Belletristik

"Tiefe Verbindung von Krieg und Sex"

Moderation: Stephan Karkowsky · 21.01.2014
Mit "Die Einsamkeit der Primzahlen" schrieb Paolo Giordano 2008 das meistverkaufte Buch Italiens. In seinem neuen Roman zeigt er junge Männer an der Schwelle zum Erwachsenwerden in einer besonderen Situation: Sie sind Soldaten in Afghanistan. Was Gewalterfahrung und Körperbewusstsein verbindet, sagt er bei uns im Interview.
Stephan Karkowsky: Der zweite Roman, das ist für Schriftsteller das, was für Musiker das zweite Album ist. Je erfolgreicher das Debüt, desto größer, desto höher die Fallhöhe. Und der Debütroman von Paolo Giordano war ein Welterfolg. 2008 das meistverkaufte Buch Italiens, übersetzt in über 40 Sprachen. Nicht schlecht für einen damals erst 26 Jahre alten Teilchenphysiker! Vier Jahre danach erschien 2012 der Nachfolger "Il corpo umano", unter dem Titel "Der menschliche Körper" liegt das Buch nun auch auf Deutsch vor. Und weil der Autor gerade zu Gast war in Berlin, begrüßen wir ihn nun im Deutschlandradio Kultur, Paolo Giordano, guten Tag, buongiorno!
Paolo Giordano: Guten Tag!
Karkowsky: Die Analogien zu Ihrem Studienfach liegen nahe. Im ersten Roman waren es zwei Teenager, zwei Außenseiter, in der Sprache der Physik zwei beschädigte Elementarteilchen, die mehrfach im Laufe ihres Lebens miteinander kollidieren auf der Suche nach ihrem Platz im Standardmodell des Lebens. Im neuen Roman nun werfen sie mehrere junge Soldaten aus der Bahn und schicken sie in den Krieg nach Afghanistan. Warum dieses Thema?
Giordano: In der Tat haben wir in diesem zweiten Buch auch Figuren vor uns, die gewissermaßen Elementarteilchen sind. Von den zwei Elementarteilchen des ersten Buches sind es viele geworden, auch in diesem neuen Buch versuche ich, in einer Art Labor diese Menschen zu untersuchen. Und der Krieg ist die ideale Bühne dafür. In Südafghanistan habe ich in diesem Buch eine Art isoliertes Labor gebaut, wo die jungen Leute es lernen, älter zu werden, insbesondere sich zu verabschieden von der eigenen Jugend. Das ist, glaube ich, das Hauptthema des Buches, wie schafft man diesen Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenenalter. Und der Krieg ist dafür eigentlich das Symbol schlechthin.
Der italienische Autor Paolo Giordano zu Besuch bei Deutschlandradio Kultur in Berlin
Der italienische Autor Paolo Giordano zu Besuch bei Deutschlandradio Kultur in Berlin© Deutschlandradio Kultur
Karkowsky: Die Deutschen haben eine eher distanziertere Haltung zu Ihrer eigenen Armee. Warum die Bundeswehr die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen soll, das können viele nicht verstehen, nicht nachvollziehen. Italien hat bis zu 4.000 Soldaten in Afghanistan gehabt und etwa genauso viele Gefallene, genauso viele Tote zu beklagen wie Deutschland. Wie schauen die Italiener auf diesen Krieg?
Giordano: Wir in Italien haben eigentlich eine ähnlich distanzierte Haltung zu diesem Krieg wie auch die Deutschen. Schauen wir es uns genauer an, dieser Krieg hat schon im Jahr 2001 eingesetzt, er ist also einer der längsten Kriege unserer jüngsten Vergangenheit. Als ich mich daran zurückerinnerte, wurde mir klar, ich war 18 Jahre alt, als der Krieg begann, und er diente als eine Hintergrundfolie für meine Wachstumsprozesse, obwohl ich mich damals um ihn keineswegs scherte, ich versuchte, das so wegzuschieben, wir haben das im Wesentlichen als Thema in der Tagesschau oder in einzelnen Zeitungsartikeln eingehaust, wir haben auch eine ganz begrenzte und sehr besondere Sprachregelung gefunden.
Und ich glaube, immer wenn man ein großes und wichtiges Thema einschränkt und sozusagen mit den Fingerspitzen anfasst, dann steckt dahinter eine Wahrheit, vor der wir zurückscheuen, weil sie uns wehtun könnte und weil sie uns eben auch infrage stellt. Und das ist genau die Aufgabe des Schriftstellers.
