Berliner Haus der Kulturen der Welt

Berührende Schicksale

Wähler warten in Johannesburg auf die Stimmabgabe.
Menschen geben bei einer Wahl in Johannesburg ihre Stimme ab. © dpa / picture-alliance / Ihsaan Haffejee
Von Kerstin Poppendieck · 24.08.2014
Die Grausamkeiten der Apartheid zwangen viele Südafrikaner ins Exil. In Video-Interviews erzählen Anti-Apartheid-Aktivisten von ihrer Sicht auf Südafrika und warum die Rückkehr dorthin bis heute ein fast unerfüllbarer Traum bleibt.
"Ich hab allen gesagt: Bringt Trommeln mit und zieht euch Südafrika-Shirts an, alles was ihr habt. Wir riefen 'Mandela ist frei' und wir sangen unsere Freiheitslieder. Am Anfang haben uns die Leute angesehen, als wären wir verrückt, aber dann sind sie einfach mit gelaufen. Wir haben gesungen und gerufen 'Wir sind frei, wir sind endlich frei'. Es war so bewegend."
Mit leuchtenden Augen erzählt Janet Selby von dem Tag, an dem Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde. Tausende Kilometer von ihrer Heimat Südafrika entfernt, zog sie mit anderen Südafrikanern, die wie sie hier im Exil lebten, durch die Straßen Berlins. Ihre Geschichte ist die erste der Ausstellung "Exile Faces" - Gesichter des Exils. Der südafrikanische Filmemacher Thabo Thindi hat für diese Ausstellung circa 20 Menschen interviewt, die während der Apartheidzeit nach Deutschland geflüchtet sind:
"Viele dieser Menschen haben nicht freiwillig Familie und Freunde in Südafrika zurückgelassen. Früher dachte ich immer, Menschen im Exil würden ein Leben im Luxus haben. Erst nachdem ich diese Interviews geführt habe, hab ich gelernt, dass das Leben alles andere als einfach war, auch das Leben in der DDR. Genaugenommen, mussten sie zwei Kämpfe kämpfen. Sie haben für die Freiheit Südafrikas gekämpft, und in Deutschland mussten sie für ihre Akzeptanz als schwarze Ausländer kämpfen. Diese Geschichten wollte ich mit Südafrikanern und mit Deutschen teilen. Denn ich will, dass auch die Deutschen, diese Südafrikaner, die hier leben, kennenlernen."
Als Thabo Thindi 2009 nach Deutschland kam, war er überrascht, dass noch so viele Südafrikaner hier lebten - trotz des Endes der Apartheid. Viele hatten einfach in der Zwischenzeit Familien gegründet und sich hier ein Leben aufgebaut. Auch wenn sie regelmäßig Südafrika besuchen, zurückziehen wollten sie nicht. Denn obwohl die Zeit der Rassentrennung offiziell vorbei war, war sie es im Alltag der Menschen eben noch nicht. Auch Chipa Moagi war enttäuscht, wie wenig sich verändert hat, als er das erste Mal wieder nach Südafrika flog. In seinem Video, das man jetzt in der Ausstellung "Exile Faces" sieht, erzählt er unter anderem von seinen Erlebnissen beim Soweto-Aufstand.
Das gleiche Ziel wie Mandela
Bra Chipa Moagi: "Die Polizei kam mit Tränengas. Wir haben dieses Gas eingeatmet, denn wir hatten ja keine Ahnung, was Tränengas ist. Wir dachten, es wäre einfach nur Rauch. Aber sobald wir das Gas durch die Nase zogen, war uns klar: das ist gefährlich. Wir haben für das gleiche Ziel wie Mandela gekämpft. Auch wenn er im Gefängnis war. Wir wollten, dass Südafrika frei ist."
Thabo Thindi: "Bra Chipa Moagi ist in Soweto aufgewachsen, wurde 1957 geboren. Als junger Mann mochte er Musik, er hat viel getanzt. 1976 war er beim Aufstand in Soweto dabei, bei dem mehrere hundert Menschen, darunter vor allem Schüler, starben. Danach hat er entschieden, dass es aufgrund der Situation im Land das Beste wäre, ins Exil zu gehen, denn auch nach den Aufständen wurden Menschen inhaftiert, entführt und getötet. Deshalb sind viele Jugendliche aus Südafrika geflohen. Der ANC hatte ein Abkommen mit der Regierung der DDR. Also hat er dort studiert."
Der ANC, heute die Regierungspartei in Südafrika, war damals die Partei des Widerstandes, die Partei Nelson Mandelas, die gegen das System der Apartheid kämpfte. Südafrikaner, die flohen, hatten die Wahl sich im Exil militärisch ausbilden zu lassen oder zu studieren. Auch in der BRD und vor allem in der DDR gab es diese beiden Möglichkeiten. Viele der Südafrikaner, die ins Exil gingen, waren in ihrer Heimat politisch aktiv, es gab aber auch Menschen, die flohen, weil sie so ihre Familie zusammenhalten wollten, wie Aletta Makena Franking.
Thabo Thindi: "Sie hat Südafrika Ende der 70er-Jahre verlassen, weil sie nicht mit der Liebe ihres Lebens zusammen sein konnte, denn er war weiß. Damals war es gesetzlich verboten, dass Weiße und Schwarze eine sexuelle Beziehung eingehen. Darauf stand eine vierjährige Gefängnisstrafe für Frauen. Außerdem war sie zum Zeitpunkt ihrer Flucht schwanger, und sie hatte Angst, dass man ihr das Kind wegnehmen würde. Denn ihr Kind wäre als farbig eingestuft worden, und durfte sich somit weder im Gebiet für Schwarze noch für Weiße aufhalten, sondern musste in das Gebiet für Farbige. Also hätte sie ihr Kind verloren, da sie ja schwarz ist. Deshalb hat sie Südafrika verlassen."
Man muss sich Zeit nehmen für die Ausstellung "Exile Faces". Es gibt keine Schautafeln mit Fotos und Grafiken, bei denen man in 30 Sekunden die Grundbotschaft erfasst. Acht Flachbildschirme hängen an Säulen im hinteren Foyer des Hauses der Kulturen. Vor jedem Bildschirm stehen zwei Sessel mit Kopfhörern. Die Videos sind zwischen 15 und 40 Minuten lang. Das Leben in Südafrika während der Apartheid, warum sie ihr Land verlassen haben, wie sie nach Deutschland kamen, wie ihr Leben im Exil aussah und was sie heute noch in Deutschland hält, davon erzählen die Protagonisten in ihren Interviews. Es sind persönliche und berührende Schicksale. Für den Regisseur Thabo Thindi sind diese Dokumente Teil einer deutsch-südafrikanischen Geschichte:
"Verständnis, das ist es, was ich mir von dieser Ausstellung erhoffe. Verständnis für die Lebensumstände von Menschen, aber auch Verständnis für die Beziehung zwischen Südafrika und Deutschland. Für die Komplexität Südafrikas auch heute noch. Ich bin überzeugt, wenn man ein Land wie Südafrika aber auch wie Deutschland zum Besseren verändern will, muss man sich ansehen, woher wir eigentlich kommen."
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