Berlin vermüllt

Der Möbelstrich

Müllhalde in Berlin-Neukölln
Müllhalde in Berlin-Neukölln © dpa / picture alliance / Gregor Fischer
Von Marietta Schwarz · 21.02.2017
Berlin hat seinen Ruf weg als dreckige Stadt. In einigen Vierteln wird illegal Sperrmüll abgeladen − auf Instagram gibt es fotografische Müllsammlungen, die das Problem ästhetisieren. Ein Blick nach Neukölln: Wie sind Straßen gestaltet oder nicht gestaltet, die Müllberge anziehen?
"Hundekacke, 'ne Zahnbürste, 'ne Caprisonne, 'ne Mehrliterflasche mit destilliertem Wasser, eine zugeschneite Matratze mit Streusalz. Und noch ein Teppich ist hier auch."
Berlin-Neukölln, Emserstraße. Eine dieser Straßen, die Eingeweihte gerne als "Möbelstrich" bezeichnen. Möbelstrich. Eine wunderbare Wortschöpfung, die das Elend mit dem Sperrmüll auf den Punkt bringt.
"Und drumherum sammeln sich natürlich weitere Abfälle: Schnapsflaschen, Zigarettenverpackungen, noch mehr Hundekacke, Apfelstücke. Und ein halber Schreibtischstuhl."

"Zu verschenken", schreiben Witzbolde

Sperrmüll zieht Sperrmüll an. Aber eben auch banalen Müll. Weshalb man, wenn man die Straßen hier im Neuköllner Schillerkiez entlang geht, richtige Müllberge, zum Teil thematisch geordnet, findet: Eine Gruppe von Einkaufswagen mit Lackresten und Blaumann. Ein Haufen mit Autoreifen. Eine Sitzgruppe aus Kunstleder. Und immer wieder: Matratzen.
"Diese Matratze liegt eindeutig schon länger hier. Da besteht von der Umhüllung auch nur noch die Hälfte. Sieht aus wie abgefackelt. Und der Schaumstoff ist im Auflösen begriffen. Ganz interessante Oberfläche eigentlich. Bäh!"
Witzbolde hängen gerne mal "Zu Verschenken" Schilder an den Schrott. Von den Medien wird das Phänomen Vermüllung hingegen ab und an dramatisch hochgeschrieben. "Neuköllner Straßen werden zur Müllhalde" heißt es dann zum Beispiel. Aber das Problem ist uralt, sagt der Historiker Björn Blaß, der selbst im Schillerkiez lebt und die Entstehung des modernen Müllproblems wissenschaftlich erforscht:
"Das lässt sich durchaus bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen... natürlich redet man von anderen Materialien."
... und von anderen Gegenden. Der Maler und Fotograf Heinrich Zille, sagt Björn Blaß, habe die illegalen Müllablagerungen damals eher am unentwickelten Stadtrand im Westen gefunden und in Bildern festgehalten. In der Peripherie eben. Die Peripherie zieht Müll seit jeher an. Aber:
"Dieser unerschlossene Teil der Stadt existiert nicht mehr. Also erfolgt diese Zuschreibung von Peripherie auf 'ner kleineren Ebene der unentwickelten Bereiche im Stadtbild, nicht wirklich genutzte Teile und Flächen in diesen Straßen oder Randstraßen."

Einfach am Rand abstellen

Peripherie kann also auch ein Teil des breiten Berliner Bürgersteigs sein. Ein paar Quadratmeter zwischen zwei Dixi-Klos vor einer Baustelle. Oder das Ende einer Sackgasse. Überall da, wo der Müll dem Fußgänger nicht direkt im Wege ist oder dem Café-Besitzer nicht im Blick, wird er abgeworfen:
"Und dieses Am-Rand-Abstellen ist ja auch Teil des Denkens, wie man mit Müll umgeht. 'Aus den Augen aus dem Sinn' orientiert sich immer zum Rand hin."
Hinzu kommt, dass dieser Teil von Neukölln eine innerstädtische Randlage einnimmt. Eingekeilt zwischen zwei großen Hauptverkehrsachsen, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof und einer S-Bahn-Trasse im Süden:
"Das heißt auch, dass wir da nicht so viel Durchgangsverkehr haben. Man fühlt sich vielleicht etwas unbeobachtet."

Humorvolle Instagram-Sammlung

Maxim Czuk: "Das stört mich total. Diese Möbel. Diese Matratzen, dieser Dreck. Diese Ecke ist total vergessen von der Bürgermeisterin, vom Bezirksamt, von allen."
Der Second-Hand-Möbelhändler Maxim Czuk ist frustriert. Andere legen humorvolle fotografische Müllsammlungen im Netz an, zum Beispiel auf Instagram Mattrasses of Berlin. Ein Zeichen auch der Veränderung des Kiezes – denn natürlich ist der längst auch von Gentrifizierung betroffen.
Björn Blaß: "Es sinkt die Toleranz gegenüber dieser Art, den Müll einfach vor der Haustür abzuladen."
Am Ende, sagt der Historiker Björn Blaß, sind diese wilden Ablagerungen wortwörtlich Reste einer anderen Zeit, die die neuen Bewohner durch ihre Beschwerden oder ihre Foto-Blogs erst richtig ins Rampenlicht rücken.
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