Beitragssenkung um 0,1 Prozent "merkt doch kaum jemand"

Eckhard Fiedler im Gespräch mit Marcus Pindur · 13.03.2012
Trotz des Überschusses der Krankenkassen hält der ehemalige Chef der Barmer Ersatzkasse, Eckard Fiedler, nichts davon, die Beiträge zu senken. Die Ausgabenentwicklung werde schon in diesem Jahr wieder deutlich höher liegen, sagte Fiedler.
Marcus Pindur: Wem gehört das Geld der Versicherten? Die unmittelbar einleuchtendste Antwort auf diese Frage wäre: natürlich den Versicherten selbst. So einfach scheint es aber nicht zu sein. Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland verfügt derzeit über ein Finanzpolster von 19,5 Milliarden Euro, was zu einer heftigen Diskussion über die Verwendung dieses Geldes geführt hat.

Gesundheitsminister Bahr sagt, wir müssen einen großen Teil dieses Geldes in Form von Prämien an die Versicherten zurückzahlen. Finanzminister Schäuble dagegen würde die Rücklage am liebsten zum Großteil dem Bundeshaushalt einverleiben. Wir sind jetzt verbunden mit Eckhard Fiedler, er ist ehemaliger Chef der Barmer Ersatzkasse, heute für das Institut für Gesundheitsökonomie der Uniklinik Köln tätig. Guten Morgen, Herr Fiedler!

Eckhard Fiedler: Ja, guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Herr Fiedler, man scheint sich jetzt einem Kompromiss zu nähern in der Bundesregierung. Es soll eine kleine Beitragssenkung geben, dann soll der Bundeszuschuss an die Krankenkassen gesenkt werden, und damit wiederum soll in Zukunft die private Vorsorge bei der Pflegeversicherung gefördert werden. Ist das Ihrer Ansicht nach ein gangbarer Weg, dieser Kompromiss?

Fiedler: Also, tja, gangbar sicher, klar, aber er ist nicht zweckdienlich. Ich meine, wir haben jetzt mal ein bisschen mehr Überschuss in den Kassen der Krankenversicherung, die kommen aber zustande, weil wir im letzten Jahr ja ein Sparpaket aufgelegt hatten. Der Gesetzgeber hatte 2010 das DKV-Finanzierungsgesetz aufgelegt mit dem klaren Ziel, in 2011 wird gespart. Jetzt hat man mal gespart, mit 2,6 Prozent ein geringer Ausgabenanstieg, der wird dieses Jahr schon deutlich höher liegen, sodass man dann wieder dieses Jahr mehr Geld braucht. Und wenn ich das jetzt sozusagen an anderer Stelle ausgebe, ja, dann fehlt es mir, und dann muss ich heute vielleicht den Beitrag senken und morgen ihn schon wieder erhöhen.

Pindur: Nun kann man sagen, die Kosten im Gesundheitswesen steigen stets, und es gibt immer wiederholte Sparpläne, deshalb sei es richtig, die Reserven bei den Krankenkassen zu lassen. Andererseits ist es doch aber so, dass es politisch immer so gewesen ist, wenn ein großer Topf mit Milliarden Rücklagen da ist, dann steigen auch die Begehrlichkeiten – bei den Ärzten, bei der Pharmaindustrie, bei allen Lobbygruppen im Gesundheitswesen.

Fiedler: Na ja, gut, man kann auch sagen, eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als ein Politiker eine Finanzreserve toleriert. Das heißt also, für da ist auch eine Begehrlichkeit, irgendeine Wohltat zu tun oder selbst sich zu entlasten. Natürlich sind da Begehrlichkeiten, nur wir müssen sehen, die Finanzreserve, die hört sich mit 19,5 Milliarden irrsinnig an, sie ist aber erst mal zu teilen. Es sind zehn Milliarden bei den Kassen, da brauche ich aber auch, von gesetzlicher Seite vorgeschrieben, ein Rücklagen soll von mindestens einer Viertel Monatsausgabe, ich eine Viertel Monatsausgabe als Betriebsmittel, das heißt, ich habe schon mal hier eine Belastung von 7,5 Milliarden, die ich erst mal haben muss.

Pindur: Bleiben immer noch über zwölf Milliarden.

