Berlin

Multimediales und die Stille

Das Jüdische Museum in Berlin
Neuanfang im Jüdischen Museum © picture alliance/dpa/Rainer Jensen
Moderation: Philipp Gessler  · 31.08.2014
Wechsel an der Spitze des Jüdischen Museums in Berlin: Peter Schäfer will mit einer neuen Dauerausstellung alte Klischees aufbrechen und wechselseitige Einflüsse stärker abbilden.
Philipp Gessler: Jedes Jahr besuchen rund 700.000 Menschen das Jüdische Museum in Berlin. Es gehört zu den größten jüdischen Museen Europas. Seit 1997 war W. Michael Blumenthal, der Direktor des Museums, ein charismatischer Gründungsdirektor. Geboren 1926 in Oranienburg bei Berlin, musste er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen. Er emigrierte über Schanghai in die USA, wo er später unter dem US-Präsidenten Jimmy Carter Finanzminister wurde. Nach einigen Tätigkeiten an der Spitze der amerikanischen Wirtschaft zog es ihn nach Berlin, wo er das Jüdische Museum zu einem kulturellen Highlight der Hauptstadt machte.
Die Biografie seines Nachfolgers an der Spitze des Jüdischen Museums ist weniger spektakulär: Peter Schäfer, der morgen sein neues Amt antritt, wurde 1943 im nordrhein-westfälischen Hückeswagen geboren. Er hat eine internationale Karriere als vielfach ausgezeichneter Judaist aufzuweisen. Unter anderem lehrte er in Princeton.
Prof. Peter Schäfer ist Nicht-Jude. Meine erste Frage an ihn war, ob zu befürchten sei, dass er manches Freche, Selbstironisch-Jüdische, für das das Jüdische Museum in Berlin in den vergangenen Jahren bekannt war, nicht wagen werde, weil er eben kein Jude sei.
Peter Schäfer: Ich glaube, das müssen wir nicht befürchten. Ich weiß, dass es jetzt eine neue Sonderausstellung geben wird, die den wunderbaren Titel "Haut ab!" hat, über Beschneidung, und der Titel gefällt mir sehr gut. Also ich werde ganz bestimmt an diesen frechen jüdischen Dingen auch nichts ändern wollen.
Gessler: Aber eine gewisse Beißhemmung könnte ja dann aufkommen, weil Sie denken, na ja, Lust hätte ich schon, oder es kommt jetzt sozusagen aus dem Inneren des Museums, aber es könnte missverstanden werden.
Schäfer: Das könnte missverstanden werden, das ist schon richtig, aber auch da sehe ich eine großen Probleme. Es gab in der Zeitung nach der Bekanntgabe meines neuen Amtes gab es eine Zeitung, die hatte den Titel "Das Jüdische Museum wird jüdischer". Ich finde das sehr charmant. Ich hab damit keine Probleme, dass ich als nicht-jüdischer neuer Direktor des Jüdischen Museums, das die Erwartung an mich gerichtet ist, das Jüdische Museum vielleicht auch ein bisschen jüdischer zu machen.
Gessler: Weil Sie Judaist sind und eben wissenschaftlich direkt vom Fach?
Schäfer: Ich denke, so ist es gemeint, natürlich, und das ist auch richtig. Ich kann da schon vom Fach her einige Akzente setzen, und ich denke auch, ich werde in Bezug auf die jüdische Religion einige neue Akzente setzen.
Gessler: Was haben Sie denn da schon für Ideen?
Welche Rolle spielt der deutsche Zionismus?
Schäfer: Sie wissen ja, dass es eine neue Dauerausstellung geben wird und dass die in der Planung ist, und wir sind im Team dabei, diese Dauerausstellung zu planen. Das ist ein langwieriger Prozess. Es werden verschiedene Akzente anders gesetzt werden, neu gesetzt werden. Ein Punkt zum Beispiel ist, dass alte Stereotypen, die sich so eingeschliffen haben, auch in der Wissenschaft, aufgelöst werden, zum Beispiel Judentum gegen Christentum oder Westjuden oder Ostjuden oder Landjuden gegen Stadtjuden. Das sind inzwischen doch Klischees, die man aufbricht, und auch das wird sich in der Dauerausstellung niederschlagen. Dann wird es einige andere Akzente geben. Es ist so, dass stärker als bisher vielleicht auch wechselseitige Einflüsse betont werden, also nicht nur Konfrontation, sondern auch wechselseitige Einflüsse. Dann wird ein anderer Punkt sein, dass Themenbereiche, die bisher vielleicht nicht so stark betont waren, stärker herausgearbeitet werden könnten, zum Beispiel, welche Rückwirkungen hat die Entstehung des Staates Israel auf das deutsche Judentum. Oder Zionismus – welche Rolle spielt der deutsche Zionismus in der zionistischen Bewegung. Also solche Themen könnten vielleicht stärker betont werden als vorher.
