Bei Scheitern des Gipfels von Durban "sind die Folgen enorm"

Udo Simonis im Gespräch mit Susanne Führer · 28.11.2011
Vielleicht gelingt es in Durban, die Interessen der Europäer mit denen der Chinesen zu verbinden. Eine solche Allianz wäre vorbildlich für jene, die beim Klimaschutz "im Bremserhäuschen" säßen, meint der ehemalige Professor für Umweltpolitik Udo Simonis.
Susanne Führer: Udo Simonis gibt seit 21 Jahren das "Jahrbuch Ökologie" heraus, er war bis 2003 Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin und er bekommt heute Abend von der Deutschen Umwelthilfe den Umweltmedienpreis für sein Lebenswerk überreicht. Herzlichen Glückwunsch, Herr Simonis!

Udo E. Simonis: Ja, danke Ihnen!

Führer: Jenseits Ihrer Preisverleihung heute Abend ist es ja seit langem mal wieder ein Tag, an dem die Umweltpolitik ganz vorne an in den Nachrichten steht, weil nämlich der Weltklimagipfel in Durban beginnt. Der Klimawandel scheint als Thema ja vollkommen out zu sein in letzter Zeit. Warum, meinen Sie, ist das so?

Simonis: Ja, das ist etwas, was unsereinen natürlich in ganz besonderer Weise besorgt, aber andererseits muss man natürlich als Sozialwissenschaftler auch realisieren, was die Leute bewegt. Und wenn die Wirtschaft so daherschlendert oder die Finanzen so in Unordnung sind wie derzeit, dann ist es eigentlich auch kein Wunder, dass man andere Prioritäten hat. Und Klima ist eben ein Wandel, der sich langsam vollzieht, gelegentliche Auswüchse hat, die man schon spürt, wo man sagen könnte, jetzt muss man aber wach werden, aber dann schläft man wieder ein, während die Finanzgeschichte ja nun jeden Tag auf allen Kanälen zu sehen und zu hören ist.

Führer: Die Erwartungen an diese Klimakonferenz jetzt in Durban, die sind ja so gering, dass ich mich manchmal frage, warum sie überhaupt noch stattfindet.

Simonis: Das ist die 17. Konferenz, da könnte man sagen: Verdammt noch mal, das ist nun wirklich ein lahmer Verein, der sich da jedes Jahr trifft! Aber man muss sich auch treffen, damit man sich in die Augen gucken kann und weiter miteinander redet. Also das ist alles ein langwieriger, aber notwendiger Prozess, der da stattfindet.

Führer: Ja, seit 1992, also seit diesem ersten großen Erdgipfel in Rio verhandelt ja die Weltgemeinschaft über Klimaschutz.

Simonis: Ja, und dabei gibt es noch ein paar andere Probleme, ja? Wenn man an die Welt als Ganzes denkt und die Umwelt als Ganzes, dann fallen mir natürlich andere Fragen auch noch ein, über die dann viel zu wenig diskutiert wird, ja? Also hier der Klimabereich wird sozusagen zu viel palavert von der politischen Klasse, die das betreibt. Und es wird immer wieder sozusagen der Schwarze Peter woanders hin gezogen, es wird nach neuen Allianzen gesucht, oder darauf, dass sich doch irgendwann mal eine große technische Lösung anbietet, die das ganze Instrumentarium dann auch verändern würde. Aber was das Neueste ist, was wir aus der Wissenschaft hören, sieht es wirklich nicht gut aus.

Führer: Welches sind die anderen Punkte, die zu kurz kommen?

Simonis: Wir haben ganze Bereiche von Problemen, die nicht, in keiner Weise, reguliert sind. Und dazu zählt das Wasser, dazu zählen die Böden, für die es keine Vereinbarung unter dem Dach der Vereinten Nationen gegeben hat. Und das wären zwei Beispiele, wo man sagen müsste: Eigentlich wäre das fällig im Sinne der Arrondierung dessen, was sich dann vielleicht einmal als Weltumweltpolitik definieren ließe.

Führer: Die Erwartungen an diese Klimakonferenz jetzt in Durban, die sind ja so gering, dass ich mich manchmal frage, warum sie überhaupt noch stattfindet. Welche Erwartungen haben Sie, Herr Simonis?

