Berliner Erzbischof jetzt auch Kardinal

18.02.2012
In Rom sind heute Vormittag 22 Bischöfe und Würdenträger zu Kardinälen ernannt worden, darunter auch Rainer Maria Woelki. Erst seit knapp sechs Monaten ist er Erzbischof von Berlin, das spreche für ein besonderes Vertrauen des Papstes, meint Vatikan-Journalist Stefan von Kempis.
Anne Françoise Weber: In einer feierlichen Zeremonie setzte ihnen Papst Benedikt XVI. das purpurrote Birett auf und überreichte jedem einen Ring. Was bedeutet jetzt dieser Farbwechsel vom Bischofsviolett zum Kardinalsrot für den Einzelnen und für die Weltkirche? Ich habe vor der Sendung mit dem Theologen Stefan von Kempis gesprochen. Er ist stellvertretender Leiter der deutschen Redaktion von Radio Vatikan. Zunächst habe ich ihn gefragt, welche neuen Aufgaben denn auf Rainer Maria Woelki warten, wenn er jetzt Kardinal ist.

Stefan von Kempis: Der neue Berliner Kardinal Woelki und zusammen mit ihm 21 andere Würdenträger haben praktisch die Aufgabe übernommen, Berater des Papstes zu sein. Sie bilden in Fortführung dessen, was einmal das Römische Reich war, jetzt den Senat um Benedikt XVI., um den Leiter der Weltkirche. Sie sind die engsten Mitarbeiter des Papstes, das Rot, das sie ab heute tragen, deutet an, dass sie sogar bereit sein sollten, mit ihrem Leben, mit dem letzten sprichwörtlichen Blutstropfen für den Papst und die Kirche einzustehen.

De facto gibt es einen sehr engen Beraterkreis um den Papst herum, den die Kardinäle, die in Rom sind, bilden, und sozusagen in der zweiten Reihe, im zweiten Glied stehen dann die Kardinäle, die wie Woelki in der großen weiten Weltkirche in wichtigen Bistümern ihren Dienst tun. Auch sie sind aufgerufen – und der Papst macht das jetzt deutlicher, als das in den letzten Jahren auch noch unter Johannes Paul II. war –, Mitverantwortung zu tragen für das, was im Vatikan passiert. Darum hat er gestern Woelki und andere Kardinäle, die zum Konsistorium der Kardinalskreierung, der Kardinalserhebung nach Rom gekommen sind, um sich gesammelt, um einen Tag des Nachdenkens, der Entscheidungen, der Reflexion, des Gebets mit ihm zusammen durchzuführen.

Also der Papst kommt auf das zurück, was ein Konsistorium ab dem 11. Jahrhundert – kann man ungefähr sagen – einmal war, nämlich wirklich ein Miniparlament, ein Beraterkreis um den Papst herum.

Weber: Heißt das, dass Woelki demnächst viel zwischen Berlin und Rom pendeln wird? Läuft so was über Telefon, oder was sind da die Verständigungsweisen?

von Kempis: Nein, da wird schon sehr viel gependelt, auch weil man davon ausgehen kann, dass jeder Kardinal auch draußen in der freien Wildbahn sozusagen irgendein Amt, einen Posten an einem römischen Ministerium, einem Dekasterium bekommt – mag das der päpstliche Rat für die Neuevangelisierung sein oder die Glaubenskongregation –, jeder Kardinal wird vom Papst berufen in ein Vatikan-Ministerium, und dann wird kräftig gependelt. Also Kardinäle findet man am häufigsten auf dem Flughafen.

Weber: Woelki ist mit 55 Jahren jetzt der jüngste Kardinal der Weltkirche. Warum ging das so schnell, dass er nach einem knappen halben Jahr als Erzbischof von Berlin schon zum Kardinal wurde? Sein Vorgänger Georg Sterzinsky musste immerhin zwei Jahre auf die Kardinalswürden warten.

von Kempis: Es ist schon überraschend, dass es bei dem neuen Kardinal Woelki so schnell gegangen ist. Man merkt schon, dass der Papst besonderes Vertrauen zu ihm hat. Generell ist der Papst völlig frei in der Zuteilung von Kardinalswürden, er kann auch einfach jahrelang einem Würdenträger, der sagen wir mal als Leiter eines wichtigen Bistums eigentlich Anspruch, historischen Anspruch auf den roten Hut hätte, diesen einfach verweigern und über Jahre, Jahrzehnte – ist vielleicht übertrieben gesagt – nicht ernennen.

Der letzte berühmte Fall dafür war Pius XII., der seinen lange Zeit engen Mitarbeiter Giovanni Battista Montini, obwohl der Erzbischof von Mailand, also von Europas größtem Erzbistum, war, einfach nicht zum Kardinal erhob. Ironie der Geschichte: Das war dann der spätere Papst Paul VI. Bei Woelki ist es schnell gegangen, man muss auch sagen, bei seinem Vorgänger, dem verstorbenen Kardinal Sterzinsky, war auch überhaupt das Bistum Berlin erst zum Erzbistum heraufgestuft worden, und das war der erste, sagen wir mal reguläre Kardinal von Berlin.

