Berliner Klangwunder auf Laptopboxen

Olaf Maninger im Gespräch mit Stefan Karkowsky · 06.01.2009
Die Berliner Philharmoniker unterstützen nicht nur das erste virtuelle Sinfonieorchester, sie übertragen heute erstmals ein Konzert live im Internet. Dabei setzen sie auf allerhöchste technische Standards. Der Medienvorstand des Orchesters, Olaf Maninger, empfiehlt daher, den Rechner an den Fernseher und die Stereoanlage anzuschließen, um so das optimale Klang-Bilderlebnis zu genießen.
Stefan Karkowsky: Das erste virtuelle Sinfonieorchester - bei YouTube erfahren Sie mehr darüber. Einsendeschluss ist der 28. Januar. Über diese Idee möchte ich sprechen mit Olaf Maninger, Solocellist der Berliner Philharmoniker und Medienvorstand des Orchesters. Guten Morgen!

Olaf Maninger: Schönen guten Tag!

Karkowsky: Die Philharmoniker stehen ja eigentlich nicht in dem Ruf, jeden Marketing-Gag unkritisch mitzumachen, irgendetwas an dieser Idee hat Sie also ernsthaft begeistert. Was war das?

Maninger: Das Spannendste an dieser Idee fanden wir eigentlich eine Ausweitung der klassischen Musik und auch der Zuhörerschaft der klassischen Musik in den digitalen Raum, also ins Internet. Wie Sie wissen, ist natürlich unser Zielpublikum, unser Stammpublikum besser gesagt, doch nicht unbedingt die Generation 14 bis 25, die irgendwie von morgens bis abends vor dem Computer sitzt und sich mit den verschiedensten Medien dort auseinandersetzt, sondern das sind schon die erwachsenen und älteren Zuhörer, die bei uns immer zu Gast sind. Und wir fanden es eigentlich sehr, sehr spannend, über dieses Tool "YouTube" zu einer neuen, jungen, internetaffinen Zuhörerschaft durchzudringen.

Karkowsky: Aber auch bei YouTube, dem Videokanal des Internets Nummer eins, kann man natürlich auswählen. Erreicht ein Aufruf zu einem weltweiten Casting zum Mitmachen an einem Sinfonieorchester, erreicht der nicht ohnehin nur diejenigen, die sich für klassische Musik, für Orchestermusik interessieren?

Maninger: Wahrscheinlich, aber ich glaube, die YouTube-Gemeinde ist ja sehr, sehr divers, und wie wir auch schon an vielen Reaktionen und Repliken gesehen haben, gibt es wirklich die skurrilsten Leute, die da mitmachen möchten. Da gibt es irgendwie Leute, die uns anschreiben und sagen, wir möchten gerne mitmachen, wir möchten gern unsere Stimme einspielen, einer hat jetzt geschrieben, aber ich habe gar kein Cello. Der wollte die Cellostimme einspielen. Wo kann er denn ein Cello herkriegen? Also - das sind jetzt nicht unbedingt die ganz normalen Konsumenten unserer Konzerte und auch nicht nur das ganz normale Publikum von YouTube.

Karkowsky: Ein weltweites Casting für ein YouTube-Sinfonieorchesterwird unterstützt von den Berliner Philharmonikern, wir sprechen darüber mit dem Solocellisten Olaf Maninger, der zugleich Medienvorstand des Orchesters ist. Herr Maninger, Sie sind noch an einem zweiten Internetprojekt beteiligt. Heute Abend sind Sie mit den Philharmonikern weltweit zu erleben, erstmals überträgt das Orchester ein Konzert live im Internet. Schlichte Frage: Warum tun Sie das?

Maninger: Das ist eigentlich das wirkliche Projekt der Berliner Philharmoniker, muss ich sagen. Ich habe mich irgendwann mal gefragt: Warum hat nicht jede Konzerthalle automatisch ein Bild-Ton-Studio? Tonstudio ist eine völlige Normalität, Bild-Ton-Studio die absolute Ausnahme, und eine Internetübertragung von Konzerten eines Orchesters gibt es noch gar nicht. Das ist wirklich Neuland. Uns ging es immer darum bei diesem Projekt: Wenn wir so was machen, wenn wir eine Internetübertragung machen, dann möchten wir das mit den höchstmöglichen technischen Standards machen. Das heißt, bei uns war Prämisse: HD-Bild, ...

Karkowsky: High Definition.

Maninger: High Definition, und AAC-Sound, das heißt also, auch da der bestmögliche Tonstandard. Das, was bisher an Internetübertragungen läuft, ist ganz oft noch im mp3-Komprimierungsformat, im mp4-Komprimierungsformat, und das ist etwas, was uns überhaupt gar nicht interessiert. Wir haben gesagt, dieser Standard, der auch bei CDs gilt - vielleicht sogar ein bisschen besser als der normale CD-Standard -, ist bei uns Grundlage des Ganzen.

Karkowsky: Sie gehen sofort natürlich in die Qualitätsoffensive hier und sagen, wir werden es besser machen als alle Übertragungen vor uns, aber warum überhaupt? Ein Konzertbesucher, der in ein Konzert geht, hat der nicht ganz andere Ansprüche? Der möchte gerne dem Dirigenten nahe sein, der möchte die Atmosphäre einer Konzerthalle erspüren, den Raumklang der Berliner Philharmonie. All das gibt es ja zu Hause am Computer nicht.

