Berliner Philharmoniker

Willkommensgruß mit Beethoven

Daniel Barenboim
Der Dirigent Daniel Barenboim hatte die Idee zu dem Konzert. © dpa / picture alliance / Mohamed Omar
Von Haino Rindler · 07.11.2014
Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, wollten die Berliner Philharmoniker nicht einfach zusehen. Sie wollten die Menschen im Westen willkommen heißen - und brachten in nur zwei Tagen das Unmögliche zustande.
"Also ich habe als Kind ganz viel Märchen gelesen. Und es gibt in den Märchen oft so Geschichten, da gibt es die 13. Tür. Hinter die soll man nicht gucken. Und dann gibt es da immer irgendetwas Verrücktes dahinter."
Es war für Maren Eißmann ein bisschen so, als würde sie die 13. Tür öffnen, als sie zum ersten Mal den Westteil Berlins, oder wie es damals hieß: den freien Teil der Stadt, betrat. Mit ihr Hunderttausende andere Menschen. Sie erkundeten das unbekannte Terrain, das in den DDR-Stadtkarten nur als graue Fläche abgebildet war: West-Berlin wurde für diesen Augenblick ein Mekka, das man Schritt für Schritt eroberte. Ein Sehnsuchtsort.
"Der einzige Ort, den ich wirklich schon vorher gesehen hatte, war die Philharmonie. Es gab nämlich einen Punkt in Berlin, an dem man die Philharmonie sehr gut sehen konnte. Es gab neben dem Brandenburger Tor einen alten Teil der alten Akademie der Künste. Ein Atelierhaus. Und man konnte von diesem Gebäude aus über die Mauer schauen. Man konnte in den Tiergarten blicken und man konnte die Philharmonie sehen."
Die Philharmonie war der Arbeitsplatz von Klaus Stoll, Solokontrabassist der Berliner Philharmoniker:
"Ich wollte meinen Sohn früh zur Schule bringen, und als ich ihn zur Schule brachte, da sah ich auf der Brandenburgischen Straße im Zentrum von Charlottenburg, da sah ich Menschen herumstehen, die an einem Autoabstellplatz, an einem Verkaufsplatz standen. Und da sagt einer: Kieck mal, 'n Mercedes. Und da wusste ich, da ist was passiert."
Ein einmaliges Willkommensgeschenk
Auch wenn nicht jeder gleich Mercedes fahren konnte, gab es doch Geschenke - manche peinlich wie die Kaffeepakete von Kaisers, manche großzügig wie die 100 D-Mark Begrüßungsgeld, manche einmalig wie das Konzert der Berliner Philharmoniker am Vormittag des 12. November 1989.
Zwei Tage zuvor waren die Philharmoniker zur Probe zusammen gekommen. Nachdem Herbert von Karajan schon im Sommer gestorben war, stand nun Daniel Barenboim vor den Musikern, der auch später für Berlin eine so wichtige Rolle einnehmen sollte.
"Und Daniel Barenboim hat sofort in seiner weltmännischen Art die Sache irgendwo realistisch gesehen. Und hat gesagt: Kinder, wir haben doch am Sonntagmorgen frei. Habt ihr nicht die Idee, dass wir die Leute einfach begrüßen? Und dann gab's natürlich keinen Widerspruch. Wir waren begeistert von dem Gedanken, wiewohl wir keine Idee hatten, wie man sowas organisieren kann. Das war ja auch dann gar nicht so leicht, das zu formieren, dass die Menschen da so kommen."
Die Befürchtung, vor leeren Rängen zu spielen, wurde schnell entkräftet. Der damalige SFB und die Abendschau riefen die Ostberliner auf, in die Philharmonie zu kommen: Der Eintritt gegen Vorlage des Personalausweises war frei. Einer der Hineilenden war Martin Dörr, der sich in aller Herrgottsfrühe in die Bahn setzte:
"Und bin dann früh gegen sechs Uhr an der Philharmonie gewesen, hab mich da angestellt, war der Zweite. Und dann haben die irgendwann aufgemacht, wann, weiß ich nicht mehr so genau - und habe meine Karte bekommen. Bin dann nachher nach Neuwestend rausgefahren zu Schulfreunden zum Frühstück. Die haben mich dann mit dem Auto zum Konzertbeginn in die Philharmonie gefahren."
Schmidt: "Mein erster Eindruck war natürlich überwältigend – allein, dass ich mal die Philharmonie betreten konnte. Ich erinnere mich: Ich kam rein, da war rechts noch ein Tisch mit ein paar Auslagen und ansonsten völlig ohne Ankündigungssäulen, so wie heute. Das machte einen viel nüchterneren, exakten, schlichten, faszinierenden Eindruck auf mich. Das hat sich sehr verändert."
Ein euphorischer Taumel, Spannung liegt in der Luft
Natürlich besitzt Karl-Heinz Schmidt auch seine Eintrittskarte und das Programmblatt noch, auf dem nichts weiter als die Konzertanordnung genauso knapp und sachlich aufgeführt ist: Beethovens 1. Klavierkonzert und die Siebte Symphonie. Das Programm hatte Barenboim schon vorher mit den Philharmonikern aufgeführt. Doch bei diesem Konzert lag eine besondere Spannung in Luft, ein euphorischer Taumel:
"Es war also sehr geordnet und es herrschte eine sehr euphorische Stimmung. Ablesen konnte ich es an der Mimik der Menschen: alle lächelten, strahlten, wirkten heiter, gelöst locker."
Dörr: "Ich weiß noch, zwei drei Sitze neben mir setzte sich ein Herr hin. Und wir guckten uns dann an, stellten fest, dass wir ehemalige Kollegen waren, die wir aber längst nicht mehr miteinander zu tun hatten. Es ging dann los, ganz klassisch mit Begrüßung, aber man merkte doch, diese Emotionen, die übertrugen sich vom Publikum. Und dann spielten die und dann merkte man also, dass auch die Musiker sehr emotional waren. Und als das Konzert dann zu Ende war, also die hatten am Wasser gebaut und Barenboim wischte dann auch mit den Fäusten so ein bisschen die Augen. Und dann gab's Blumen und Beifall – also das tobte dann so ein bisschen."
Die Atmosphäre dieses Mauerfallkonzertes ist nachzuspüren, wenn man sich die Videoaufnahme anschaut. Ein mit Menschen vollgestopfter Saal der Berliner Philharmonie. Und doch kein Laut, kein Husten oder Räuspern, bevor die Musik beginnt. Auch für die Philharmoniker war dieses Konzert magisch. Nochmal Klaus Stoll, der Kontrabassist:
"Man stand total unter dieser Spannung. Und diese Spannung hat uns natürlich inspiriert, vielleicht so zu spielen, wie wir es normalerweise auch machen. Aber da gab es noch eine besondere Note. Das war einfach die Emotion, die ja nun bei Beethoven wirklich in Töne umgesetzt worden ist, die konnte man spüren. Es ist einfach so, dass ich dieses Konzert so stark in Erinnerung habe, dass ich mir sogar diesen Mitschnitt nicht angehört habe."
Maren Eißmann dagegen hat die Platte damals gekauft, sie steht mit anderen Erinnerungen im Schrank. Diese Schallplatte ist nicht nur ein Tondokument, sie ist ein Symbol. Ein Symbol für die 13. Tür, die im Märchen verboten ist, in Wahrheit aber ein Tor zur Welt geöffnet hat.
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