Weber: Es ist aber nun nicht so, dass nur Erzbischöfe Kardinäle werden können – als zweiter Deutscher wird ja auch der Jesuitenpater Karl Josef Becker zum Kardinal, der ist noch nicht mal Bischof.

von Kempis: Ja, aber Becker ist schon 87 Jahre alt, gehört also nicht zu den insgesamt 123 unter 80-Jährigen, die, wenn jetzt ein Konklave anstünde, einen neuen Papst wählen dürften. Er ist Kardinal ehrenhalber geworden, und das gibt es bei jedem Konsistorium, dass der Papst auch noch ein paar verdiente – meistens sind es Theologen, die ihm auf seiner Laufbahn aufgefallen sind – Würdenträger in den Kardinalsstand mit erhebt. In der Regel sind das wie gesagt Persönlichkeiten, die schon die 80er Altersgrenze überschritten haben, also in einem Konklave keine Rolle mehr spielen.

Weber: Das heißt, wenn man unter 80 zum Kardinal wird, ist es Aufgabe, wenn man darüber zum Kardinal wird, ist es Ehre?

von Kempis: Ja, das kann man so sagen, wobei diese Ehre natürlich auch mit sich bringt, dass man jetzt Berater des Papstes ist, und das ist ein bisschen mehr als nur Ehre. Nehmen wir den neuen Kardinal, den Jesuitenpater Becker: Der hat hinter verschlossenen Türen, aber mit hohem Einfluss im Auftrag des Papstes an der römischen Glaubenskongregation die letzten Jahre über mit den sogenannten Piusbrüdern, den Anhängern des schismatisch orientierten Erzbischofs Lefèbvre, über eine mögliche Rückkehr in den Schoß der katholischen, der römisch-katholischen Kirche verhandelt – ist also ein Schlüsselmann jetzt schon gewesen. Sprich: Der rote Hut für ihn spiegelt eher wider, was er wirklich schon als Aufgabe im Vatikan hinter den Kulissen leistet, und stößt ihn nicht auf einmal in ein Rampenlicht, wo ihm jetzt eine neue Aufgabe zuwüchse.

Weber: Und in dieser Aufgabe wird er auch noch einiges zu tun haben, denn die Einigung mit den Piusbrüdern ist ja noch nicht vollzogen.

von Kempis: Ganz im Gegenteil, die steht kurz vor dem Platzen, so wie es bisher jedenfalls aussieht, und Kardinal Becker wird da vielleicht noch Scherben zusammenfegen müssen. Klar ist nur, der endgültige Gesprächsfaden ist noch nicht völlig gerissen, also ein bisschen Aufgabe hat er da noch, aber nach einer Einigung des Vatikans mit den Piusbrüdern sieht es im Moment ganz und gar nicht mehr aus.

Weber: Auffällig ist, dass 16 der 22 neuen Kardinäle aus Europa kommen – das ist ja relativ viel, kein einziger kommt aus Afrika –, und es sind viele Kurienchefs darunter, also Leiter wichtiger Vatikan-Einrichtungen. Kann man daraus irgendwelche Richtungsentscheide oder Schwerpunktsetzungen ablesen?

von Kempis: Ja, aber eigentlich nur für dieses Konsistorium. Es ist ja schon das vierte, das Benedikt XVI. durchführt, und natürlich haben Kurienchefs, Leiter von wichtigen Vatikan-Behörden praktisch qua Amt einen Anspruch darauf, irgendwann mal den roten Hut zu bekommen. Das gilt auf jeden Fall für die sogenannten Kongregationen, also die traditionellen Ministerien im Vatikan. Und wenn da einfach ein paar jetzt auf der Liste aufgelaufen sind, die jetzt einfach dran sind, dann kann es mal vorkommen wie diesmal, dass in einem Konsistorium sehr viele auf einmal aus der Kurie den roten Hut bekommen. Das ist keine generelle Tendenz, sondern das kommt eben von Zeit zu Zeit mal vor. Es kann sein, dass im nächsten Konsistorium dann wieder vor allem Afrikaner dran sind.

Also das ist eine Momentaufnahme und nicht so sehr ein Trend. Man kann aber sagen, die Europäer mit 67 Stimmen, in einem möglichen Konklave hätten sie jetzt weiterhin eine Mehrheit, wenn auch nicht die absolute Mehrheit. Europäer stellen weiterhin trotz aller Internationalisierungstendenzen an der Kurie und im Kardinalskollegium den Löwenanteil im Kardinalskollegium und auch an der Kurie. Das ist ein Trend, der sich nur ganz allmählich abschwächt. Und unter Benedikt XVI. hat sich das eher noch mal wieder ein bisschen gestärkt, nachdem der Europäeranteil unter Johannes Paul II. in seinen ungefähr 30 Jahren Pontifikat doch merklich gesunken war.

