Berliner Lautarchiv

Das Sammeln fremder Klänge von einst

Ein historisches Bild aus dem Berliner Lautarchiv
Sprachaufnahmen mit Kriegsgefangenen im einstigen politischen Sonderlager in Wünsdorf in Brandenburg. © Lautarchiv, Humboldt-Universität zu Berlin
Von Dörte Fiedler · 30.04.2015
Das Lautarchiv der Humboldt Universität zu Berlin sammelt Stimmen von Menschen aus aller Welt, die vor allem in Gefangenenlagern während des Ersten Weltkrieges in Deutschland aufgenommen wurden. Zur Sammlung gehören 7500 Schellackplatten.
Vor beinahe 100 Jahren am 17. April 1917 singt ein junger Mann gerade mal 22 Jahre ist er, ein Lied in den Trichter eines Phonographen. Der Mann heißt Nikiphor Yu. Die Schellackplatte, auf die das Lied aufgenommen ist, ist Teil des Lautarchivs, einer Sammlung der Berliner Humboldtuniversität.
In einem schmalen kleinen Raum in großen grünen Metallschränken werden die 7500 Schellackplatten verwahrt. Über Nikiphor Yu gibt es nur noch einige wenige weitere Details in den Dokumentationen der Sammlung. Man weiß dass er in einem Dorf in der Nähe des russischen Wladiwostok geboren und das seine Eltern aus Korea stammen.
Die Sammlung des Lautarchivs ist, was man eine sensible Sammlung nennt. Nicht etwa weil die Tonträger auf denen die Aufnahmen aufgezeichnet sind empfindlich wären, sondern weil die Umstände ihrer Entstehung, ihrer Verwandlung in Sammlungsgegenstände und der Umgang damit eine besondere Sensibilität erfordert.
Fast 2500 Tonträger aus der Zeit zwischen 1915 und 1918
Die Anthropologen, Sprachwissenschaftler und Musikwissenschaftler die an der Sammlung der Stimmen beteiligt waren, reisten für ihre Forschung nämlich nicht etwa in die Herkunftsländer der jeweiligen Sprachen und Musik, sondern in die zahlreichen Kriegs – und Zivilgefangenenlager die während des ersten Weltkrieges auf deutschem Gebiet existierten. Die Aufnahme von Nikiphor Yu, die als koreanisches Sprachbeispiel fungieren sollte, entstand weder in Russland noch in Korea sondern in Hammerstein am Rhein. Einem Gefangenenlager gut eine halbe Stunde entfernt von Bonn.
Britta Lange: "Also für mich war das wirklich sehr Besondere, dass man diese Kriegsgefangenen sprechen hört, denn alles was ich bis dahin von den Kriegsgefangenen gesehen hat waren visuelle Zeugnisse, also Fotos und es gibt auch so ein paar kleine Filmschnipsel."
Das ist Britta Lange, sie ist Kulturwissenschaftlerin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Aufnahmen die im Lautarchiv lagern.
Insgesamt umfasst der Teil der Sammlung, der im Zeitraum zwischen 1915 und 1918 gemacht wurde, fast 2500 Tonträger. Federführend hinter dem geheimen Auftrag für die Aufnahmen stand die sogenannte Königlich Preußische Phonographische Kommission deren geschäftsführender Sekretär der Phonetiker Wilhelm Doegen war. Sein Sammlungsansatz die Stimmen aller Völker der Welt zusammen zu tragen und kulturelle Denkmale für 1000 Jahre zu schaffen erscheint aus heutiger Perspektive ziemlich fragwürdig und etwas größenwahnsinnig.
Jochen Hennig: "Ich denke das dass Lautarchiv nicht nur Zeugnisse über einzelne Stimmen einzelne Sprachen beinhaltet."
Jochen Hennig, Sammlungsbeauftragter der Humboldt Universität Berlin.
"... sondern es auch Zeugnis einer Art zu Sammeln ist,wie sie in Metropolen des 19.Jh. entwickelt wurde enzyklopädische Ansätze - das Denken, die Welt sozusagen in den Sammlungen in den Museen in den Metropolen Europas versammeln zu können --- und dieser Anspruch wird dann aber keinesfalls erfüllt wenn wir das jetzt mit einer historischen Distanz uns anschauen."
Viele Aufnahmen sind noch immer nicht übersetzt
Die Sensibilität der Sammlung erklärt sich aus ihren Entstehungsumständen. Denn hinter jeder einzelnen Aufnahme steckt eine besondere Geschichte, wer waren die Menschen die ihre Stimmen für den Phonographen der Wissenschaftler gaben. (Tonbsp. Hintergrund) Die Wissenschaftler verfolgten eine Idee des Exemplarischen, sie wollten typische Sprachexemplare zusammentragen. Die Biografien hinter den Stimmen kümmerten sie kaum.
Britta Lange: "Ja, da schließen sich 100.000 Fragen an und dafür steht eben auch dieses Archiv, dass es unglaublich viele Zeugnisse aus dem Ersten Weltkrieg bewahrt, die relativ einzigartig sind, weil sie zum Teil eben auch sehr persönliche biografische und auch historische Berichte enthalten. Und andererseits steht es für alles das was wir nicht wissen, also diese ganzen Lücken. Jede Tonaufnahme ist unglaublich aufregend und sie produziert aber sofort 150 000 Fragen hinterher."
Fragen, denen man sich in der Forschung zu den Aufnahmen nach und nach und vor allem im Hinblick auf deren Sensibilität stellen muss.
Jochen Hennig: "Ich denke, wir haben hier ein Überlagerung von kulturethischen wie auch rechtlichen Rahmenbedingungen. Wie gehen wir adäquat mit einer Aufnahme um von einer Person die nicht wollte dass die Aufnahme gemacht wird, was heißt es da eigentlich Verantwortung zu übernehmen? -. Das ist keine leichte Frage. Wir haben festgestellt es gibt nicht die Antwort - es gibt nicht den Medienanwalt der uns das sagen kann, wie es denn richtig wäre. Für mich ist es wichtig dass wir die Diskussion führen. Es geht mir erst einmal um die Sensibilisierung für diese Frage."
Viele Aufnahmen sind auch heute noch unübersetzt oder nicht mit ausreichender Expertise gehört und interpretiert worden. Um die Bedeutung und die Hintergründe jeder einzelnen Aufnahme verstehen zu können, braucht es neben Sprachwissen und historischem Verständnis auch die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Stimmengeber. Nur so lässt sich das Wissen um Mythen, um Codierungen und kulturelle Zusammenhänge erschließen, das für einen sensiblen Umgang mit den Tonaufnahmen unerlässlich ist.
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