Behandlung aus der Ferne

Von Achim Killer · 22.07.2010
Handy und heimischer PC überwachen in der Telemedizin die Daten von Kranken und übermitteln sie an medizinisches Personal. Mithilfe der modernen Technik können Risiken minimiert und Zeit und Kosten gespart werden.
"Telemedizin gilt in der Computerindustrie als der Zukunftsmarkt schlechthin. Aber noch gibt es sehr wenige Bereiche, in denen Mobilfunk und Home-Computer zur Versorgung von Kranken eingesetzt werden. Ein Grund: Die Kassen sind bei der Kostenübernahme sehr zurückhaltend. Das aber könnte sich bald ändern. Immer mehr zeigt sich, dass mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie nicht nur Patienten besser versorgt, sondern auch Kosten gesenkt werden können."

Das Leben des sechsjährigen Jan ist anders als das gleichaltriger Kinder. Er ist Diabetiker.

"Beim Messen ist das Besondere, dass man einfach so das Gefühl hat, dass man messen muss. Und wenn man ein Betthupferl ohne Messen und Insulin kriegt, dann geht's einem richtig schlecht und so."

Deshalb Jans Blutzuckerwerte laufend gemessen werden. Darauf achtet seine Mutter - Savia Hesel:

"Sein Insulin wird über einen Katheter zugeführt. Also er muss sich regelmäßig messen vor den Mahlzeiten oder wenn es ihm nicht gut geht, noch mal zur Kontrolle messen. Und er muss entsprechend Insulin bekommen, beziehungsweise auch entsprechend mit Kohlehydraten korrigieren, wenn er zu niedrige Werte hat. Er muss halt schauen, dass er seinen Blutzucker immer in Balance hält."

Und dafür setzt Jan High-Tech ein:

"Also ich messe da mit dem Handy. Dann werden die Werte zum Arzt übertragen. Das Handy überträgt so Information. Das wird dem Doktor auf dem Computer. Also der weiß, wann ich messe und so."

Jans Blutzuckermessgerät verbindet sich drahtlos per Bluetooth mit einem Handy. Das überträgt die Werte auf einen Server im Internet. Dort werden sie grafisch aufbereitet. Und alle, die dem Jungen beim Management seiner Körperparameter helfen, haben darauf Zugriff. Technisch ist das kein Problem. Dass es finanziell möglich wurde, dafür hat das Unternehmen, das Jans Messgerät vertreibt, sich einiges einfallen lassen. Das Prinzip: Blutzuckerteststreifen lassen sich zwar kostengünstig produzieren, werden aber teuer verkauft. Das schafft Raum für Quersubventionierungen. Stefan Schraps der Geschäftsführer der Firma Bodytel:

"Telemedizin hat momentan noch den großen Nachteil, dass es gemeinhin von den Krankenkassen nicht bezahlt wird. Wir haben eben einen Weg gefunden, über ein gängiges Modell, das Teststreifenmodell, das Geld letztlich so zu verdienen wie klassische andere Diagnostikunternehmen auch. Die Blutzuckerteststreifen in unserem Blutzuckermonitoringsystem, die werden ganz normal von den Krankenkassen bezahlt, und damit finanzieren wir quasi den Teleteil des Telemedizinkonzeptes."

Ein Finanzierungstrick hat Jan zu seinem High-Tech-Messgerät verholfen. Vielleicht aber wird telemedizinisches Equipment bald auch in den regulären Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen. Darüber entscheidet ein groß angelegter Feldversuch, der gerade an der Berliner Charité läuft: 300 Patienten mit chronischer Herzschwäche werden zuhause betreut. Das ist möglich, weil die Ärzte sich täglich genauestens über ihren Gesundheitszustand informieren können. Dr. Friedrich Köhler, der Projektleiter:

"Unsere Patienten haben so ein Set von verschiedenen Messgeräten. Das beginnt mit einer Waage, die sehr genau ist. Dann gibt es ein EKG-Gerät ein Blutdruckgerät und ein umgebautes Telefon, Mobilfunk würde ich mal sagen. Das ist das Funkgerät."

Und anhand der per Funk übertragenen Werte können die Ärzte entscheiden, ob akute Gefahr droht oder ob die Patienten allein gelassen werden können. Für die Betroffenen ist das mit wenig Aufwand verbunden:

"Der übliche Weg ist, dass die Telemedizin fünf Minuten des Tages kostet. Und dann beginnt ein normaler Tag. Wir wollen nicht, dass die Patienten von morgens bis abends nur an ihre Herzinsuffizienz denken."

Und die Krankenkassen hoffen auf gewaltige Kostensenkungen. Wenn Patienten zuhause bleiben können, müssen die Kassen keine teuren Klinikaufenthalte bezahlen.

"Es gibt eben in unserem Projekt eine seltene Interessengleichheit zwischen dem, was die Versicherten wollen, nämlich nicht ins Krankenhaus und möglichst lange zu Hause auch mit einer Erkrankung leben können, und dem Interesse der Kostenerstatter, in dem Fall der Krankenkassen, die sehr teuren Krankenhausaufenthalte zu ersparen. Um mal eine Vorstellung zu bekommen: Ein Tag auf der Intensivstation kostet mehr als die teuerste Suite des Berliner Adlon-Hotels."

Und Herzschwäche ist der häufigste Grund für eine Einweisung ins Krankenhaus. Dr. Köhler glaubt denn auch, dass ein positiver Verlauf seines Projekts den Durchbruch für die Telemedizin bedeuten könnte. Dann gibt's so etwas auf Rezept, hofft er. Die Mutter des sechsjährigen Jan macht derweil bereits heute gute Erfahrungen mit dem Funkmessgerät ihres Sohnes. Jan ist seit kurzem in der Schule. Seine Mutter sorgt sich, aber - dank Jans Handy – nicht allzu sehr. Sie bekommt jeden Vormittag eine SMS mit Jans aktuellem Blutzuckerwert:

"Also das Loslassen fällt mir schon schwer. In der Schule wird auch Sport getrieben. Und ich kann nicht jede Stunde hinlaufen und schauen, wie geht es meinem Kind. Aber er muss ja trotzdem zu den Mahlzeiten messen, und ich bekomme halt eine SMS und kann sehen, wie der Zustand von ihm ist. Also ich kann halt auch beobachten, ist vielleicht doch der Katheder abgeknickt oder rausgerutscht oder so. Und dann kann ich reagieren. Aber vorher schaue ich es mir aus der Ferne an und versuche einfach mal loszulassen."