Bericht an den Club of Rome

Wir essen die tropischen Regenwälder auf

Regenwald auf Tasmanien
Regenwald auf Tasmanien © dpa / picture alliance / Chad Ehlers
Claude Martin im Gespräch mit Nana Brink · 21.05.2015
Pro Jahr gehen etwa ein halbes Prozent der tropischen Regenwälder verloren, so das Ergebnis eines neuen Zustandsberichts. Durch die steigende kommerzielle landwirtschaftliche Nutzung könne sich diese Entwicklung noch verschärfen, warnte Autor Claude Martin.
Claude Martin, Autor des neues Reports an den Club of Rome und ehemaliger WWF-Direktor, hat die dramatische Situation der tropischen Regenwälder deutlich gemacht. Seit dem letzten Zustandsbericht vor 25 Jahren seien etwa die westafrikanischen Wälder "praktisch entwaldet" worden, sagte Martin im Deutschlandradio Kultur. Geblieben sei eigentlich nur noch das Kongo-Becken. Diese Region stehe deshalb im Mittelpunkt des neuen Zustandsberichts, der darüber hinaus auch eine globalisierte Übersicht schaffen wolle:
"Die Entwaldungsraten seit den neunziger Jahren haben etwas abgenommen, aber nur leicht abgenommen. Wir verlieren immer noch etwa ein halbes Prozent der tropischen Regenwälder pro Jahr."
Die Tendenz der letzten Jahre deute allerdings darauf hin, dass es wieder eine Steigerung geben könnte, meinte Martin:
"Weil einfach viele der Entwaldungsszenarien in Lateinamerika und in Südostasien vor allem heute von kommerziellen landwirtschaftlichen Interessen getrieben werden, die zur direkten Waldumwandlung führen, etwa für Palmöl-Plantagen oder für Viehweiden."
Claude Martin stellt heute in Berlin den 34. Bericht des Club of Rome vor. Er trägt den Titel "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Seit über 40 Jahren warnt ja der Club of Rome vor der Umweltverschmutzung und der Klimaveränderung. Gegründet wurde er 1968 als Vereinigung von Wissenschaftlern, Industriellen, Ökonomen und Künstlern. Und man versuchte damals – und auch heute natürlich noch – Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit zu geben. Heute wird der 34. Bericht des Club of Rome vorgestellt. Er fällt in die Anstrengungen der Länder, den Umweltgipfel in Paris im Dezember vorzubereiten, wo man ja endlich das Ziel schaffen will, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu drücken.
Claude Martin, ehemaliger WWF-Generaldirektor, Berater der chinesischen Regierung und Autor des neuen Reports an den Club of Rome. Und dieser Report heißt: "Endspiel. Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können." Schönen guten Morgen!
Claude Martin: Guten Tag!
Brink: Vor 25 Jahren, Herr Martin, haben Sie schon mal eine Bestandsaufnahme der tropischen Regenwälder in Westafrika vorgelegt. Was hat sich denn seitdem verändert?
Martin: Ja, das betraf einen Zustandsbericht der westafrikanischen Wälder und vor allem deren Ökologie. Seither hat sich insbesondere in Afrika viel verändert. Vor allem die westafrikanischen Wälder sind praktisch entwaldet worden. Was uns bleibt, ist das Kongobecken. Und darum geht es jetzt eigentlich in dem neuen Zustandsbericht, der ja auch eine globale Übersicht zu schaffen versucht. Die Entwaldungsraten seit den 90er-Jahren haben etwas abgenommen, aber nur leicht abgenommen. Wir verlieren immer noch etwa ein halbes Prozent der tropischen Regenwälder pro Jahr.
Die Folgen des steigenden Fleischkonsums
Brink: Aber es hat sich verlangsamt, sagen Sie?
Martin: Es hat sich leicht verlangsamt. Aber die Tendenz in den letzten paar Jahren deutet darauf hin, dass es wieder eine Steigerung geben könnte. Weil einfach viele der Entwaldungsszenarien in Lateinamerika und in Südostasien vor allem heute von kommerziellen landwirtschaftlichen Interessen getrieben werden, die zur direkten Waldumwandlung führen, etwa für Palmöl-Plantagen oder Viehweiden.
Brink: Genau das wollte ich nämlich sagen: Könnte es einfach sein, dass die Menschen den tropischen Regenwald ja, ich würde fast sagen, buchstäblich aufessen, weil sie sich immer mehr mit Fleisch ernähren und dafür natürlich Flächen brauchen, um das anzubauen, also das Futter für die Tiere?
