Berlinale

Das lokale Kino lebt wieder

Verena von Stackelberg steht vor dem "Wolf"-Kino
Verena von Stackelberg © Bernd Sobolla
Bernd Sobolla im Gespräch mit Gabi Wuttke · 14.02.2017
Seit ein paar Jahren gibt es eine Gegenbewegung zum Kinosterben: Initiativen, die das lokale Kino wiederbeleben. Im neuen Kino "Wolf" haben sich Kinomacher aus der ganzen Welt getroffen, um über die neue, alte Faszination des Kinogründens zu diskutieren.
Tatsache ist, dass in Deutschland zumindest die Kinobesucherzahlen seit Jahren stagnieren, tendenziell sogar leicht fallen, dass aber bundesweit die Zahl der Kinos leicht gestiegen ist, es hat in den letzten zwei Jahren ein Plus von 24 Kinos gegeben. Das liegt unter anderem an den Neugründungen von lokalen, man könnte auch sagen von Ladenkinos.
Und so war es auch kein Zufall, dass die Veranstaltung im Wolf-Kino stattfand. Das Wolf-Kino wurde just nachdem es umgebaut wurde von einem Bordell zu einem Kino - eröffnet mit einem Berlinale-Film. Es hat zwei Säle mit je 50 Plätzen und liegt fernab von Ku-Damm, Alexanderplatz oder Potsdamer Platz, tief in Neukölln. Und die Besitzerin Verena von Stackelberg glaubt, dass ein lokales Kino genau die richtige Antwort ist auf Internet, Netflix und digitale rundum Beschallung.

Austausch statt Netflix

"Also gerade deshalb. Also ich glaube, dadurch dass wir andere Sehgewohnheiten entwickelt haben, hat Kino noch mal eine ganz neue Bedeutung bekommen. Man kann es ein bisschen damit vergleichen, wie zum Beispiel auch Vinyl wieder am Kommen ist, also Schallplatten. Da ist so eine gewisse Sehnsucht nach den ruhigen Orten, an denen man sich austauschen kann, wo man nicht vollkommen vernetzt ist.
Und da gehöre ich auch dazu, zu diesen Menschen, die denken, dass genau jetzt der Moment dort ist, wo man, wenn man schon wieder neue Orte baut, Orte baut, wo eine große Betonung auf Austausch ist. Wo man eben auch Kinoräume hat, wo man nicht die ganze Zeit abgelenkt wird vom Laptop und vom Handy und von anderen Einflüssen, sondern wo man so eine Rückkehr zur Besinnung praktisch hat."
Das Überleben oder vielleicht sogar das Wiedererstarken der lokalen Kinos ein rein deutsches Phänomen? Oder gibt es ähnliche Anzeichen auch in anderen Ländern? Bei der Berlinale-Talents-Veranstaltung waren ja auch internationale Kinomacher präsent. Verena von Stackelberg sieht das lokale Kino eher als Großstadtphänomen.
Es gab heute Abend auch einen Vertreter aus Liverpool, dessen Konzept mich aber nicht überzeugt hat: Dort wurde ein ehemaliges Gefängnis zu einem Kino umgebaut. Allerdings ausschließlich mit öffentlichen Mitteln, wobei viele Leute für dieses Kino arbeiten - aber alle ehrenamtlich. Immerhin arbeiten sie mit vor allem mit lokalen bzw. sozialen Gruppen zusammen, um für diese individuelle Programmabende zu veranstalten, zum Beispiel auch für eine Suppenküche.

Lokale Kinos funktionieren auch in Kairo

Ein spannendes lokales Kinoprojekt stammt aus Ägypten: In Kairo gibt es das Problem, dass die Leute immer mehr in die Außenbezirke ziehen und die Innenstädte an Leben verlieren. Dann wurden in den Außenbezirken reichlich Multiplexe gebaut, und alle Kinos in den Innenstädten kämpfen ums Überleben. Doch egal ob Innen- oder Außenbezirk es werden Mainstreamfilme gezeigt.
Und Youssef Shazli hat dort 2004 ein Filmfestival für den europäischen Film gestartet. Das lief gut, wuchs von Jahr zu Jahr. Und dann entschloss er sich mit Freunden, ein entsprechendes Kino zu eröffnen. Das war vor drei Jahren. Und dann fanden sie ein darbendes Kino namens Odeon mit drei großen Sälen, und konnten einen Saal für sich mieten. Mit separatem Eingang, eigener Cafeteria. Und im ersten Jahr kamen 25.000 Besucher, im zweiten waren es 50.000 Besucher und jetzt werden es noch mehr sein. Und wichtiger noch: Das Kinoprojekt von Youssef Shazli trägt Früchte.
"Schon kurz nachdem wir unser Kino eröffneten, kontaktierte uns eine Studentengruppe aus einer Stadt, die zwei Stunden von Kairo entfernt liegt, und fragte, ob es möglich wäre, einen der Filme zu zeigen, der vor Kurzem bei uns lief. An so eine Möglichkeit hatten wir gar nicht gedacht, und sagten uns: 'Okay, warum nicht? Mal sehen was passiert?' Sie zeigten also den Film und das Kino war total voll. Und das passierte - ähnlich wie bei uns - in einem Kino, das nicht besonders lief. Der Besitzer war hoch erfreut und schlug vor, dass sie das wieder machen sollten. Das geschah dann drei-, viermal und dann schlossen wir eine richtige Partnerschaft: Wir liefern die Filme, sie kümmern sich um die Aufführung, und es gibt jede Woche eine Vorführung. Und nach diesem Modell sind wir jetzt in vier verschiedenen Städten aktiv."
Wie sieht die Finanzierung für ein kleines Filmtheater heute im Idealfall aus? Welche Möglichkeiten haben die angehenden Kinomacher überhaupt?

Wie finanzieren sich kleine Kinos?

Alles ist möglich: Vom großen Bankdarlehen bis zum im Strumpfsack Erspartem. Tendenziell erfreut sich auch Crowdfunding großer Beliebtheit. Handwerkliche Eigeninitiative ist ganz sicher Voraussetzung. Oft wird auch auf Spenden gesetzt: Sei es materielle Unterstützung: Kinosessel, Leinwand oder gar Beamer. Oder eben konkrete finanzielle Spenden.
Eine Art Blaupause nach dem Motto: so und so muss ein lokales Kino aussehen – egal ob in Deutschland oder Frankreich oder Ägypten – damit es eine Chance hat, sein Publikum zu finden, die gibt es nicht. Aber man kann konstatieren, dass die neuen lokalen Kinos nicht von passiven Kinokonsumenten leben, sondern von filminteressierten, die im Ladenkino den Austausch suchen. Dazu brauchen sie eine große Gruppe. Und die finden sie in Kleinstädten in der Regel nicht.
Die Kinomacher sind nicht mehr nur Kinomacher, sie sind viel mehr Leute, die sich ins Zentrum einer film-affinen Gemeinde stellen und am gleichen Ort ein Café machen, wo natürlich vor allem über Film geredet wird, oder ein Studio für Filmemacher zur Verfügung stellen - wie im Wolf-Kino - dort können Filmemacher ihre Werke schneiden und haben zugleich die Möglichkeit, erste Rohschnittfassungen einem Testpublikum im Kino zu zeigen. Manche bieten auch Ausstellungen an oder Filmworkshops. Andere betreiben zusätzlich einen Filmverleih oder ein DVD-Label. Und viele arbeiten auch nebenbei noch, weil alle wissen, dass nur sehr wenige Leute beim Kinomachen wirklich Geld verdienen. Und wo arbeiten sie? Natürlich beim Film.