Benediktinerin Manuela Scheiba

"Ordensleben war nie eine Massenbewegung"

Benediktinerinnen in der Kapelle der Abtei Varensell in Rietberg (Kreis Gütersloh)
Benediktinerinnen in einer deutschen Abtei © picture alliance / dpa
Manuela Scheiba im Gespräch mit Philipp Gessler · 12.04.2015
Die Zahl der Ordensfrauen hierzulande hat sich seit 1995 mehr als halbiert. Trotzdem will die Benediktinerin Manuela Scheiba nicht von einer Krise sprechen: Die Qualität des Klosterlebens sei entscheidend, nicht die Zahl der Gemeinschaften.
Philipp Gessler: Am Mittwochabend gab es eine erstaunliche Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Berlin. Im großen Festsaal waren rund 60 Männer und Frauen versammelt – fast alle in Ordenstracht. Es waren Mitglieder der sogenannten Salzburger Äbtekonferenz, die Klosterobere aus Deutschland, Österreich und Ungarn vereint. Unter dem Motto "Die Geduld umarmen. Gott suchen und aushalten", das ist ein Satz aus der uralten Benediktsregel zur Regelung des monastischen Lebens, wurde das Verhältnis von Glaube und Unglaube diskutiert – einer der Diskutanten war der große Prager Theologe Tomas Halik, den wir schon einmal in "Religionen" interviewt haben. Eine andere Teilnehmerin an der Podiumsdiskussion war die Theologin Manuela Scheiba. Die Benedikterin, Jahrgang 1959, ist eine eindrucksvolle Frau: Sie hat an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert und trat dennoch 1988, also vor dem Mauerfall, dem Benediktiner-Orden in Alexanderdorf bei. Ihre Abtei St. Gertrud liegt südlich von Berlin im ganz schön säkularisierten Brandenburg. Mittlerweile lehrt Schwester Manuela Theologie in Rom.
Am Rande der Tagung in der Katholischen Akademie hatte ich die Möglichkeit, die sprachgewandte Theologin in ihrer Jahrhunderte alten Ordenstracht zu interviewen. Es ging um die Krise der Ordensgemeinschaften. Dazu nur ein paar Daten: Die Zahl der Jesuiten und Franziskaner hat sich in den vergangenen rund 50 Jahren weltweit um die Hälfte reduziert. Sehr ähnlich sieht es bei den Frauenorden hierzulande aus. Gab es im Jahr 1995 noch rund 38.000 Ordensfrauen, sind es heute weniger als die Hälfte. Angesichts dieser erschreckenden Entwicklung und der Proklamierung eines weltweiten "Jahres der Orden" durch Papst Franziskus war meine erste Frage an Schwester Manuela, wie sie sich die Halbierung der Zahl der Ordensfrauen in Deutschland erkläre.
"Diese rückläufigen Zahlen finde ich nicht beunruhigend"
Manuela Scheiba: Ordensleben war nie eine Massenbewegung in der Kirchengeschichte, und es gab natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg viele Eintritte. Ich glaube aber, das hatte andere Gründe. Und diese rückläufigen Zahlen finde ich nicht als beunruhigend. Ich finde es aber gut, dass der Papst ein Jahr der Orden ausgerufen hat, weil diese Aktivitäten in diesem Jahr helfen können, den geistlichen Reichtum, den die Orden haben und auch der Kirche anbieten können, dass das präsenter wird.
Gessler: Warum finden Sie das nicht beunruhigend, wenn sich die so halbiert? Bei anderen Organisationen würde man sagen, das ist ein Krisenzeichen.
Scheiba: Ich finde nicht die große Zahl beim Ordensleben entscheidend, sondern das, was in den bestehenden Ordensgemeinschaften wirklich an tiefer religiöser Erfahrung gelebt wird - und vermittelt wird. Das müssen nicht massenhaft Zentren sein. Außerdem entstehen ja heute auch neue geistliche Bewegungen, auch neue ordensähnliche Gemeinschaften. Und ich finde das in Ordnung auch, dass andere sich halbieren oder eben zu machen.
Gessler: Dennoch könnte man es ja auch als ein Zeichen der Krise sehen, dass es gerade bei den Frauen eine so große Überalterung gibt. Es gibt diese Zahl, dass 84 Prozent der Ordensfrauen über 60 sind. Sehen Sie das nicht als ein Zeichen der Krise?
Scheiba: Die Überalterung in den Orden sehe ich als Spiegelbild der Altersstruktur unserer Gesellschaft. Die ist genauso überaltert, und ich denke, das spiegelt sich auch in unseren Gemeinschaften. In meiner Gemeinschaft sind auch sehr viele Ältere, aber wir haben auch junge Leute. Aber ich glaube, das ist das Verhältnis, das auch in der Gesellschaft da ist.