Simonis: Also bisher und im Grunde doch bis in die jüngste Zeit konnte man davon ausgehen, dass die Europäer Vorreiter sind im Klimaschutz. Wir haben uns auf die Schulter geklopft, die Deutschen insbesondere, sind wir doch ganz prächtig, und wir werden das Kind schon schaukeln. Aber ich fürchte, dass man in Durban sich ziemlich verstecken wird hinter der Nichtbewegung der Anderen – nicht nur der US-Amerikaner, sondern auch, dass man sagt: Nun müssen doch erst mal die Chinesen kommen. Wenn es aber in Durban gelingen sollte, dass sich ein Teil der europäischen Interessen mit denen der Chinesen verbünden würde, dann sehe ich da noch eine Möglichkeit, an die wir heute noch gar nicht denken. Ich könnte das auch begründen.

China hat zwar ein Riesenproblem mit der weiter wachsenden Wirtschaft und den daraus sich ergebenden CO2-Emissionen, weil ein Großteil dessen, was da wächst, auf Kohlebasis ist, also auf fossilen Energieträgern beruht. Andererseits ist China aber mittlerweile so stark bei den erneuerbaren Energien – der Windenergie und insbesondere der Fotovoltaik – eingestiegen, dass sie schon so was wie Weltführerschaft anstreben auf diesen Gebieten. Wenn das mit den Interessen der Europäer, die nun auch die Energiewende wollen – oder sagen wir, sprechen wir nur von den Deutschen –, zu vereinbaren wäre, dann hätte man eine neue Allianz. Und die könnte so stark sein, dass die vorbildhaft wird auch für die, die im Bremserhäuschen sitzen. In den USA ist die Situation auch nicht nur negativ. Also der Regierung dort traue ich nichts zu. Aber in der Wirtschaft ist einiges in Gang gekommen, und da gibt es den einen oder anderen Bundesstaat, der durchaus eine fortschrittliche Position im Klimaschutz innehat.

Führer: Der diesjährige Träger des Umweltmedienpreises, Professor Udo Simonis im Deutschlandradio Kultur. Herr Simonis, Sie setzen sich ja seit vielen Jahren für eine Weltumweltorganisation ein. Ich habe gedacht, wir hätten die ja schon: Die Unep in Nairobi, die ja auch mal viele Jahre vom Deutschen Klaus Töpfer geleitet wurde …

Simonis: Sehen Sie …

Führer: … was wollen Sie da verbessern?

Simonis: … da sind Sie in eine Falle geraten, in die allerdings die meisten Deutschen ohnehin gehen. Einige glauben nämlich sogar, wir hätten eine Umweltbehörde. Nein, nein, ist leider alles ganz anders. Bei aller Verehrung für die Kollegen, die dort arbeiten, und die Direktoren, die es gegeben hat oder jetzt gibt, das ist eine Bettvorlage, das ist ein lahmer Tiger, das Unep. Es ist ein Programm – es ist nur ein Programm. Es ist keine Agentur. Es ist ein Nebenorgan des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen. Es ist äußerst schlecht finanziell ausgestattet. Sie haben im Grunde genommen kein festes Budget, sie müssen um die Mittel betteln, sie haben einen minimalen Personalbestand, der ist kleiner als der in dem deutschen Umweltbundesamt in Dessau, und damit kann man die Welt nicht retten. Wir haben auf …

Führer: Also eine Agentur wäre so etwas wie die WHO zum Beispiel, wie die Weltgesundheitsorganisation?

Simonis: also das ist zumindest mein Bestreben seit vielen Jahren, seit ich …

Führer: Und Sie wollen dann eine WUO, eine Weltumweltorganisation?

Simonis: Es sollte mindestens eine der Weltgesundheitsorganisation äquivalente Struktur haben.

Führer: Aber was wäre dann anders, also was könnte sie dann tun?

Simonis: Man hätte Durchgriff. Die Weltgesundheitsorganisation hat exekutive Rechte. Wenn man feststellt, es gibt eine Pandemie, es gibt irgendwo ein großes gesundheitliches Problem, dann ist dies eine schlagfertige Organisation, dann können sie die Staaten der Welt zu etwas zwingen. Und diese Art von Grundkonzept in der Politik ist im Bezug auf ökologische Fragen überhaupt nicht etabliert. Man ist auf den guten Willen und die Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen – und wenn der gute Wille und die Kooperation nicht da ist, hat man verloren.