Maninger: Natürlich nicht, aber das ist dann überhaupt die Frage nach der Sinnhaftigkeit von medialer Verbreitung von Musik. Die Frage haben wir für uns schon lange beantwortet. Wir haben festgestellt: Unsere Sitze in der Halle sind limitiert. Wir haben 2240 Sitzplätze und wir haben eine Auslastung in Berlin - der 90 Konzerte immerhin, die wir geben, nur in Berlin - von 98,7 Prozent. Wir haben die Möglichkeit, auf Tourneen ungefähr noch 40 Konzerte zu spielen weltweit. Das ist ein Bruchteil der Anfragen, die die Berliner Philharmoniker erreichen, das heißt, es gibt einfach den Bedarf nach mehr Erreichbarkeit des Orchesters. Und da ist mediale Verbreitung das einzige, was man noch machen kann.

Karkowsky: Ein bisschen Geld verdienen wollen Sie damit natürlich auch, das sollte man nicht verschweigen. Wir wissen ja seit den Wagner-Festspielen, dass das Streamen von Konzerten, das Livestreamen, also das Übertragen im Internet, recht teuer werden kann, auch für die Kunden. Ist Ihre Aufführung denn günstiger zu haben? Ich habe gehört, Sie haben einen siebenstelligen Investitionsbetrag investiert, um das überhaupt erst möglich zu machen.

Maninger: Ja, das ist wahr. Es ist natürlich kein Umsonstangebot, und Geld verdienen werden wir damit in den ersten Jahren so sicher wie das Amen in der Kirche auch nicht, sondern wir werden hoffentlich - das ist unser sehr ehrgeiziges Ziel - dahinkommen, dass dieses Unternehmen sich, in drei, vier Jahren zumindest, selbst trägt.

Karkowsky: Was sagen denn die Musiker zu dieser Mehrfachverwertung, auch dazu, dass sie demnächst dann aus Scheibtischlautsprechern zu hören sein werden? Ich habe gehört, Alfred Brendel soll die Teilnahme verweigert haben.

Maninger: Das ist richtig. Das ist natürlich nicht so, dass wir aus Schreibtischlautsprechern zu hören sein werden, vielleicht mal angefangen mit der Idee oder der Konzeption als solcher. Es ist natürlich ein Stream, ein Livestream oder ein On-Demand-Stream, den man auf seinem Computer empfängt. Was man natürlich machen kann ist, sich das auf seinem Laptop oder auf seinem Computer mit den Lautsprechern, die man hat, anzuhören.

Was aber von uns empfohlen wird, ist natürlich, dass man ein Kabel - und so einfach ist das heutzutage - zu seinem Fernseher legt, und dann hat man schon den Fernseher mit all den ganz normalen Fernsehlautsprechern und dem Sound eines Fernsehers als Abspielstation, sowohl den Monitor als auch die Boxen. Und ein weiterer Schritt, den wir alle natürlich gemacht haben, die wir dieses Projekt ausprobieren und begleitet haben, ist dann, den Fernseher über ein Audiokabel an die Stereoanlage anzuschließen und dann hat man das gesamte Stereo-Equipment für die Übertragung der Sendung.

Karkowsky: Und die Musiker? Ist Brendel der Einzige, der sich verweigert?

Maninger: Brendel ist bisher der Einzige, der sich verweigert, aber nicht aus dem Grunde, weil ihm dieser technische Standard nicht reicht, das wäre das Allerletzte, was er sagen würde, sondern Brendel hat seit, glaube ich, 15 Jahren oder 17 Jahren überhaupt gar keiner medialen Verbreitung seiner Aufführungen mehr zugestimmt. Auch das letzte Konzert, was er gespielt hat, in Wien, wurde weder vom Radio noch von sonst irgendetwas übertragen, von Fernsehen ganz zu schweigen. Er wehrt sich einfach gegen diese mediale Verbreitung.

Karkowsky: Und ist das eine Philosophie, für die Sie Verständnis haben?

Maninger: Total, ehrlich gesagt. Jeder Künstler muss sich so mit der Verbreitung seiner Kunst auseinandersetzen und da Entscheidungen finden, wie er das für richtig hält. Es gibt wenige, wenige Künstler - Brendel ist einer der wirklich wenigen Ausnahmen -, die irgendwann gesagt haben, ich habe darauf keine Lust, medial verbreitet zu werden. Wir haben seit Anfang der medialen Verbreitungsmöglichkeiten, seit den ersten Schallplatten, Aufführungen, die das Orchester gemacht hat vor mehr als 50 Jahren, immer gesagt: Mediale Verbreitung ist für uns wichtig und wesentlich, und so hat da jeder seine Vorlieben. Es gibt viele Künstler, die sagen: Wenn ich überhaupt einspiele, dann nur live. Es gibt Künstler, die sagen: Wenn ich überhaupt einspiele, dann nur Ton. Andere sagen: nur Ton und Bild. Es gibt also alles.

Karkowsky: Heute Abend werden wir wissen, wie erfolgreich Ihr Experiment war, denn dann gibt es in "Fazit" im Deutschlandradio Kultur eine ausführliche Kritik Ihres Konzertes, des ersten Livekonzertes, das die Berliner Philharmoniker im Internet geben werden. Das war der Solocellist des Orchesters Olaf Maninger. Herr Maninger, gibt es etwas, was man Cellisten wünscht vor einem Konzert?

Maninger: Ehrlich gesagt, gibt es da nichts Spezielles.

Karkowsky: Also so was Analoges zum Hals- und Beinbruch?

Maninger: Nein, haben wir nicht.

Karkowsky: Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel?

Maninger: Auch das nicht. Wir gehen einfach auf die Bühne und wünschen uns alles Gute.

Karkowsky: Alles Gute!

Maninger: Vielen Dank!
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