Benachteiligung unattraktiver Menschen

Weg mit dem Bewerbungsfoto!

Ein Mann hält sich die Augen zu
Bewerbungsfotos können sich negativ auf die Jobchancen auswirken. © imago/blickwinkel
Ulrich Rosar im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.01.2017
Gut aussehende Menschen haben die besseren Jobs, sie machen schneller Karriere und bekommen manchmal sogar eher einen Kredit. Werden weniger attraktive Menschen diskriminiert? Ja, sagt der Soziologe Ulrich Rosar.
Wer als Model arbeitet, braucht ein attraktives Äußeres - hier ist das Aussehen relevant. In anderen Berufen sollte es egal sein. Ist es aber nicht.
Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, werden nach Ansicht des Soziologen Ulrich Rosar von der Universität Düsseldorf "auf allen möglichen Ebenen und in allen möglichen Lebenslagen" diskriminiert.
Abhilfe lässt sich aber wohl nur bedingt schaffen. Denn schon die Definition von unattraktiv gleiche dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, sagte Rosar im Deutschlandradio Kultur.
Einige mögliche Merkmale nannte er dann aber doch: "Ungesunde Hauttextur, asymmetrische Gesichtszüge, starker Fettansatz, asexuelle Körperformen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, die Schönheitsformel an und für sich gibt es aber nicht."
Möglichkeiten, betroffenen Menschen zu helfen, gibt es trotz schwieriger Definition. So in der Arbeitswelt: Rosar schlägt vor, das Bewerbungsfoto wegzulassen. Damit wäre ein erster Schritt getan. Das könnte auch gesetzlich geregelt werden, betonte er.


Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Es gibt unter Radioleuten den immer wieder gern gehörten Spruch: Du hast ein typisches Radiogesicht. Und Sie ahnen schon, das ist nicht schmeichelhaft gemeint, aber es heißt ja auch, beim Radio ist das Aussehen egal.
Das gilt im Grunde genommen für die allermeisten Berufe, trotzdem aber sind attraktive Menschen oft sehr viel erfolgreicher.
Gerecht kann das nun eigentlich nicht sein, aber stellt es schon eine Diskriminierung der anderen, der nicht so attraktiven, dar und fordert das konkrete Maßnahmen? Fragen dazu jetzt an Ulrich Rosar, er ist Professor für Soziologie an der Universität Düsseldorf. Schönen guten Morgen, Professor Rosar!
Ulrich Rosar: Schönen guten Morgen!
Kassel: Werden unattraktive Menschen in Deutschland tatsächlich diskriminiert?
Rosar: Ja, davon müssen wir ausgehen, und zwar auf allen möglichen Ebenen und in allen möglichen Lebenslagen.
Kassel: Aber bevor wir jetzt über diese Lebenslagen reden, wie definieren Sie denn unattraktiv, gibt es da wirklich eine gesellschaftliche Einigung drüber? Ich sag's mal etwas brutaler: Wer genau ist hässlich?
Rosar: Es ist schwierig, die Merkmale zu definieren, die Unattraktivität ausmachen – das wäre der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.
Wir können jedoch einige Komponenten ausmachen, zum Beispiel ungesunde Hauttextur, asymmetrische Gesichtszüge, starker Fettansatz, asexuelle Körperformen, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, die Schönheitsformel an und für sich gibt es aber nicht.
Kassel: Aber wie könnte man denn dafür sorgen, dass diese und andere Merkmale eben bei den meisten Berufen keinen Einfluss auf die Karriere haben? Fangen wir mit den Bewerbungsgesprächen an: Bewerbungsgespräche mit einem Paravent, der Personaler sieht den Kandidaten gar nicht mehr, ist das realistisch?

Bewerbungen sind der erste Karriereschritt

Rosar: Das ist mit Sicherheit nicht realistisch, aber Bewerbungsgespräche sind natürlich nicht der erste Schritt auf der Karriere, sondern es ist die Bewerbung an und für sich. Und wenn wir zum Beispiel Informationen zur Person, die nichts mit dem Beruf zu tun haben, erst mal außen vor lassen, zum Beispiel das Bewerbungsfoto weglassen würden, dann wäre schon ein erster wichtiger Schritt getan.
Kassel: Aber ich finde eines interessant an dieser Idee mit den Bewerbungsfotos – da gab es ja schon vor sechs, sieben Jahren inzwischen so eine Initiative, das abzuschaffen. Aber wenn nur ein einziger Bewerber sagt, na ja, freiwillig kann man mir das ja nicht verbieten in einem freien Land, ich schicke trotzdem eins, dann haben Sie doch sofort das Problem, dass Sie als Entscheider glauben, die Leute, die eins schicken, sind attraktiv, und die, die keins schicken, sind es halt nicht.
Rosar: Na ja, das wäre natürlich ein Kulturwandel. In anderen Ländern ist das so, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ist es aus anderen Gründen verpönt, Bewerbungsfotos mitzuschicken. Dort wird auch keine Angabe zum Alter gemacht. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass wir so etwas auch gesetzlich regeln, dann wäre es eindeutig.
Kassel: Der Anlass für unser Gespräch heute ist ja diese Miss-Universe-Wahl auf den Philippinen, die vor ein paar Stunden zu Ende gegangen ist. Eine Französin hat da gewonnen. Und selbst bei solchen Wettbewerben ist es ja immer so, dass selbst die Models, die schönen Männer oder Frauen da nicht nur einfach stehen. Sie müssen sich bewegen und sie müssen auch reden, sie müssen Fragen beantworten zur Person, manchmal sogar zum Weltgeschehen. Ist nicht Attraktivität auch bei Karrierefragen mehr als nur das Aussehen, kommt es nicht auch auf die Ausstrahlung an?