Martin: Das Tragische an dieser Geschichte ist, dass das zur Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern überhaupt nichts beiträgt. Denn Palmöl ist im Prinzip ein industrielles Produkt, das unter anderem sogar für Biodiesel verwendet wird und in der Nahrungsmittelindustrie. In diesem Sinne kann es eben nicht die Ernährungsprobleme, die wir heute auf der Welt haben, lösen.
Dasselbe gilt für das Fleisch. Das Fleisch wird eigentlich produziert zunehmend für die großen urbanen Zentren, nicht zuletzt auch im asiatischen Raum, wo der Fleischkonsum enorm stark ansteigt. Das heißt, es werden eigentlich hier die Konsequenzen einer zunehmenden Urbanisierung aus tropischen Regenwäldern alimentiert. Und das ist eben tatsächlich eine Tendenz, die dazu führt, dass wir förmlich die tropischen Regenwälder aufessen.
Die natürliche Regeneration des Waldes
Brink: Und das heißt, was weg ist, ist weg?
Martin: Das ist nicht immer so. Aber dort, wo für Viehweiden und für Palmöl umgewandelt wird, da ist der Wald weg. Es gibt aber die Kleinfelderkulturen, die Brandackerkulturen, wo es auch zu einer gewissen Wiederbewaldung kommt, das ist eigentlich die natürliche Regeneration des Waldes. Das sieht man auch heute auf Satellitenkarten, insbesondere in Zentralafrika. Das gibt auch eine gewisse Hoffnung. Aber so schnell sind wir nicht bei einer Null-Entwaldung.
Brink: Sie schreiben – und das fand ich sehr interessant in diesem Bericht –, seit sich ja die Welt voll auf den Klimawandel konzentriert, sind die tropischen Regenwälder quasi Statisten geworden. Also, sie sind eigentlich nicht mehr wichtig. Wie blicken Sie denn vor diesem Hintergrund auf die im Dezember in Paris stattfindende große nächste Weltklimakonferenz?
Martin: Das ist richtig, dass man heute in Bezug auf die tropischen Regenwälder immer an eine Kohlenstoffsenke denkt. So bezieht man sich jedenfalls auf diese Wälder.
Brink: Was meinen Sie mit Kohlenstoffsenke?
Martin: Die Kohlenstoffsenke, weil die tropischen Regenwälder natürlich einen großen Teil des CO2 in der Atmosphäre aufnehmen durch die Fotosynthese. Und da hofft man eben, und ich glaube, man macht sich illusionäre Hoffnung, dass etwa ein Drittel aller CO2-Emissionen, die wir durch fossile Verbrennung kreieren, die ganze Menschheit kreiert, dass das von den tropischen Regenwäldern quasi sequestriert, gesenkt werden könnte und gespeichert werden könnte. Ich glaube, das sind ziemlich optimistische Aussichten, denn sie gehen davon aus, dass man die Entwaldung sehr bald einmal stoppen kann.
Und inzwischen passiert noch etwas anderes: Die Klimaveränderung hat selbst einen direkten Einfluss auf die Vitalität dieser Tropenwälder, weil wir immer stärkere Trockenzeiten im Amazonasbecken sehen. Und so könnten sich effektiv einige Wälder sogar zu CO2-Quellen entwickeln. Das wäre dann der gefährliche Tipping-Point. Und deshalb sind eigentlich die Klimaverhandlungen in Paris natürlich sehr, sehr wichtig, dass wir auch eben diese fossilen Energieemissionen eindämmen.
Brink: Manchmal sehnt man sich ja auch im Bereich des Klimas irgendwie nach positiven Nachrichten. Und ich habe bei Ihnen schon herausgehört, na ja, es ist natürlich viel passiert, aber es gibt auch Hoffnung. Ist das so oder ist das eine Illusion, dass wir das schaffen?
Die Primärwälder müssen besser geschützt werden
Martin: Es gibt schon Hoffnung. Das heißt, meine Hoffnung eigentlich beruht darauf, dass die verbleibenden tropischen Regenwälder, vor allem die Primärwälder unter viel besseren Schutz kommen. Wir haben immer noch fast die Hälfte der tropischen Regenwälder, die einmal existiert haben in historischen Zeiten. Und ich glaube, die Prioritäten müssen sehr stark darauf gesetzt werden, dass diese Wälder eben auch erhalten bleiben. Weil, sie sind ausschlaggebend auch für die Klimastabilität in diesen Regionen.
Brink: Claude Martin, ehemaliger WWF-Generaldirektor und Autor des neuen Reports. Er wird heute veröffentlicht vom Club of Rome: "Endspiel. Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können". Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Martin: Ich danke Ihnen auch!
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