Gessler: Nun gibt es ja die These, dass gerade eher strenge Orden, zum Teil auch weltabgewandte Orden es nicht ganz so hart getroffen hat, was die Zahl der Ordensfrauen oder Ordensmänner angeht. Heißt das im Umkehrschluss, dass Orden heute strenger sein müssen, damit sie noch gute Zahlen haben, was die Mitglieder angeht?
Scheiba: Nein, das denke ich nicht. Ich denke, viele karitative Orden, die in Krankenhäusern, Kindergärten gearbeitet haben, haben weniger Nachwuchs, weil heute diese Tätigkeiten auch von weltlichen Krankenschwestern übernommen werden. Es gab aber in früheren Zeiten durchaus eine Notwendigkeit, dass durch Ordensschwestern, dass die diese Bereiche abgedeckt haben, oder auch Behindertenpflege und so weiter. Das lässt also nach, die Zahlen der Mitglieder in diesen sogenannten tätigen Orden. In den kontemplativen Orden, die mehr zurückgezogen leben, ist die Zahl der Rückgänge nicht so sehr hoch, obwohl es hier auch Rückgänge gibt. Ich denke, dass diese Gemeinschaften Menschen anziehen, weil jeder, der in einen Orden eintreten möchte, radikal Gott suchen möchte. Und diese etwas mehr zurückgezogenen Orden, mit Schweigen, langen Schweigezeiten, langen Gottesdiensten, ziehen natürlich solche Menschen dann an, als ein relativ bürgerliches Leben, wo man halt sehr – ja, noch einem weltlichen Beruf nachgeht. Das ist vielleicht für viele nicht so anziehend wie so ein radikaler Bruch mit dem normalen Leben und das Herausstreichen von anderen Dimensionen des Lebens. Lange Gebetszeiten, Schweigezeiten, gemeinsame Mahlzeiten, was heute auch zum Teil gar nicht mehr in Familien so üblich ist. Vieles, was durchaus Menschen, die ernsthaft suchen und Ideale haben, einfach fasziniert.
Gessler: Welche Rolle spielt das Äußere eigentlich? Sie sind jetzt in einer sehr traditionellen Ordenstracht gekleidet. Manche Orden geben ja ihre Tracht ab. Ist das eigentlich eine gute Entwicklung, weil sie dann näher sind an dem alltäglichen Äußeren, wie man sich kleidet? Oder ist das eher negativ, weil man dann etwas an Widererkennbarkeit verliert?
"Wir tragen den Habit und sind erkennbar"
Scheiba: Ich könnte beide Tendenzen akzeptieren. Wir tragen den Habit, haben uns auch bewusst dazu entschieden, und sind erkennbar. Das ist nicht immer angenehm, gerade hier in Berlin manchmal. Aber es ist auch gut. Wir sind erkennbar und werden angesprochen und sind auch bereit, über unseren Glauben, über unser Leben zu sprechen mit Leuten. Aber das andere kann ich genauso gut akzeptieren. Wir sind zum Beispiel befreundet mit den Kleinen Schwestern Jesu. Das ist ja auch eine Gemeinschaft, die sehr nahe den Kontakt mit den Menschen sucht, zum Teil ohne erkennbaren Habit geht, und tätig ist zusammen mit Ungläubigen. Und wir befruchten uns eigentlich gegenseitig durch den Glaubensaustausch, der zwischen unseren beiden Gemeinschaften stattfindet. Also, ich sehe in beiden Formen sehr viel Wertvolles.
Gessler: Nun gab es ja eine Pressekonferenz vor Beginn des Jahres der Orden, im November in München, und da sagte der Abt Kugler, der das Jahr vorgestellt hat und die Aktivitäten, die sich da die deutschen Ordensgemeinschaften vorgenommen haben. Er sagte, dass wahrscheinlich einige Orden untergehen werden. Sehen Sie das auch so, und wäre das ein Verlust?
Scheiba: Ja, es könnte sein, dass manche Ordenshäuser oder auch ganze Ordensgemeinschaften schließen werden, weil kein Nachwuchs kommt, eben gerade auch tätige Orden. Dass es heute schon sehr viel Weltpersonal in manchen Gemeinschaften gibt, die zum Beispiel Krankenhäuser betreiben, dass nur noch ganz wenige Schwestern vielleicht in der Verwaltung tätig sind, nicht mehr in der Krankenpflege. Aber es entstehen auch wieder neue Ordensgemeinschaften, die also auch auf die monastischen, mönchischen Quellen zurückgreifen und Ordensleben in unserer Welt gegenwärtig setzen, was neue Aspekte beleuchtet, zum Leuchten bringt in unserer Gesellschaft. Ich kann mich damit auch gut anfreunden und finde es nicht als Verlust. Für mich zählt eigentlich mehr die Qualität, die da rüberkommt, wie Gottsuche gelebt wird. Das kann auch in neuen Formen geschehen, und alte Häuser machen zu, weil wir auch ein geschichtliches Phänomen sind. Auch die Gestalt, die konkrete Gestalt des Ordenslebens ist ja auch geschichtlich determiniert, kann sich ändern. Einiges kann untergehen, Neues kann entstehen. Aber ich denke, die Grundgedanken, die Ideale, ziehen sich durch, die bilden eine Kontinuität. Aber die äußeren Formen können durchaus sich wandeln. Und es gibt eben Sterben und Neuerstehen.