Fiedler: Ja, der zweite Teil liegt ja im Gesundheitsfonds, über den können die Kassen ja gar nicht verfügen. Der Gesundheitsfonds wird gespeist durch den Beitragssatz und den Steuerzuschuss, und dort liegen 9,5 Milliarden. Von diesen 9,5 Milliarden sind 5 Milliarden wiederum festgelegt, können nicht angerührt werden, aber eins hat man da vergessen: 2,48 Milliarden, die gehören eigentlich dem Bund. Denn als der Fonds 2009 eingeführt wurde, da hat man gesagt, wenn das Geld nicht reicht, wenn die Ausgaben höher sind als die Einnahmen – durch den Beitragssatz und Steuerzuschuss –, dann gibt der Bund ein Liquiditätsdarlehen. Und das hat er tatsächlich gemacht , denn die Ausgaben lagen höher als die Einnahmen, um 2,48 Milliarden. Und dieses Geld gehört eigentlich dem Bund, das heißt, das kann er aus dem Gesundheitsfonds abziehen, da wäre auch überhaupt nichts gegen zu sagen, mit der Folge, dass dann die Reserve im Fonds bei 7 Milliarden läge, das heißt, über den 5 Milliarden wären dann 2 Milliarden verfügbar. Und die würde ich mal drin lassen in dem Fonds.

Pindur: Jetzt ist die Frage, ist die Aufgabe der Kassen, Überschüsse anzuhäufen, es handelt sich doch um das Geld der Versicherten?

Fiedler: Absolut richtig, das Geld gehört den Versicherten. Die Kassen machen ja damit keine Gewinne, sondern die Kassen geben ja – ob heute oder morgen – das Geld für die Krankenversicherten aus. Und die Frage ist ja nur, wenn ich heute den Beitragssatz senke, muss ich morgen nicht sofort wieder hochgehen?

Wenn Sie heute den Beitragssatz um 0,1 Prozentpunkt senken, dann entlastet das Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils mit etwa 90 Cent pro Monat – das merkt doch kaum jemand. Keiner sagt dafür danke. Wenn ich aber morgen den Beitragssatz wieder dann erhöhen muss übrigens, dann zahlt das alleine der Arbeitnehmer, weil der Arbeitgeberbeitrag in der Höhe ja festgeschrieben ist. Und der wird natürlich dann protestieren, weil er sagt, ja, was soll denn das, es war doch eben so eine tolle Finanzlage mir vor Augen geführt worden, und jetzt erhöht man schon wieder den Beitrag.

Das gibt dann eine Mordsunruhe, und das Ganze schädigt sozusagen auch das Ansehen unserer sozialen Krankenversicherung. Und deshalb kann ich nur warnen. Dieses sind Größenordnungen, die jetzt hier in den Reserven lagern, die die Krankenkassen brauchen oder der Gesundheitsfonds braucht, und man sollte abwarten. Die Ausgabenentwicklung wird in diesem Jahr schon wieder deutlich höher liegen als im letzten Jahr – das kann man prognostizieren.

Pindur: Jetzt kommen wir mal zu einer Teilmaßnahme, die die Regierung da vorhat, nämlich die Kürzung des Bundeszuschusses zugunsten der Pflegereform. Halten Sie das für richtig, welche Folgen hat das Ihrer Ansicht nach für die Versicherten?

Fiedler: Also man muss ja eins sehen, dieser Bundeszuschuss, das sind in diesem Jahr übrigens weniger. In diesem Jahr zahlt der Bund 14 Milliarden, im letzten war es noch 15,3. Auch diese 1,3 Milliarden fehlen dieses Jahr schon wieder. Und dieses ist eine Gegenfinanzierung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen, die insgesamt in einer Größenordnung liegen bei 34 Milliarden. Das heißt, es werden derzeit noch nicht mal 50 Prozent dieser versicherungsfremden Leistungen erstattet.

Diesen Bundeszuschuss hat man vor ein paar Jahren eingeführt, man hat sich dabei auf die Schulter geklopft als Politiker und hat gesagt, jetzt entlasten wir mal hier die GKV nachhaltig und stellen auch die Finanzierung sicher mittelfristig. So, und kaum ist man jetzt bei den 14 Milliarden angelangt, da kürzt man schon wieder.

Also irgendwo geht es hier um die Frage einer verlässlichen Politik. Man kann also hier im Grunde genommen nicht, sag ich mal, da den Bundeszuschuss zu einer bundespolitischen Manövriermasse des Bundeshaushaltes machen, sondern man sollte hier konstant sein, man sollte diesen Zuschuss zu den versicherungsfremden Leistungen belassen und gucken, dass das Geld woanders herkommt.

Ich sage hier noch einmal: Man könnte einmalig aus dem Gesundheitsfonds 2,48 Milliarden abziehen, das wäre eine Entlastung, auch für den Bundeshaushalt, aber darüber hinaus den Bundeszuschuss jetzt zu kürzen – und da sind wir uns doch im Klaren, wenn man jetzt sagt zwei Jahre, dann werden aus den zwei Jahren zehn Jahre und mehr, dann bleibt das dabei –, da sollte man die Finger von lassen.

Pindur: Herr Fiedler, vielen Dank für das Gespräch!

Fiedler: Danke auch, Herr Pindur!

Pindur: Eckhard Fiedler, ehemaliger Chef der Barmer Ersatzkasse, heute für das Institut für Gesundheitsökonomie an der Uni Köln tätig.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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