Auch Auftreten und Charme spielen eine Rolle

Rosar: Also wenn wir von Attraktivität sprechen, dann meinen wir immer die physische Attraktivität. Darüber hinaus spielen natürlich auch eine Menge andere Komponenten, eben auch das Auftreten, der Charme et cetera eine Rolle. Auch das kann sich natürlich positiv und negativ auswirken.
Wenn wir jetzt an die Miss-Universe-Wahlen denken, würde ich allerdings sagen, dass hier Fehler und Patzer eher sich negativ auswirken und dass besonders gelungenes Auftreten letztendlich gar nicht so sehr nutzt. Also Fehler schaden eher, als das eine gute Performance nutzen würde.
Kassel: Ja, aber ich wollte eigentlich so ein bisschen darauf hinaus, wenn wir jetzt tatsächlich das Antidiskriminierungsgesetz zum Beispiel so erweitern könnten, dass man auch klagen kann, wenn man glaubt, man wurde beruflich diskriminiert aufgrund der eigenen Unattraktivität. Ist das nicht ein bisschen schwierig, das dann zu definieren, denn wahrscheinlich wird dann jeder Arbeitgeber sagen, nein, das liegt nicht daran, dass er dick ist, das liegt daran, dass er einfach so merkwürdig auftritt gegenüber den Kunden.
Rosar: Ja, letztendlich, wenn Sie eine Diskriminierungsklage einreichen, müssen Sie ja nachweisen, dass Sie diskriminiert worden sind. Das ist aber auch bei anderen Diskriminierungsmechanismen, zum Beispiel bezogen auf Geschlecht oder Alter, schwierig.
Ich denke, aus Arbeitgebersicht wäre es ohnehin wichtig und richtig, darauf zu achten, dass man ein möglichst faires und objektives Bewerbungs- und Auswahlverfahren oder auch Beförderungsverfahren durchführt.
Dazu könnte zum Beispiel gehören, dass man von vorneherein immer klar die Auswahlkriterien definiert, dass man das Vieraugenprinzip anwendet, dass man Entscheidungen schriftlich fixiert und dass man alles auch gut dokumentiert, zum Beispiel mit Eignungstests.
Kassel: Bei Schauspielern, Fernsehmoderatoren und Models kommt es aufs Aussehen an, bei so gut wie allen anderen Berufen nicht, habe ich hier schon leichtfertig behauptet – ist das tatsächlich wahr?
Rosar: Nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt natürlich auch eine Reihe von Alltagsberufen, wo das Aussehen eine Rolle spielen kann.

Gut aussehende Verkäufer verkaufen mehr

Wir wissen zum Beispiel sehr genau, dass Verkäuferinnen und Verkäufer höhere Umsätze erzielen, wenn sie gut aussehen. Wir wissen zum Beispiel auch aus der Politik, dass attraktive Politikerinnen und attraktive Politiker einen Wettbewerbsvorteil für ihre Parteien erringen können.
All das sind Bereiche, wo man aufpassen muss, ob man über Attraktivität und Diskriminierung überhaupt sprechen kann oder ob es tatsächlich ein Produktionsvorteil ist, wenn denn diejenigen, die das Produkt an den Mann und die Frau bringen sollen, gut aussehen.
Kassel: Ich bin jetzt versucht, über Martin Schulz zu reden an dieser Stelle, aber das machen wir nicht, das tun wir heute in anderen Zusammenhängen ausführlich genug. Ich danke Ihnen!
Das war Ulrich Rosar, er ist Professor für Soziologie an der Universität Düsseldorf, und mit ihm haben wir darüber geredet, ob tatsächlich weniger attraktive Menschen – ich hab nur einmal hässlich gesagt, ich hab mich bemüht – weniger attraktive Menschen diskriminiert werden, warum und was man dagegen tun kann. Herr Rosar, vielen Dank für das Gespräch!
Rosar: Gerne, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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