für das Projekt notwendig sind."
"Ja, man muss halt manchmal etwas für sein Ziel tun."
Die 16-jährige Grace arbeitet gerade an ihrem mittleren Schulabschluss. Zusammen mit zwei anderen muss sie sich selber als Lerngruppe organisieren. Sie bekommen zwar alle gewünschten Hilfestellungen, aber auch hier zählen Eigeninitiative und Engagement.
"Man will ja auch etwas erreichen. Ich denke, dass ich hier sein darf, das ist meine Motivation jeden Morgen. In die Schule gehen zu können, ohne den Stress zu haben, ohne Lehrer zu haben, die einen wegen irgendwelcher Sachen anmachen."

Handschriftliche Bewerbung und Probewoche

Aber mit dieser Freiheit mussten die Jugendlichen auch erst einmal umzugehen lernen.
Heimig-Schloemer: "Also schwierig war eben, dass eine komplett freie Projektarbeit die Kinder noch überfordert. Und wenn die das Projekt zu groß gewählt hatten, dann wussten die überhaupt nicht mehr, wo sie ansetzen sollten. Dann war eine Demotivation da."
Deshalb strukturieren die Mentoren jetzt das Lernangebot stärker als früher. Trotzdem glaubt Sabrina Heimig-Schloemer an ihr Konzept. So sehr, dass sie die Schule aus eigenen Mitteln finanziert – aber auch mit Hilfe der Eltern, deren Beitrag pro Kind liegt immerhin bei zehn Prozent ihres Bruttoeinkommens. Wichtig ist dabei sicher auch: Wer an diese Schule will, muss sich handschriftlich bewerben und eine Probewoche absolvieren. Eine Herausforderung. Zumal die meisten Jugendlichen, die hierher kommen, zuvor an Schulen waren, an denen sie mit dem streng reglementierten Lernen nicht zurechtkamen. So wie die 14-jährige Julie. Für sie hat sich der Wechsel aber jetzt schon voll gelohnt:
"Hier lernt man ja auch. Es ist halt freier. Also man lernt halt eigenständiger und das ist tausendmal wichtiger, als einen Leistungsdruck zu haben und total kaputt zu gehen, aber die Eltern verstehen das halt leider oft nicht so."
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