Gessler: Wir haben in den vergangenen Wochen eine Welle des Antisemitismus hier in Deutschland erlebt. Mit der Aufklärung über das Judentum, so scheint es, wenn man das sieht, ist es in der deutschen Gesellschaft nicht weit her. Muss in dieser Hinsicht bei jeder Generation wieder von Adam und Eva angefangen werden?
Schäfer: Ja, so sieht es leider aus. Nun ist das Jüdische Museum ja keine politische Institution, die unmittelbar und nicht direkt auf politische Ereignisse reagiert. Aber Antisemitismus und was man tun kann gegen den Antisemitismus, ist selbstverständlich auch ein Thema, das im Museum eine Rolle spielt und das auch eine Rolle spielt in der dem Museum angeschlossenen Akademie. Also insofern werden wir auch da uns engagieren, aber wir werden nicht die Situation erleben, dass wir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen.
Gessler: Sie haben ja schon angekündigt, dass Sie Ihr Museum zukünftig verstärkt den Diskussionen zur Geschichte der monotheistischen Religionen öffnen wollen. Das hört sich ziemlich nach einem Expertengespräch an. Glauben Sie, dass man so die junge Generation vor allem gewinnen kann?
Der frühere Direktor Michael Blumenthal (r) mit seinem Nachfolger  Peter Schäfer.
Der frühere Direktor Michael Blumenthal (r) mit seinem Nachfolger Peter Schäfer. © picture-alliance / dpa / Daniel Naupold
Monotheismus im Akademienprogramm
Schäfer: Was ich gemeint habe, ist, dass im Akademienprogramm, die ja als eine Säule den jüdisch-islamischen Dialog bereits installiert hat, dass man dort auch Themen wie Monotheismus im Judentum, im Islam, im Christentum behandeln kann. Aber im Museum ist der jüdische Monotheismus nicht unbedingt ein zentrales Thema.
Gessler: Muss denn das Jüdische Museum um der Attraktivität gerade bei der jungen Generation willen vielleicht noch multimedialer werden, haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?
Schäfer: Absolut, das wird sicher ein ganz, ganz wichtiger Punkt bei der Konzeption der neuen Dauerausstellung sein. Die neuen Technologien, die uns zur Verfügung stehen – die jetzige Dauerausstellung ist 15 Jahre alt, und wir haben auch einiges Multimediale in der jetzigen Dauerausstellung –, aber die neuen Technologien, die uns zur Verfügung stehen, die werden mit Sicherheit voll ausgeschöpft werden, und das Multimediale ist mir ein ganz, ganz besonderes Anliegen.
Gessler: Nun sind ja oft Multimediales und das, wofür eigentlich ein Museum auch stehen sollte, nämlich die Stille, wenn Sie wollen die Besinnung, auch das, was man hier Jüdischen Museum besonders erleben kann, diese Voids, die ja im Gebäude selber zu erleben sind, dennoch etwas, was man anstreben sollte oder erhalten sollte. Glauben Sie, es ist trotzdem noch Zeit für diese Stille, die nötig ist?
Schäfer: Also das ist mir ein ganz, ganz großes Anliegen. Ich bin oft gefragt worden, was denn mein stärkster Eindruck gewesen ist, als ich das Jüdische Museum zum ersten Mal gesehen habe. Und in der Tat, die Voids und die Stille waren meine stärkster Eindruck. Wir müssen eine Balance finden zwischen Präsentation im Museum und diesen Orten der Stille. Das ist jetzt schon sehr gut gelöst, und wir werden in der Richtung auch weitergehen bei der neuen Dauerausstellung.
Auswanderung russischsprachiger Juden thematisieren
Gessler: Muss die Abteilung über das jetzige Judentum in Deutschland ein Viertel Jahrhundert nach Beginn der großen Auswanderung von russischsprachigen Juden nach Deutschland neu ausgebaut werden, weil ja wirklich langsam mit einer neuen Generation ein, sagen wir mal, neues deutsches Judentum mit einer eigenen Geschichte entsteht?