Gessler: Der Trend scheint auch zum Teil dort hinzugehen, das sagte zum Beispiel auch der Abt Kugler, dass die Gemeinschaften kleiner werden, die Ordensgemeinschaften. Also nicht mehr Hunderte von Ordensfrauen oder Ordensmänner in einem Kloster, sondern kleinere Gemeinschaften. Das hat natürlich etwas Familiäres, vielleicht auch Heimeliges, aber es könnte auch eine gewisse Gefahr darin liegen, dass man eben sich in irgendwelchen Irrwegen, weil man so eine kleine Gruppe ist, verirrt und eben da nicht mehr raus kann, weil es eben über die große Gruppe keine Korrektur mehr gibt. Sehen Sie diese Gefahr?
Kleinere Gemeinschaften als Chance
Scheiba: Nein. Nein, warum soll sich ausgerechnet eine kleine Gruppe verirren? Auch eine große Gruppe kann sich verhärten und auf falsche Wege kommen. Also ich denke, dass vielleicht in einer kleinen Gruppe Dinge noch eher zu korrigieren und zu diskutieren sind als in einer ganz großen Gemeinschaft. Ich würde eher eine Chance sehen in kleineren Gemeinschaften.
Gessler: Ist es ein Zeichen einer Glaubens- oder vielleicht sogar Gotteskrise, dass tatsächlich die Orden immer weniger Mitglieder haben?
Scheiba: Ja, das spiegelt sich natürlich, dass weniger Leute in die Kirche gehen, getauft werden, ihr Christsein praktizieren, dass das auch auf das Ordensleben sich auswirkt, Gemeinschaften kleiner werden und gleichzeitig auch Glaubensleute weniger sichtbar sind auch in Pfarreien oder Städten, sodass dieses Lebensmodell gar nicht mehr so im Blick ist. Und das führt dann wieder dazu, dass das noch mehr abnimmt. Aber auf der anderen Seite gibt es, wie gesagt, Neuentdeckungen von Menschen, die dieses Ideal völlig neu aufgreifen und nach neuen Formen suchen, auf alte Ordensregeln zurückgreifen und was Neues anfangen. Und das finde ich ganz in Ordnung.
Gessler: Trotzdem noch mal zurück zu der Überalterung, die ja stattfindet. Das macht es natürlich für junge Frauen oder junge Männer schwierig, dann in einen Orden einzutreten, wenn tatsächlich meine Generation, vielleicht die Generation, mit der ich am meisten Spaß habe und die mich am besten versteht, wenn die eben kaum in der Gemeinschaft drin ist, in die ich dann eintreten möchte?
Scheiba: Ja. Dieses Problem gibt es in vielen Ordensgemeinschaften, und deshalb veranstalten Gemeinschaften Treffen und Weiterbildung von jüngeren Ordensleuten, also übergreifend über die einzelnen Häuser, auch übergreifend über einzelne Ordensgemeinschaften. Das finde ich sehr wichtig, dass der Kontakt da ist mit jüngeren Ordensleuten, meinetwegen auch aus anderen Orden, nicht nur Benediktiner, sondern auch Franziskanerinnen und so weiter. Ja, das ist ein ganz wichtiges Feld, dass man sich auch austauschen kann mit Gleichaltrigen.
Gessler: Nun gibt es ja die These, dass die Kirche sich in ihrer Geschichte immer wieder reformiert hat, immer wieder zu ihren Wurzeln zum Teil gefunden hat durch die Orden. Und vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass der neue Papst ein Jesuit ist. Glauben Sie tatsächlich, dass die Kirche sich im Augenblick auch reformiert, verändert durch den Impuls, der aus den Orden kommt?
Scheiba: Ja, ich denke, schon. Dieses Gewicht auf Gottsuche, auf Gastfreundschaft, Gesprächsbereitschaft, Solidarität mit Armen, auch Sozialaktionen, Suppenküchen, die von Ordensgemeinschaften geführt werden. Einfacher Lebensstil. Ich denke, all das hat Auswirkungen auch auf die Gesamtkirche. Wer da also näher in Kontakt kommt, lässt sich ansprechen nach meiner Erfahrung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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