Belfast Noir

Im Hauptquartier der nordirischen Krimiszene

Von Thomas Jaedicke und David Sharp · 07.09.2016
Katholiken gegen Protestanten, Bomben und Morde: Jahrzehntelang hat ein blutiger Konflikt Nordirland geprägt. Aufgearbeitet wird diese jüngere irische Geschichte auch von den Krimiautoren der "Belfast Noir"-Szene. Ihre Keimzelle ist ein kleiner Buchladen.
Fast 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen soll in Nordirland offiziell Frieden herrschen. Aber das gesellschaftliche Klima ist durch den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten zum Teil immer noch schwer vergiftet.
In manchen Familien ist der Bürgerkrieg bis heute ein Tabuthema. Ausgerechnet über Krimis, in denen es um diese komplizierten Themen geht, finden die Nordiren jetzt ins Gespräch.
Keimzelle dieses Genres, des Belfast Noir, ist ein kleiner, fast unscheinbarer Buchladen, den Thomas Jaedicke und David Sharp besucht haben.

Manuskript zum Beitrag:
Der kleine Laden auf der Botanic Avenue platzt an diesem Abend aus allen Nähten. Eoin McNamee liest im "No Alibis" aus seinem neuesten, gerade auch auf Deutsch erschienenen Krimi Blau ist die Nacht.
Das Buch handelt von zwei realen Morden aus dem Belfast der Nachkriegszeit. Der damals schon schwelende Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten und die Korrumpierbarkeit von Menschen ziehen sich wie ein roter Faden durch McNamees Werk. Über solche Tabu-Themen, die jetzt von immer mehr Belfast Noir-Autoren in ihren Krimis aufgegriffen werden, kommen die Generationen in Nordirland allmählich ins Gespräch.

Eoin McNamee: "It doesn't bring down walls, it doesn't particularly heal wounds, but the sense of someone bearing witness I think makes a society stronger without doubt. And there is that thing of, that simple thing, of you're telling people stories for them.”

Totgeschwiegene Geschichten aus dem Bürgerkrieg

Eoin McNamee ist einer dieser Belfast Noir-Autoren. Der 55-Jährige, inzwischen in Sligo an der irischen Westküste zuhause, war als Kind oft in Belfast. Sein Vater, ein Bürgerrechtsanwalt, hatte viel in der Stadt zu tun. McNamee ist überzeugt, dass es den Nordiren gut tut, wenn jetzt die ganzen Bürgerkriegsgeschichten, die immer totgeschwiegen wurden, auf den Tisch kommen.

In David Torrans' Buchladen gibt es nur Platz für Verbrechen: Chandler, Ellroy, Hammet.

David Torrans: "When we opened initially the main format and set-up of the shop was mystery and detective fiction NOT from this part of the world."

Noch ist die Präsenz der amerikanischen Klassiker groß. Doch die ausländischen Platzhirsche bekommen in den vollgestopften Regalen immer mehr neue Nachbarn. In den vergangenen Jahren hat sich das 'No Alibis' zum einer Art Epizentrum für die kleine, aber stetig wachsende Belfast Noir-Szene gemausert.

David Torrans: "Since the start of 2000, a lot of writers have felt the need, maybe, to write about the place from outside the clichéd 'Troubles Trash' fiction that was part oft the crime writing that took place here."

Die alten Belfast-Krimis, die unter dem Label Troubles Trash firmierten, waren meist sensationslüsterne Flughafen Thriller, geschrieben von englischen Autoren, die eigentlich gar nichts mit der Stadt am Hut hatten. Das hat sich geändert. Etwa ein Dutzend Belfaster Autoren transportiert inzwischen über das populäre Krimigenre die komplizierten nordirischen Themen.

Eoin McNamee: "It is the HQ. When James Ellroy comes to Belfast he will work only through David. He has that sort of cachet."

Das 'No Alibis' ist das Hauptquartier der Belfast Noir-Szene. Dafür hat David Torrans, seitdem er den Laden vor 20 Jahren eröffnete, hart gearbeitet. In guten wie in schlechten Zeiten. Eoin McNamee sagt, dass James Ellroy nur mit David arbeitet, wenn er nach Belfast kommt. Das ist wie ein amtliches Gütesiegel.

Eoin McNamee: "He´s worked incredibly hard through thick and thin to keep the place as the spiritual nerve centre of the entire thing.”

Vom Buchhändler zum Produzent irischer Exportschlager

Wären nicht blaue, rote und gelbe Rechtecke auf die Außenfassade des kleinen Geschäfts im hübschen Belfaster Künstlerviertel Queen's Quarter gemalt, könnte man das 'No Alibis' glatt übersehen. Inhaber David Torrans ist kein Mann, der große Töne spuckt.

David Torrans: "The only credit I could take is that I sold a lot of them books. And maybe that´s where they got some of their thought process or ideas. I don't know.”

Während Eoin McNamee im 'No Alibis' Bücher signiert, steht David ein bisschen abseits, als wäre ihm der ganze Rummel zu viel.

Viel mehr, als er paar von diesen Bücher verkauft zu haben, habe er doch gar nicht getan.

David Torrans: "As a venue and as a shop we have maybe helped develop the local authors' identities within the city a little bit. And we're very active in helping them promote their work."

Nicht nur Eoin McNamee hat David Torrans bekannter gemacht. Brian McGilloway, der früher um die Ecke an der Queens University studierte und bei David nicht nur zum Bücherkaufen ein- und ausging, steht inzwischen als Autor der Inspektor Devlin-Reihe auf der New York Times-Bestsellerliste. Der Mann aus Derry ist ein weiterer nordirischer Export-Schlager aus dem 'No Alibis'-Stall, den der Buchhändler - neben vielen anderen - auf die Erfolgsspur gebracht hat. Aber auch dazu schweigt David Torrans bescheiden.
Raymond Chandler, James Ellroy, Dashiell Hammet: Der Buchhändler David Torrans liebt das literarische Verbrechen.
Raymond Chandler, James Ellroy, Dashiell Hammet: Der Buchhändler David Torrans liebt das literarische Verbrechen.© Deutschlandradio / Ole Siebert