Schäfer: Absolut, auch das ist einer der Punkte, die jetzt diskutiert werden und die ganz stark im Vordergrund stehen, dass dieser Punkt stärker betont werden wird als in der Vergangenheit. Übrigens kann man noch dazu die andere Richtung verstärken, nämlich: Was haben deutsche Juden, die ins Exil gegangen sind, mitgebracht im Exil, und was ist daraus geworden. Das ist sozusagen die andere Seite dieser Geschichte, auch das wird stärker dargestellt werden.
Gessler: Gerade die jüdische Gemeinschaft in Berlin ist ja leider in den letzten Jahren vor allem durch Streit geprägt worden, auch die Öffentlichkeit ist vor allem durch Streit auf sie aufmerksam geworden. Kann man so etwas und wenn ja, wie – wie kann man das in der Ausstellung reflektieren?
Schäfer: Das ist mit Sicherheit kein Thema der Ausstellung. Das Jüdische Museum Berlin ist ja auch kein Museum der jüdischen Gemeinde Berlin, das ist ja eine staatliche, eine Bundeseinrichtung, und es ist nicht unsere Aufgabe, den Streitereien innerhalb einer bestimmten Gemeinde im Museum zu thematisieren.
Gessler: Na ja, es ist die größte jüdische Gemeinde der Bundesrepublik, und Sie sind hier in Berlin, das spielt schon eine gewisse Rolle im Judentum in Deutschland.
Schäfer: Das ist keine Frage, aber ich denke, hier sind wir nicht Partei und sollten keine Partei ergreifen. Ich würde übrigens viel lieber im Museum und in der Akademie thematisieren die unglaubliche Attraktion, die Berlin ausübt auf junge Israelis, die nach Berlin kommen. Da haben wir eine sehr positive, eine sehr attraktive Entwicklung, und das ist etwas, wo wir auch als Museum und angegliederter Akademie uns auch dazu äußern können.
Junge Israelis zieht es nach Berlin
Gessler: Obwohl die meisten jüdischen Israelis, die hierher kommen, ja nicht gerade verstärkt das jüdische Leben hier in der Stadt fördern, sondern sie kommen in der Regel aus anderen Gründen hierher und gehen kaum in die Gemeinde.
Schäfer: Das ist genau das Thema, das das Museum und die Akademie diskutieren können und dessen sie sich annehmen können: Was ist denn das Interesse dieser jungen Israelis, die nach Berlin kommen, und warum kommen die nach Berlin? Die kommen auch ins Museum übrigens. Und das werden wir mit Sicherheit uns genauer ansehen.
Gessler: Rückt denn der Holocaust im Denken der jungen jüdischen Generation in Deutschland nach Ihrem Eindruck weiter in den Hintergrund, und wird das auch reflektiert in der Ausstellung?
Schäfer: Der Holocaust ist natürlich immer ein ganz wichtiges Thema und ein Thema, das in Deutschland immer über uns schweben wird, aber man muss auch ganz klar sagen und sehen, das Jüdische Museum ist kein Holocaust-Museum. Holocaust spielt eine Rolle in der Ausstellung und wird auch viel nachgefragt von jüngeren Besuchern, und das wird auch so bleiben, aber wir werden das Jüdische Museum mit Sicherheit nicht zu einem Holocaust-Museum umpolen.
Gessler: Vielleicht zum Schluss: Sie haben katholische Theologie studiert, wenn ich richtig informiert bin, und da drängt sich schon etwas die Frage auf: Sind Sie eigentlich noch Mitglied der katholischen Kirche und sind Sie gläubig?
Schäfer: Also zunächst möchte ich dazu sagen, die Frage wurde mir schon öfter gestellt. Ich kann nicht in Anspruch nehmen, dass ich Theologie studiert habe – ich habe fünf Semester Theologie studiert, aber ich bin deswegen kein Theologe. Ich bin ein klassischer Studienabbrecher der Theologie, ich hab nämlich nach fünf Semestern die jüdischen Studien entdeckt, und die fand ich sehr viel interessanter als die katholische Theologie.
Gessler: Ich wollte nur mal nachfragen. Sind Sie gläubig oder nicht?
Schäfer: Wer kann von sich in Anspruch nehmen, gläubig zu sein? Ich gehöre zu den Menschen, die mit diesem Thema ihr ganzes Leben umgehen, sich beschäftigen und dazu eine Stellung suchen, aber ich kann nicht sagen, dass ich dazu eine feste Stellung gefunden habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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