Sehnsucht nach Sex spielt eine wichtige Rolle
Karkowsky: Schon bevor Ihre Romanhelden in den Krieg ziehen, sind sie Versehrte. Ihre menschlichen Körper verlangen nach Antischuppencreme gegen Hautkrankheiten, Antidepressiva gegen schlechte Stimmung. Im Krieg dann erleiden sie Durchfall, Fieber, Nervenzusammenbrüche und bei ihrer Rückkehr geht es den Überlebenden ja auch nicht besser. Nun waren schon die Helden Ihres Debütromans an Leib und Seele beschädigt. Woher kommt bei einem doch recht jungen Schriftsteller wie Ihnen das Interesse an der Unzulänglichkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers? Häufig lesen wir das erst in den Alterswerken von Autoren!
Giordano: Vielleicht hat es damit zu tun, dass auch ich an mir selbst immer diese Schwierigkeit verspürte, den eigenen Körper mit dem Rest meines Selbst zusammenzubringen! Insbesondere hatte ich damit Schwierigkeiten in den kompliziertesten Augenblicken, wenn ich der Depression nahe war. Da habe ich den eigenen Körper immer als etwas Abgetrenntes erlebt, auch mein Studienfach, die theoretische Physik, bringt einen ja weit weg vom menschlichen Körper, ebenso wie das Schreiben auch. Das distanziert einen vom Körper. Also war meine Anstrengung, in diesem Buch diese abgetrennten Teile irgendwie wieder zusammenzubringen, das sah ich als Hauptaufgabe, den Körper wieder zusammenfügen.
Auch der Titel des Buches, der von Anfang an feststand, weist ja darauf hin, gerade die Soldaten im Krieg müssen besonders darauf achten, dass sie ihren eigenen Körper, also Leib und Seele retten. Und das ist etwas, was im Krieg hervortritt, während wir im normalen Leben meistens daran gar nicht denken müssen.
Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur Paolo Giordano, er erzählt uns von seinem zweiten Roman, "Der menschliche Körper". Herr Giordano, die menschlichen Körper in Ihrem Roman sehnen sich auch nach Sex. Den holen sich die Soldaten, wo sie können, mit Pornoheften und bei Chats im Internet. In den allermeisten Fällen ist es aber ein sehr unerfüllter Sex, solange die Antidepressiva sie nicht impotent machen und sie sowieso keinen mehr haben können. Das liest man eher selten in Frontromanen, dass die Soldaten – ich nehme dieses Wort! – dauergeil sind. Welche Rolle spielt das für Ihre Geschichte?
Giordano: In der Tat besteht eine ganz tiefe Verbindung zwischen Krieg und Sex. Die Erfahrung des Krieges bedeutet für die Männer ganz sicherlich immer eine Erregung, etwas, was vielleicht nicht immer zutage tritt und versteckt ist, aber es ist eine tiefe Beziehung da. Auch im Krieg geht es ja immer um den menschlichen Körper, diese Gefahr, in der man sich sieht, führt zu einem Erwachen des Körperbewusstseins, eine Vitalität, die man nur schwerlich im normalen, gesicherten Alltag erleben kann.
Und deswegen ist auch der Krieg zu allen Zeiten bei den Männern so beliebt gewesen. Darüber hinaus muss man sagen, der Krieg ist ja eine Sache der jungen Männer, die sind 20, 25 Jahre alt, also, in einem Alter stehen sie, wo Sex eine ganz zentrale Bedeutung hat und sich auch einfach nicht ausschließen lässt. Und die Männer im Roman versuchen irgendwie alle, damit zurande zu kommen.
Karkowsky: Einer Ihrer Helden ist sogar ein Gigolo, er verkauft seinen Körper für Geld an Frauen. Wollten Sie damit die Analogie zwischen dem Soldaten, der seinen Körper an seinen Staat verkauft, ausdrücken?
