Bedingungsloses Grundeinkommen

Niemand arbeitet mehr für sich selbst

Von Philip Kovce · 24.10.2014
Dass die Menschenwürde darin begründet liege, für sich selbst sorgen zu können, darin sieht Philip Kovce einen Fundamentalirrtum der Neoliberalen. Liberal hieße: Ermöglichen statt Erzwingen - zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Liberal ist, wer nicht bestimmen will, was andere zu tun haben. Auch nicht indirekt, über die Umstände. Das bedingungslose Grundeinkommen ist liberal, weil es bedingungslos ist. Niemand bestimmt, wie der andere zu leben hat. Der Staat ist dabei nur Treuhänder, nicht Taktgeber.
Beim bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich der Staat in den Dienst der Freiheit des Einzelnen. Und der Einzelne? Er steht im Dienst der Gemeinschaft. Das hört sich etwas seicht an. Aber es ist bereits Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der Arbeitsteilung.
Rein strukturell arbeitet heute niemand mehr für sich selbst. Sobald wir arbeiten, stehen wir im Dienst für andere. Nicht aus gutmenschlichen Gründen, sondern aus der Logik der Sache. Strukturelle Nächstenliebe.
Weil wir Fremdversorger und nicht mehr Selbstversorger sind, haben wir den Markt. Der Neoliberale meint, der Markt sei frei, wenn es möglichst keine Regeln dafür gäbe. Ein Irrtum. Der Markt ist gerade dadurch frei, dass er Regeln hat, die sicherstellen, dass niemand zur Teilnahme gezwungen oder abgezockt werden kann. Wenn ich teilnehmen muss, ist der Markt nicht frei.
Beim neoliberalen Marktmodell habe ich die scheinbare "Wahl": Entweder kann ich mich "frei" auf dem Arbeitsmarkt anbieten oder mich von staatlichen Sozialleistungen abhängig machen. So oder so werde ich fremdbestimmt. Das bedingungslose Grundeinkommen bewirkt, dass ich unabhängiger entscheiden kann, ob und wie ich arbeite. Dadurch bin ich weniger manipulierbar.
Der Neoliberale setzt darauf, dass es am besten kommt, wenn jeder an sich selber denkt und der Stärkere gewinnt. Das Spiel des Lebens wäre nicht mehr spannend, es hätte keinen Reiz mehr, wenn jeder bereits ein sicheres Einkommen hätte. Die Menschenwürde sei darin begründet, für sich selbst sorgen zu können.
Das Grundeinkommen beugt Faulheit vor
Das ist er, der Fundamentalirrtum. Es ist zwar richtig, dass es um Eigenverantwortung und Autonomie geht. Doch der Neoliberale behandelt den Menschen als Feind und Objekt anstatt als Subjekt und Kapital. Denn er zwingt zur Arbeit.
Liberal heißt dagegen: Ermöglichen anstatt Erzwingen. Und liberal heißt: Nicht nur an sich denken, sondern das Ganze und die Wechselwirkungen im Blick haben, also auch die Freiheit des anderen. Ungeteilte Freiheit ist unfruchtbar wie Geld unter der Bettdecke.
Wer versteht, dass wir nicht mehr in der Selbstversorgung leben, wird dafür sorgen, dass es denjenigen, die für ihn arbeiten, gutgeht. Jemand, der etwas tun muss, was er nicht will, kann nicht in gleicher Weise produktiv sein und Verantwortung übernehmen wie einer, der aus freien Stücken handelt. Das Grundeinkommen befördert keine Faulheit, es beugt ihr vor.
Freilich, ein Grundeinkommen für alle spült keine Goldklumpen ins private Portemonnaie. Es sichert die Existenz. Nicht mehr, nicht weniger. Es bewirkt, dass der Teil des Einkommens, den wir unbedingt brauchen, von unsinnigen Bedingungen befreit wird.
Ein solches Grundeinkommen bietet auch keine Sorglos-Police auf Kosten der Gemeinschaftskasse. Es ist vielmehr die liberale Alternative zur althergebrachten Sozialhilfe, die sich aus staatlicher Fürsorge herleitet. Es setzt auf ein modernes Steuerrecht, das jedem Erwachsenen und jedem Kind ein Existenzminimum garantiert. Entweder wird es ausgezahlt oder – je nach Einkünften – mit der Steuerschuld verrechnet.
In Ansätzen geschieht dies schon heute, weil Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht es so verlangen. Nur ist ein bedingungsloses Grundeinkommen konsequenter. Es schafft Chancengleichheit und stärkt die Marktwirtschaft, da es jeden Einzelnen ermächtigt, für andere uneingeschränkt tätig zu sein.
Es macht das Liberale sozial und das Soziale liberal, da es die Arbeitsteilung ebenso anerkennt wie die Freiheit des Menschen.
Philip Kovce
Philip Kovce© privat
Philip Kovce, geboren 1986, studiert Wirtschaftswissenschaften und Philosophie in Witten und Berlin. Außerdem forscht er am Philosophicum in Basel und schreibt als freier Autor für Presse und Rundfunk.
Er ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, Fellow des Studienkollegs zu Berlin und Co-Founder des Think Tanks "First World Development".
Veröffentlichungen (Auswahl): Versuch über den Versucher; Logisch-philosophischer Abriss. Zum Werk Michael Bockemühls (beide AQUINarte Literatur- & Kunstpresse); Götterdämmerung. Rudolf Steiners Initialphilosophie (Edition Immanente).
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