Belletristik

Aus dem Fundus der Schwarzen Romantik

Der Nebel lichtet sich am 13.12.2013 über dem Motzener See bei Motzen (Brandenburg). Rund um Berlin war am Freitagmorgen dichter Nebel. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Nebel am Motzener See in Brandenburg © dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka
Von Edelgard Abenstein · 19.03.2014
John von Düffels Geschichten handeln von Beziehungen, die ins Wanken geraten sind. In allen spielt das Wasser eine besondere Rolle. Prägnant und packend erzählt.
Seen, Flüsse, das Meer: Seit seinem Debüt "Vom Wasser" (1998), einem Familienroman über eine Papierfabrikantendynastie, kommt John von Düffel vom Wasser nicht mehr los. Wie in den Geschichten vom "Schwimmen" sowie in "Wasser und andere Welten", die 2000 und 2003 folgten, stürzt er sich auch in dem neuen Prosaband in sein Lieblingselement.
Die elf Erzählungen kreisen um das Wasser in allen möglichen Aggregatzuständen: sumpfige Tümpel, Badeweiher, die Fluten der Ostsee, Nebel und Regen. Dabei geht es um gescheiterte Ehen, zerrissene Familien, um Verlust, Einsamkeit und Tod, aber auch um Stille, Aufbegehren, kleine Siege.
Ein Mann springt an einem Januartag ins eiskalte Meer, weil er das Leben spüren will, und kommt nur deshalb nicht um, weil ein rätselhafter Mann am Ufer ihm im letzten Moment zur Rückkehr verhilft. Eine junge Frau lässt sich dafür bezahlen, dass sie täglich zwei Stunden lang in einem Pool schwimmt – nackt – während sie durch schwarze Scheiben von einem seltsamen Japaner beobachtet wird. Ein Paar, die Frau ist schwanger, zieht vorübergehend in ein einsames Haus im Wald an einem See, um zu sich selbst zu finden, doch sie verliert ihr Kind. Eine erwachsene Frau besucht ihren sterbenden Vater und entdeckt im ausgelaufenen Pool ihres Elternhauses das einst verzweiflungsvoll gesuchte Lieblingsrad der Mutter.
Ein Riss, der durch alle Beziehungen geht
Allen Geschichten gemeinsam ist ein existentieller Riss, der quer durch alle Beziehungen geht: Paare, die sich nichts mehr zu sagen haben, die im Alltagstrott erstarrt sind. Wie in der Telefonklage, die ein geschiedener Mann von einem Schiff aus über die Teenagertochter führt, die sich ihm auf der gemeinsamen Kreuzfahrt immer mehr entzieht. Adressatin ist die hartnäckig schweigende Exfrau. Oder der Ausdauersportler, der jeden See durchkrault, aber Angst vor Hundegebell in der Ferne hat und eifersüchtig über seine ihm längst entglittene Ehefrau wacht.
Fast immer ist in den Erzählungen von Anfang an die Beklemmung spürbar. Um das Moment des Unheimlichen, mitunter Grotesken zu verstärken, bedient sich von Düffel gezielt aus dem Fundus der Schwarzen Romantik. Ob Nebel aufkommt, der die Räumlichkeit aufhebt, ein geheimnisvolles Märchenwesen durch den Wald geistert und man nicht weiß, ob die schwangere Frau tatsächlich träumt oder ob der bellende Hund von dieser Welt ist – immer werden die Motive geschickt um einen höchst realen Kern gruppiert. Auch Tiere spielen dabei eine zentrale Rolle, neben Hunden natürlich auch wasserspezifische, Fische und Molche. Wie das Wasser stehen auch sie für das Unzähmbare, das Wilde in der Natur.
Von Düffel, der seit Jahren im Hauptberuf als Dramaturg arbeitet, erzählt klar, prägnant und schmucklos. Nur manchmal gerät der Ton all zu sehr ins Raunende. Geschickt wechselt er die Perspektiven, mal spricht ein Ich im Monolog, mal die dritte Person aus weiter Distanz, mal zwei Figuren im wunderbar sich ins Absurde drehenden Theaterdialog. So lesen sich die Erzählungen packend in einem einzigen Sog.

John von Düffel: "Wassererzählungen"
Dumont-Verlag, Köln 2014
255 Seiten, 19,99 Euro

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