Berliner Hebbel am Ufer

Wer ist hier Lustobjekt?

Performance "sexyMF" am Berliner HAU
Szene aus der Performance "sexyMF" von Anna Borralho und Joao Galante am Hebbel am Ufer während des Festivals "Männlich Weiß Hetero" im April 2015. © Foto: HAU/Ana Borralho & João Galante
Von Gerd Brendel · 27.04.2015
Beim Berliner Festival "Männlich Weiß Hetero" ließ der Choreograph Andros Zins-Browne Cowboys tanzen und das portugiesische Performance-Duo Borralho und Galante lud zur intimen Sofa-Zwiesprache ohne Worte, aber mit viel nackter Haut.
"Lass uns reden" – wer das sagt, signalisiert: Ich hab zwar den Durchblick, aber nicht die Macht meine Einsichten durchzusetzen. Frauen beginnen so Beziehungsgespräche zumindest in der Klischeewelt von "weiß, männlich, hetero". Wenn jetzt im Berliner Hau dessen Chefin Annemie Vanackere ein Festival "über Privilegien" genau zu diesen drei Adjektiven veranstaltet, lässt das auf erhöhten Gesprächsbedarf schließen.
"Was wir mit dem Festival versuchen, ist andere Bilder zu zeigen und die Wahrnehmung aus der Balance bringen. Ein bisschen zu verwirren."
Reden wir also über das Festival. Zum Beispiel über die performance "the host" von Andros Zins-Browne. Drei Cowboys im Kampf mit einer Art abstrakten Hüpfburg. Irgendwann steppen die drei "Cowboy-Style" die Hände immer schön an der Gürtelschlaufe. Aber mit einem Mal hebt sich der Boden unter ihren Stiefeln. Immer höher wächst das Riesenluftkissen. Die Tänzer gleiten aus, rutschen, klettern immer wieder, bis zur Erschöpfung, auf das Luftpolster. Drei Supermänner, die nicht verstehen, dass ihr Macho-Gehabe auf schwankendem Boden nur noch zum Schießen komisch wirkt.
"Straight white men“ weiße hetero Männer – auf dem festen Boden einer sehr konventionellen Guckkastenbühne präsentiert die New Yorkerin Young Jean Lee.
Vor zwei Jahren begeisterte Young Ann Lee, auch den Autor dieser Zeilen, mit ihrer "Untitled feminist show". Da traten Frauen auf jenseits des typischen Schönheitsideals. Jetzt hatte sie das genaue Gegenteil angekündigt: Ein Stück über weiße hetero-Männer in der Mitte und am Ende ihres Lebens: Ein alter Vater lädt seine drei Söhne zur Weihnachtsfeier ein. Die Brüder gestehen sich ihre Grausamkeiten aus Kindertagen und hadern mit der Welt, zynisch der eine, ein erfolgreicher Banker, von sich und der Welt eingenommen der andere, Schriftsteller und Collegeprofessor und gescheitert der dritte.
"Matt do you want to happy?"
Nein, Matt will nicht glücklich sein. Er ist wieder bei seinem Vater eingezogen und geht voll und ganz im weiblichen Rollenklischee aus Haushalt, Küche und Fürsorge auf.
Ein "straight acting" Stück hatte Young angekündigt, zu deutsch: stinknormales Theater, konventionell inszeniert, um dem Publikum die Privilegien der weißen heterosexuellen Männer vorzuführen. Eine bestrickende Idee, nur praktisch sterbenslangweiliges Provinztheater ohne doppelten Boden oder den Hauch von Ironie.
"sexy M/F" von Anna Borralho und Joao Galante
All das bot im Gegensatz dazu die Performance "sexy M/F" des portugiesischen Künstlerpaares Anna Borralho und Joao Galante. In einer Ecke spielt ein Streichquartett barocke Tanzsuiten. In der Mitte des Raums zwei Sofareihen. Auf der einen Seite sitzen, nein räkeln , fläzen und zieren sich 20 nackte Männer und Frauen. Aber etwas stimmt nicht: Sekundäre und primäre Geschlechtsmerkmale passen nicht zueinander: Eine Frau mit Bart präsentiert breitbeinig ihre Scham, ein Hipster mit Vollbart lächelt scheu, daneben schlägt ein Typ mit Langhaarperücke und falschen Wimpern kokett seine behaarten Beine übereinander. Ich nehme ihm gegenüber Platz und setze mir die bereit liegenden Kopfhörer auf.
Die barocken Geigen werden von Popschnulzen abgelöst, und ich werde in sein Spiel mit begehrlichen Blicken und Gesten hineingesogen. Neben mich setzt sich eine Besucherin. Die Zuschauer hinter den Sofas sehen beides: die Nackten und die ihnen Gegenübersitzenden. Wer ist hier Lustobjekt? Wer Akteur?
"Straight" heißt wörtlich übersetzt "gerade". Um die Wahrnehmung der eigenen Geschlechterrolle zu verwirren, braucht es das Gegenteil: "queeres" Theater. Theater "vom anderen Ufer" eben: oder vom Sofa gegenüber.
"Weiß, männlich, hetero,Männlich Weiß Hetero" lass uns darüber reden?" Von wegen. "Lass uns ins Theater gehen. Die sexy Performer von "sexy M/F" schaffen in einer Viertelstunde das, was ein ganzer Theaterabend "straight acting" von Young Ann Lee nicht schafft: die eigene weiße, männliche Sicht auf sich und die Welt zu verwirren und die eigenen Privilegien in Frage zu stellen.

"Männlich Weiß Hetero - Ein Festival über Privilegien" läuft noch bis zum 5. Mai am Berliner Hebbel am Ufer.

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