Giordano: Ehrlich gesagt, habe ich daran gar nicht gedacht. Diese Geschichte beruht ja auf wahrer Erfahrung, die mir einer dieser jungen Männer erzählt hat, als er eben von seinem Nebenberuf berichtete. Jetzt, wo Sie davon sprechen, kommt mir auch in den Sinn, das ist eine Art Analogie, wo eben Männer ihren Körper zur Verfügung stellen für eine Sache, die ihnen zunächst mal fremd ist.
Suche nach menschlicher Wärme in versingleter Gesellschaft
Karkowsky: Und was, würden Sie sagen, ist die wichtigste Veränderung, die in Ihren Männern vor sich geht im Krieg, wie kommen die verändert nach Hause?
Giordano: Das war in der Tat eine der größten Schwierigkeiten, das irgendwie in der Einbildung auf die Reihe zu bekommen. Ich glaube, es ist eine Mischung. Einerseits kehren diese jungen Männer kaputt, versehrt zurück, insbesondere dann, wenn man eben so viel Gewalt ausgesetzt war wie sie. Andererseits hat man die Erfahrung gemacht und verbleibt in einer merkwürdigen Abhängigkeit von der Erfahrung des Krieges, auch weil man diesen Vitalitätsschub verspürt hat. Daraus ergibt sich eine Art perverse Sehnsucht nach dieser Vergangenheit.
Erneut habe ich versucht, hier eine Mischung herzustellen zwischen diesen beiden Zuständen und es als Metapher für das Älterwerden zu nehmen, wenn man etwa an die 30 herankommt, in einem Alter, wo man sich zurückbeugt auf die Jugend und vielleicht auch eine Art Heimweh verspürt. Man sagt, jetzt bist du wirklich erwachsen, und man sieht auf die eigene Jugend wie hinter einer Glasscheibe. Aus diesem Grunde habe ich ja auch ein Zitat von Erich Maria Remarque am Anfang verwendet, denn auch er hat in seinem Kriegsroman diesen Übergang dargestellt, wo die jungen Männer dann nach Hause kehren und zurückschauen voll Sehnsucht auf das, was ihnen jetzt so ohne Weiteres in dieser Sorglosigkeit nicht mehr zugänglich ist.
Karkowsky: Im Roman dominieren die menschliche Kälte, Mitleidslosigkeit, das Sich-Einkapseln. Und zwischenmenschliche Beziehungen, Familien, Paare, Freundschaften, die werden nur notdürftig aufrechterhalten, weil die Personen dazu wegen ihrer seelischen und körperlichen Beschädigung gar nicht in der Lage sind. Ist das eine Beobachtung, die Sie ausdehnen würden auf die heutige Gesellschaft oder stimmt sie nur für diese Personen, die Sie beschreiben?
Giordano: Ich scheue mich immer davor zurück, solche Zustandsbeschreibungen aus einem Buch oder aus einer Geschichte auf andere Bereiche auszudehnen. Mich interessierte vor allem die Erzählung und die Beziehung der Erzählung mit mir selbst. Ich habe mir damals, als ich das Buch schrieb, die Frage gestellt, weshalb sind diese Männer eigentlich in den Krieg gezogen, warum haben sie diesen Beruf gewählt, könnte ich das auch machen? Mir wurde klar, auch ich hätte mich dafür entscheiden können, aber es wäre dann aus anderen Gründen geschehen als das, was man üblicherweise von den Soldaten hört und was die Soldaten dort unten mir auch erzählt haben. In meinem Fall wäre es eine Art Suche nach einer neuen Familie gewesen, eine Suche nach menschlicher Wärme, etwas, was man eben in unserer versingleten Gesellschaft nicht so ohne Weiteres findet.
Das habe ich jedenfalls hineingelegt in die Begegnungen und in die Erfahrungen der Menschen, eine Art Suche nach Wärme. Vielleicht ist es nicht so, aber ich habe das darin gesehen. Vielleicht sagt es mehr über mich aus als über die Soldaten.
Karkowsky: "Der menschliche Körper", so heißt der zweite Roman von Paolo Giordano. Danke, dass Sie bei uns waren!
Giordano: Danke schön!
Karkowsky: Erschienen ist das Buch bei Rowohlt, 416 Seiten kosten 19,95 Euro. Und übersetzt hat dieses Gespräch Johannes Hampel, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Paolo Giordano: Der menschliche Körper

Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2014

416 Seiten, 19,95 Euro

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