Weber: Wenn Sie von dem Kardinalskollegium sprechen, drängen sich mir zwei Fragen auf: Erstens, wie kollegial geht es da zu, und zweitens, wie oft kommt dieses Kollegium wirklich zusammen – jetzt mal abgesehen von dem Fall einer Papstwahl, aber wenn der Papst in Amt und Würden ist, versammelt er dann auch mal wirklich alle seine Kardinäle um sich?

von Kempis: Es kommt relativ selten vor, dass sich wirklich alle Kardinäle treffen. Alle unter einen Hut zu bekommen, das klappt wirklich nur bei einem Konklave, also wenn sie wirklich eine wichtige Stimme abzugeben haben. Sonst kommen nicht unbedingt alle Kardinäle von ihren Aufgaben in der großen weiten Welt eigens zu einer Kardinalsversammlung nach Rom. Es kommt relativ selten vor, im Moment hat es sich aber eingebürgert unter Benedikt XVI., dass vor einem Konsistorium, also vor der Schaffung jeweils neuer Kardinäle, ein Tag vorgeschaltet wird, wo der Papst mit den Kardinälen, die zum Konsistorium anreisen, und denen, die ohnehin in Rom sind, wichtige Probleme und Fragen der Weltkirche bespricht.

Wie kollegial es zugeht im Kardinalskollegium, das ist doch sehr die Frage. Zumindest hier in Rom, da gibt es auch mal durchaus ein Hauen und Stechen hinter den Kulissen. Gerade in diesen Tagen kommen immer wieder mal vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan an das Licht der zunehmend befremdeten Zeitungsöffentlichkeit. Der Vatikansprecher, Jesuitenpater Federico Lombardi, sprach dazu in einer Erklärung vor ein paar Tagen von "Vatileaks", also Vatikan-Leaks, in Anlehnung an Wikileaks.

Weber: Gibt es schon eine Webseite?

von Kempis: Ach, da gibt es Hunderte von Webseiten, aber alle auf Italienisch, und das zeigt, dass das Interesse am Vatikan und dieses dem Vatikan Nachstellen, auch die einzelnen Kardinäle Gegeneinander-Ausspielen, was durchaus vorkommt, doch ein vor allen Dingen italienischer oder sogar römischer Zeitvertreib ist. Draußen in der Welt spielt das zum Glück nicht so eine große Rolle, wie jedes einzelne kleine Rädchen im Vatikan jetzt ineinandergreift. Also es gibt auch durchaus Meinungsverschiedenheiten, auch mal Krach unter Kardinälen, die sind nicht alle automatisch Freunde, nur weil sie zum selben Gremium gehören.

Ganz klassisch war einmal eine Auseinandersetzung, die aber auf höchstem theologischem Niveau geführt wurde, zwischen den Kardinälen Ratzinger und Kasper, den beiden großen, damals deutschen Kurienkardinälen hier. Das hat den dann zum Papst erhobenen Kardinal Ratzinger nicht gehindert, Kardinal Kasper weiter zu seinem wichtigsten Ökumene-Minister zu machen.

Weber: Früher waren Kardinäle ja wirkliche Kirchenfürsten, die hielten Hof und nahmen Einfluss auf die Politik – ein berühmtes Beispiel ist Kardinal Richelieu, wichtiger Berater von Ludwig XIII. Wenn Sie jetzt eben auch von diesen Indiskretionen sprechen, wo es ja auch um den Vorwurf der Günstlingswirtschaft geht im Vatikan, ist da noch so ein bisschen was übrig geblieben, zumindest in Rom, dass Kardinäle doch auch Fürsten sind, die nach eigenem Gutdünken entscheiden und ihre Günstlinge haben?

von Kempis: Das ist eine schwierige Frage, die man nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten kann. Ich finde, dass der Vatikan durchaus noch Züge eines, sagen wir mal barocken Hofes trägt, durchaus – die Unterscheidung ist eher die in Rom anwesenden italienischen Kardinäle und die anderen Kardinäle. Das ist sozusagen die wirkliche Zweiklassengesellschaft, die ich im Kardinalskollegium, jedenfalls aus meiner begrenzten Warte heraus, immer noch wahrnehme. Die Kardinäle, die hier residieren und die Italiener sind, die können auch mal durchaus fürstlich auftreten, da wird mit großer Geste aus der schwarzen Limousine – das habe ich selbst gesehen – mit beringter Hand einem Menschen, der am Straßenrand steht, feierlich ein Almosen herausgereicht.

Und dann gibt es die Kardinäle, die sagen wir mal lange Fensterputzer waren in kommunistischer Zeit und die dann wie kleine Landpfarrer im abgewetzten schwarzen Talar auf einmal durch Rom laufen, denen sieht man das Kardinalsein überhaupt nicht an. Und das ist dann diese andere Art, die sehr sympathische Art von Kardinälen, die in der Regel von draußen kommen und mit einem neugierigen Blick in den Vatikan hineinblicken. Gut, dass auch solche Leute im Vatikan was zu sagen haben.

Weber: Und seit heute sind es also 22 Kardinäle mehr. Vielen Dank, Stefan von Kempis, stellvertretender Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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