Führer: Also um das ein bisschen anschaulicher zu machen, dann würde diese WUO, diese Weltumweltorganisation feststellen: Aha, Erwärmung nimmt dramatisch zu, und wir greifen jetzt durch, das heißt, wir schalten diese und jene Fabriken in China, USA und Indien ab.

Simonis: Also in den neuesten Unterlagen, die jetzt vom Weltklimarat vorgelegt worden sind im Sinne von extremen Wetterlagen und den Veränderungen des Klimas, die damit einhergehen können, müssen wir damit rechnen, dass wir das Zwei-Grad-Ziel der Stabilisierung des Klimas nicht erreichen können, im Gegenteil: Es geht jetzt in die Richtung vier bis sechs Grad Celsius. Wenn das Wirklichkeit wird, dann ist die Welt eine völlig andere im Vergleich zu der, die wir heute kennen. Wenn man das verhindern will, muss jetzt eingegriffen werden. Der Zeitrahmen dafür ist sehr, sehr kurz. Und wenn das nicht geschieht, sind die Folgen enorm. Das heißt, die Kosten werden auch viel höher sein als die, die man jetzt hätte, wenn man jetzt was ändert. Das ist etwas, was in der ganzen Klimapolitik auch leider viel zu kurz kommt.

Führer: Aber wenn ich mir jetzt mal, ohne darauf eingehen zu wollen, die Auseinandersetzung innerhalb der Europäischen Union jetzt vor Augen halte und mir vorstelle, es soll eine Weltorganisation geben, die sozusagen direkt in das Wirtschaften – denn darum ginge es dann ja – der Staaten eingreift, dann halte ich das doch für sehr unrealistisch, dass es so weit kommen wird.

Simonis: Einerseits, andererseits haben wir hier in Europa eigentlich eine durchaus respektable Struktur entwickelt. Es gibt Zuständigkeiten. Was in Europa jetzt fehlt – an Ihrem Beispiel –, es ist eben keine gute Politik, die gemacht wird. Also ob Sie in einer an und für sich funktionsfähigen Struktur auch eine gute Politik machen – good governance, wie es so schön heißt – das ist immer die zweite Frage, die man mitbedenken muss. Aber man muss diese gute Politik erst einmal machen können, und dazu braucht man Strukturen, die es bisher eben nicht gibt. Im wirtschaftlichen Sinne sind wir eigentlich ganz gut aufgestellt, da gibt es den Internationalen Währungsfonds, da gibt es den neuen europäischen Währungsfonds, da gibt es die Weltbank, da gibt es die Welthandelsorganisation – alles potentiell schlagkräftige Strukturen, und nichts dergleichen im Bezug auf das Thema Umweltschutz.

Führer: Das heißt, wenn ich Sie recht verstehe, dann – wenn wir so eine Weltumweltorganisation hätten –, dann wären wir, was die Erderwärmung angeht, heute nicht da, wo wir jetzt sind?

Simonis: So eine Organisation könnte sehr vieles auf den Weg bringen, was zumindest potentiell doch auf dem Tisch liegt, also wenn man nur an die Energiefrage denkt, was müsste geschehen, dass Solarenergie zu einer globalen Energieform wird? Wenn ein Land wie Burkina Faso – um ein Beispiel zu nehmen – weniger als ein Prozent seines Energieumsatzes von der Sonne gewinnt, dann ist was nicht in Ordnung. Da scheint die Sonne – die könnten Spitzenreiter sein in der Welt, aber es hakt ja irgendwo. Irgendetwas ist nicht in Ordnung, ist nicht in diese Richtung gegangen. Und wenn dazu beigetragen würde finanziell und technologisch, dann wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.

Führer: Udo Simonis, heute erhält er den Umweltmedienpreis der Deutschen Umweltstiftung. Ich danke für Ihren Besuch, Herr Simonis!

Simonis: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Udo Ernst Simonis
Udo E. Simonis© dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
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